Hingeschaut

«WDR-Check»: Wird Fernsehen demokratisch?

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Den Zuschauern ein Ohr leihen: Tom Buhrow stellt sich seinem Publikum und diskutiert über Programm, Finanzen, junge Zuschauer. Scheinheilig oder eine echte Chance? Unser Check zum «WDR-Check».

Tom Buhrows Laufbahn

Seine journalistische Laufbahn begann Buhrow nach dem Abitur beim Bonner "General-Anzeiger". Nach einem Studium der Geschichte und Politikwissenschaften volontierte er beim WDR und arbeitete dort danach als Redakteur, später als Reporter sowie Chef vom Dienst für die «Aktuelle Stunde». Von 1994 bis 1999 war er als Korrespondent im ARD-Studio Washington tätig. Nach einer Station als Korrespondent in Paris kehrte er im Jahr 2002 als Leiter des ARD-Studios Washington in die USA zurück. Von 2006 bis 2013 moderierte er die «Tagesthemen», seit 1. Juli 2013 ist er Intendant des Westdeutschen Rundfunks.
Der Zuschauer, das unergründliche Wesen. Der Zuschauer ist unberechenbar, er bejubelt Sendungen, die in der Marktforschung durchfallen würden und die kaum einer Redaktionskonferenz standhalten. Der Zuschauer straft Formate mit niedriger Quote ab, die toll und hochwertig produziert sind, die anregen und Trends folgen. Marktforschungen laufen ständig ins Leere, nicht umsonst werden so viele TV-Flops produziert. Und immer noch schaffen es öffentlich-rechtliche Sender kaum, junge Zuschauer zu erreichen, obwohl sie vieles versuchen.

Wie tickt der Zuschauer also, und was will er von seinem Fernsehprogramm? Dies ist eine der zentralen Fragen im neuen «WDR-Check», einer crossmedialen Diskussionssendung, die den WDR selbst zum Thema macht. Das Format ist live, wird aus einem Studio in Mönchengladbach gesendet, das jüngst Kulisse der «Wahlarena» mit Merkel und Steinbrück war. Hier gilt dasselbe Konzept: 180 NRW-Zuschauer im Publikum und hunderttausende vor den Fernsehern können Fragen stellen und kritisieren – diesmal nicht Politiker, sondern ihren Intendanten: Tom Buhrow. Aufgelockert wird das Konzept durch Clips sowie unterhaltende Elemente, beispielsweise amüsante Leserbriefe, die die WDR-Redaktionen erreicht haben und nun öffentlich vorgelesen werden.

„Noch ein Satz. Darf ich noch einen Satz sagen.“ Diese Worte fallen im «WDR-Check» am häufigsten an diesem Mittwochabend. Sie kommen von Buhrow selbst, und sie zeigen, dass der frischgebackene WDR-Chef sich engagiert, dass er voller Enthusiasmus hinter seiner Sendeanstalt steht. Und dass er sie vehement und ausführlich verteidigt – was Moderatorin Bettina Böttinger, bekanntes Sendergesicht, mehrmals in die Bredouille bringt: Die Zeit rennt schließlich in dieser ersten Diskussionssendung mit Zuschauern, in der so viel gesagt werden will in nur 90 Minuten. Spontan wird das Format am Spätabend ausgeweitet, 15 Minuten hängt man dran.

Er soll den Sender näher zu seinen Zuschauern bringen, dieser «WDR-Check». Im Idealfall wird er eine Plattform werden, auf der Macher (also Buhrow und Co.) und Konsumenten (also die Zuschauer) sich austauschen, Anregungen geben und Kritik rechtfertigen. Beides geschieht in der ersten Sendung bereits: Buhrow wird zum Erklär-Bär; er sagt, warum der Rundfunkbeitrag im Internet-Zeitalter seine Daseinsberechtigung hat, warum Intendanten so hohe Pensionen erhalten, warum der (noch auf der Kippe stehende) Jugendkanal der ARD eine gute Idee ist.

Ob er all dies überzeugend erklärt, ist zunächst sekundär – wichtig ist, dass sich Buhrow überhaupt stellt. Denn Partizipation und Diskussion diesen Ausmaßes haben bisher nicht stattgefunden in der ARD. Unverständlicherweise, müsste man sagen: Denn die ARD gehört den Bürgern, weil sie durch die Bürger finanziert wird. Sie hat daher nicht nur einen Bildungs-, sondern eigentlich auch einen Rechtfertigungsauftrag – anders als die Privatsender. Sie muss dem kritischen Zuschauer gerecht werden, ihm gefallen und ihn erreichen. Letzteres ist zunehmend ein Problem, gerade beim jungen Publikum. Tom Buhrow muss sich mehrmals dieser Kritik stellen, schlüssige Rezepte hat auch er nicht. Zwei 1Live-Moderatoren aus dem jungen Hörfunk des WDR kommen in der Sendung zu Wort – als wolle man sagen: „Seht her, es geht doch mit den Jüngeren.“ Nur hilft dies alles dem TV-Sender nicht.

Aber nicht nur ein TV-Programm für junge Zielgruppen wird gefordert. Eine Kultursendung über NRW-Kulturstätten, mehr WDR-Orchester im Fernsehen, ein Tag der Hörer im Rundfunk, mehr Behinderte vor der Kamera im Sinne der Inklusion, jüngere Reporter: Es gibt einige konkrete Zuschauerwünsche in der ersten Ausgabe des «WDR Check». Die Antwort von Tom Buhrow bleibt die immergleiche, verständlicherweise: Er werde die Anregung mitnehmen und schauen, ob sich etwas machen lässt. Spontane Versprechungen oder Zugeständnisse will er nicht geben – umso mehr kommt es nun darauf an, ob einige der Anregungen wirklich umgesetzt werden. Denn auch dies gehört zum Dialog mit dem Publikum: Nicht nur sich zu rechtfertigen, den Status quo zu verteidigen (was Buhrow sehr oft macht), sondern Neues zu wagen, etwas, was die zahlenden Zuschauer wünschen.

Der «WDR-Check» darf keine gebührenfinanzierte Werbung für sich selbst betreiben. Idealerweise wird er eine Institution, die im ständigen Kontakt mit den Menschen bleibt, in der Tom Buhrow regelmäßig Anregungen aufnimmt und darüber berichtet, ob Zuschauerwünsche aus früheren Sendungen realisiert werden können. Denn so wird Fernsehen ein Stück weit weniger hierarchisch, ein wenig demokratischer – zumindest so weit, wie es in diesem Medium überhaupt möglich ist. Damit das Format noch konstruktiver wird, könnte jede Sendung einen Schwerpunkt setzen, zum Beispiel zum Problem mit den jungen Zielgruppen, zu Finanzierung und Rundfunkbeitrag oder zur (brachliegenden) Unterhaltungssparte.

In einer Diskussion über Stefan Raab und die Chancen, ihn in die ARD zu holen, ruft jemand mitten in Buhrows Antwort plötzlich: „Raab ist scheiße!“ Auch so sieht Partizipation aus, und es ist gut, dass sie überhaupt möglich ist. Denn sonst ist Fernsehen zum großen Teil ein Einbahnstraßen-Medium. Das erkennen wir vor allem, seitdem das Web 2.0 uns Zuschauern die Möglichkeit gibt, selber Inhalte einfach loszuproduzieren. Im Fernsehen ist dies deutlich schwieriger, aber wir wollen zumindest gehört werden und dadurch partizipieren – über verschiedenste Kommunikationswege.

„Diese neue Welt bietet Möglichkeiten, die eine tiefgreifende Umdefinition des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einschließen, die wirklich Einbeziehung ermöglicht und vielleicht demokratisch ist. Das Publikum wird in die Arme geschlossen, einbezogen und dazu ermuntert, für sein eigenes Medium kreativ zu sein und daran teilzunehmen.“ Dieses Zitat stammt vom Film- und Fernsehschaffenden John Wyver, veröffentlicht wurde es in einem wissenschaftlichen Beitrag im Jahr 1999. Seitdem hat sich Wyvers Vision nur in Ansätzen verwirklicht. Tom Buhrow arbeitet zumindest an ihr: Er hat zwar nicht die Liebe mitgebracht, wie er in seiner Antrittsrede als Intendant sagte. Aber er hat sein Publikum am Mittwochabend tatsächlich ein Stück weit in die Arme geschlossen.

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