Bundestagspräsident Norbert Lammert gehört nicht zu den Kubickis, Gysis und Oppermanns der deutschen TV-Landschaft, die man in den vergangenen Jahren gefühlt häufiger in deutschen Talkshows antraf als im Bundestag. Eher kritisch bewertet er die televisionären Gesprächsrunden, weshalb sich der Bayerische Rundfunk und Moderator David Reinisch geehrt fühlen dürfen, dass ausgerechnet er sich für die Auftaktsendung von «Meinungsfern» zur Verfügung stellte. Reinisch selbst kann über eine beeindruckende Karriere hin zur Seriosität verweisen, denn war er noch bis 2006 für das qualitativ arg bescheidene «Freunde - Das Leben geht weiter» vor der Kamera aktiv, hat er inzwischen promoviert und ist als Politik-Dozent tätig. Sein neuester Ausflug in die Fernsehwelt kommt entsprechend ungleich erwachsener daher.
Ziel des von ihm selbst entwickelten Formats ist es, sich in einer Münchener Kneipe mit Politikern zu treffen und in gelösterer Atmosphäre relevante gesellschaftliche und politische Themen zu besprechen. Moderatoren klassischer deutscher Polittalks bescheinigt Reinisch eine zu große "Fachfremde", weshalb ihre Gespräche "eben nicht so ergebnisorientiert sind, wie ich mir das wünschen würde". Diesbezüglich kann sein Format überzeugen, denn es kommt in der Tat sehr substanziell und ergebnisorientiert daher. Deutliche Schwächen offenbart es jedoch beim Versuch, all dies unverkrampft und atmosphärisch locker zu präsentierten.
So fällt insbesondere der Einstieg in die Auftaktfolge äußerst holprig aus. Der Moderator weist seinen Gesprächsgast sichtlich stolz ob der eigenen kreativen Schöpfungskraft auf seine Cocktail-Kreation Holy Grail hin, worauf Lammert leicht peinlich berührt reagiert und offenkundig wenig begeistert ist. Auch in der Folge gelingt es zu keinem Zeitpunkt, den Charme des Lokals zu nutzen und die Distanz zwischen den beiden Hauptakteuren zu verringern. Sähe der Zuschauer nicht die gesamte Zeit über die Kulisse, könnte er genauso gut annehmen, das Gespräch sei in einem kalten Büro aufgezeichnet worden.
Allerdings ist Lammert auch nicht gerade der dankbarste Gast, wenn es darum geht, volksnahe Stimmungskanonen und Sprücheklopfer zu zeigen. Dafür ist seine Ausdrucksweise zu professoral, sein Auftreten zu zurückhaltend. Inhaltlich hat er dafür umso mehr zu bieten, sodass ein erfüllendes und differenziertes Gespräch zu den Themen Wahlbeteiligung, mangelnde politische Partizipation des Volkes und die Rolle des Berufspolitikers in den deutschen Medien zustande kommt. Reinisch tritt dabei selbstbewusst und eloquent auf, kann jedoch die im Vorfeld von ihm angekündigte "feste Haltung" nur selten ins Gespräch einbinden. Wenn jemand im 30-Minüter zur Geltung kommt und mit seinen Aussagen eine feste Haltung offenbart, dann ist es eher Norbert Lammert.
Zur Auflockerung des doch ziemlich fachbezogenen Gesprächs sorgen zwei Einspielfilmchen. Punkten kann hierbei in erster Linie "Politische Telenovela - Harte Themen weichgezeichnet", in der die Problematik der mangelnden Glaubwürdigkeit politischer Parteien augenzwinkernd auf das "echte Leben" übertragen wird. Etwas sperriger kommt anschließend "Wildschütz" daher, das sich einem weiteren in der Sendung angesprochenen Thema auf philosophische Weise annähert - dabei jedoch kaum Amüsement zu bieten hat. In beiden Fällen kann der Zuschauer jedoch kurz entspannen und sich von den zum Teil recht schwer verständlichen Ausführungen Lammerts erholen.
Einen ähnlich großen Patzer wie zu Beginn leistet man sich auch mit der letzten Frage: "Sie sind doch Fußball-Fan. Sollten die Menschen weniger über Fußball und mehr oder Politik sprechen?" Diese Frage ist platt und nähert sich dem ansonsten zumeist weit entfernten Stammtisch-Niveau enttäuschend stark an, was auch Norbert Lammert unterschwellig anmerkt und die Frage kaum zufriedenstellend beantwortet. Immerhin reicht es noch dafür, ein wenig über das Fan-Leid zum VfL Bochum zu sinnieren, bevor die Sendung schließlich ohne großes Spektakel zu Ende geht.
Dennoch ist das am Montagabend um 23:00 Uhr im Bayerischen Rundfunk gestartete «Meinungsfern» alles in allem ein ambitioniertes Projekt, dem es gelingt, sich politischen Themen zielgerichteter und fachbezogener anzunähern als so manch großem Polittalk. Der Schauplatz Kneipe wirkt zwar ein wenig verschenkt, doch vielleicht kann dieser bei einem volksnäheren und weniger distanzierten Gast in möglichen weiteren Ausgaben seine Stärke noch besser ausspielen. An David Reinisch jedenfalls scheitert das Format gewiss nicht, denn wer nicht über dessen fragwürdige TV-Vergangenheit informiert ist, wird ihm gewiss keine Partizipation in «Freunde» zutrauen. Und am Ende der Sendung weiß der Zuschauer dann vielleicht sogar etwas besser über das Für und Wider des aktuell sehr kontrovers diskutierten Volksentscheides auf Bundesebene Bescheid.