Die Kritiker

«Grenzgang»

von

Mit der Romanadaption «Grenzgang» zeigt Das Erste einen kinoreifen Fernsehfilm über Liebe und verkümmernde Hoffnung.

Inhalt


Hinter den Kulissen

  • Regie: Brigitte Bertele
  • Drehbuch: Hannah Hollinger, basierend auf dem Roman von Stephan Thome
  • Musik: Christian Biegai
  • Kamera: Hans Fromm
  • Schnitt: David J. Rauschning
Alle sieben Jahre wird im oberhessischen Bergenstadt der Grenzgang gefeiert, ein Fest mit alter, tiefreifender Tradition, das sich aber längst zu einem reinen Trubel voller Alkohol und unverbindlicher Flirts wandelte. Der Grenzgang ist mittlerweile dermaßen als Ereignis lockerer Moral bekannt, dass einige Kerle, darunter Thomas Weidmann, zu diesem Anlass ihre Freundinnen verlassen. Thomas verhaute in Berlin sein Studium und hofft nun, in seiner alten Heimatstadt ein sorgloses neues Leben aufbauen zu können. Auf dem großen Fest begegnet er der frisch getrennten Kerstin Werner, deren Mann Jürgen sie wegen einer jüngeren Frau hintergeht. Ein lieblicher Kuss zwischen Kerstin und Thomas verspricht den beiden geschundenen Seelen eine schöne Zukunft …

Doch erst sieben Jahre später sehen sie sich wieder. Kerstins Scheidung wurde vollzogen, ihre Mutter erkrankte an Demenz und ihr Sohn, den sie gänzlich ohne Beihilfe ihres Ex-Manns erzieht, macht die üblichen Pubertätsprobleme durch. Thomas wiederum realisiert allmählich, dass er sich auf dem Land fremd fühlt und von den Dorfeinwohnern als wunderlich betrachtet wird. Sein Selbstbewusstsein ist daher so desolat, dass er selbst wohlwollende Jobangebote ausschlägt. Wird das nächste Grenzgang-Fest endlich den ersehnten Wandel bringen?

Darsteller


Claudia Michelsen («Flemming») als Kerstin Werner
Lars Eidinger («Tabu - Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden») als Thomas
Harald Schrott («Vier Frauen und ein Todesfall») als Jürgen Bamberger
Gesine Cukrowski («Ein Sommer in Portugal») als Claudia
Sandro Lohmann («Im Angesicht des Verbrechens») als Daniel

Kritik


Es geschieht nur äußerst selten, dass ein Fernsehfilm daherkommt, der so ausgereift sowie unkonventionell ist, dass man glatt glauben könnte, eigentlich ein aus dem Programmkino geflüchtetes Kinodrama zu bewundern. Zu dieser seltenen Gattung von Werken, die nicht im Geringsten auf die übliche Laufzeit von 90 Minuten zurechtgestutzt wirken, zählte Ende des vergangenen Jahres beispielsweise «Das Jahr des Drachen», eine gehaltvolle Verschmelzung aus distanziertem Romantikdrama und psychologischer Charakterstudie. Und auch dieses Jahr erstaunt Das Erste auf der Zielgeraden des Kalenderjahres mit einer erwachsen erzählten, vollkommen von Kitsch befreiten Liebesgeschichte, die zugleich als exemplarisches Psychogramm einer Generation dient.

Mit ihrer fragmentarisch aufgebauten Romanadaption blickt Regisseurin Brigitte Bertele darauf, wie zwei allmählich alternde Erwachsene von einer steigenden Angst vor dem Alleinsein aufgefressen werden, und über aufkeimenden Phlegmatismus. «Grenzgang» skizziert, wie sich der Wille, für ein besseres Leben zu kämpfen, allmählich verlieren kann und wie wankend die Grenze zwischen wahrer Liebe und unverbindlich-hemmungslosem Sex manchmal sein kann.

Im Mittelpunkt dieses außergewöhnlichen Fernsehfilms stehen die von Claudia Michelsen und Lars Eidinger mit unaufdringlicher Bodenständigkeit sowie nachhaltiger Komplexität verkörperten Kerstin und Thomas, zwei unglückliche Erwachsene, die durch eine flüchtige Zufallsbekanntschaft in Verbindung stehen. Doch hinter dieser oberflächlichen Begegnung stehen für beide große, tiefgreifende Gefühle, sie sehen im jeweils anderen ein Symbol der Hoffnung auf ein lohnenderes Leben. Trotz der thematischen Kargheit spielen Michelsen und Eidinger ihre Rollen aber nicht mit einer deprimierenden Schwermütigkeit, sondern mit dem Ausdruck einer lebensnahen Resignation.

Gestützt wird der bodenständig-melancholische Tonfall durch die Inszenierung, die bei all zu leidvollen Passagen Distanz einnimmt und dafür positivere Passagen zurückhaltend-dokumentarisch in den Mittelpunkt rückt. Fehlt den Figuren der Mut, sich weiter anzunähern, hält sich die Kamera zurück, zeigt das Geschehen in der Totalen, der Zuschauer wird in die Perspektive eines Passanten beim Grenzgang-Fest versetzt. Sexuelle Eroberungen dagegen werden rau und mit ungeschliffener Kameraführung eingefangen – so fehlt ihnen der filmische Kitsch, der viele andere Filme in solchen Passagen befällt, gleichwohl betont Bertele durch die Jauchzer und Schluchzer besonders unterstreichende Tonabmischung all jene Indizien, die aussagen, wie sich die Protagonisten in diesem Moment fühlen.

Alles in allem ist «Grenzgang» ein mit kunstvoller Offenheit sowie niemals provokativer, sondern stets aussagekräftiger Direktheit umgesetzter Blick auf die Befindlichkeiten von Erwachsenen, die nicht den von ihnen erwünschten Platz im Leben fanden. Mit großartigen Hauptdarstellern und unaufdringlicher Inszenierung hält diese Romanadaption die ideale Balance zwischen realistischer Kargheit und Einfallsreichtum.

«Grenzgang» ist am Mittwoch, dem 27. November, ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.

Kurz-URL: qmde.de/67577
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