Fernsehfriedhof

Der Fernsehfriedhof: „Perfekt inszenierte Erbärmlichkeit“

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Folge 265: Erinnerungen an die peinlichste Promi-Doku der TV-Geschichte, die auch von der Presse gnadenlos verrissen wurde.

Quotenmeter.de erinnert an all die Fernsehformate, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 265: Die peinlichste Promi-Doku der TV-Geschichte, die auch von der Presse gnadenlos verrissen wurde.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir der nach eigenen Angaben ersten Live-Hochzeit eines Showstars im deutschen Fernsehen.

«Gülcans Traumhochzeit» fand am 07. August 2007 auf ProSieben statt und stellte den vermeintlichen Höhepunkt einer zugehörigen, gleichnamigen achtteiligen Doku-Reihe dar. In dieser wurden während der vergangenen sieben Wochen die mehr oder weniger turbulenten Vorbereitungen zur Eheschließung zwischen Ex-VIVA- sowie Ex-«Bravo TV»-Moderatorin Gülcan Karahanci und Unternehmersohn Sebastian Kamps aufgeführt. Damit versuchte der Sender an den Überraschungserfolg «Sarah & Marc in Love» aus dem Sommer 2005 anzuknüpfen, der nahezu identisch aufgebaut war. Während sich die Sängerin Sarah Connor und ihr Verlobter Marc Terenzi allerdings noch im Rahmen einer regulären Folge ihrer Serie vermählten, sollte die Heirat von Gülcan nun als mehrstündiges Live-Event im Hauptabendprogramm zelebriert werden. Das gesamte Vorhaben stellte sich jedoch bald für sämtliche Beteiligte als Fehlentscheidung heraus, denn über kaum ein anderes Format war sich die Presse in ihren Urteilen derart einig. Es regnete endlose Verrisse, die sich in ihren negativen Superlativen gegenseitig überboten.

Als Austragungsort der Zeremonie wurde Gülcans Heimatstadt Travemünde auserwählt, denn offenbar fand man kein Gesetz, das beschauliche Städtchen davor schützen zu können. So begann der Abend mit einer rund einstündigen Kutschfahrt der Braut im offenen Wagen, die nur deswegen so lang war, damit währenddessen noch einmal die Höhepunkte der vorangegangenen Episoden wiederholt werden konnten. Dabei machten die Verantwortlichen ein großes Geheimnis um das Aussehen des Brautkleides, das erst bei der Ankunft am Columbia-Hotel in voller Pracht zu erkennen war. Für den STERN beschrieb die Journalistin Katharina Miklis diesen zentralen Moment folgendermaßen: „Was man jetzt zu sehen bekommt, übertrifft alle Befürchtungen und zeigt einmal mehr, dass Gülcan weder Stil noch Geschmack hat. 8.000 Euro hat sie in dieses ‚Kleid’ gesteckt, an dem 60 Stunden herumgeschneidert wurde. 2.000 Swarovski-Kristalle wurden verarbeitet. Letztendlich lässt sich dieser Fummel aber nur als ‚BH mit Rock’ bezeichnen. Dieses Outfit hätte sie in der Wäscheabteilung von C&A billiger bekommen können. Und ‚billig’ ist genau das richtige Stichwort. Lediglich die lange Schleppe lässt vermuten, dass die Braut auf dem Weg zu ihrer eigenen Hochzeit ist. Das Transvestiten-Make-up nimmt der zierlichen ‚Moderatorin’ das letzte bisschen Natürlichkeit.“

Derweil kam ihr zukünftiger Ehemann standesgemäß mit nach hinten gegelten Haaren im gelben Lamborghini zur Musik von David Hasselhoff vorgefahren und gab zu Protokoll, dass ihm „der Arsch auf Grundeis geht“ und er zur Beruhigung schon etwas getrunken hätte. Angesichts solcher Darstellungen war es wenig verwunderlich, dass sein Vater, Heiner Kamps - der Besitzer der gleichnamigen Backshop-Kette, bereits im Vorfeld angekündigt hatte, der Veranstaltung fernzubleiben. Gegenüber der BILD am Sonntag bezeichnete er die Aktion nämlich als „unerträglich und peinlich“. Dies hielt ProSieben dennoch nicht davon ab, fortwährend zu behaupten, dass er bei der Trauung doch unter den Gästen gewesen sei. Man blieb jedoch den visuellen Beweis schuldig.

Wie sich später ebenfalls herausstellte waren die 120 geladenen Gäste, die dem Paar fortwährend zujubelten, größtenteils von der Produktionsfirma gecastet und engagiert worden, damit im Saal keine Plätze frei blieben. Laut BILD-Zeitung hätte es dafür eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 20 Euro gegeben. Dies erklärt wohl auch Gülcans überraschten Blick, als sie bemerkte, dass ihr die Frau, die den Brautstrauß gefangen hatte, offenbar völlig unbekannt war. Immer wieder wurde zudem daher der Glamour-Faktor der Veranstaltung angepriesen und betont, wie zahlreich die Stars angereist wären. Tatsächlich waren während der Übertragung lediglich Formel 1-Reporter Kai Ebel, Ex-„No Angels“-Sängerin Lucy Diakowska und VIVA-Veteran Mola Adebisi zu erkennen. Sogar Gülcans (angeblich) beste Freundin Collien Fernandes hatte ihre Teilnahme kurzfristig abgesagt.

Die Braut ließ sich indessen von diesen Unwägbarkeiten nicht beirren und hielt den gesamten Abend tapfer an ihrem aufgesetzten Lächeln fest. Selbst als der Trauzeuge des Bräutigams eine beinahe beleidigende Ansprache darbot, in der er sie aufforderte, ihrem Ehemann künftig viel Ruhe und Bier zu geben, verzog sie keine Mine. Nach dem langersehnten Ja-Wort und einigen übertriebenen Küssen, wartete auf das frische Ehepaar Kamps eine besondere Überraschung, denn die Techno-Band Scooter spielte als Ersatz für den Brautwalzer einen ihrer Hits. Rein zufällig handelte es sich dabei um die aktuelle Single, auf die der Sänger H.P. Baxxter ausdrücklich hinwies.

Präsentiert wurde das Event von den Moderatoren Steven Gätjen und Natascha Berg, denen deutlich anzumerken war, wie unwohl sie sich bei ihrer Aufgabe fühlten. Der aus dem «Sat.1-Frühstücksfernsehen“ bekannte Celebrity-Kolumnist Torgen Schneider übernahm unterdessen die Rolle des Off-Kommentators, der sich stotternd und einfallslos von einem Programmpunkt zum nächsten hangelte. Angesichts all dieser Schwächen resümierte Katharina Miklis den Abend als „perfekt inszenierte Erbärmlichkeit“. Matthias Hannemann stimmte ihr zu und schrieb bei FAZ.net: „Im Grunde geriet die [...] vermarktete ‚Traumhochzeit’ am Ostseestrand für die Zuschauer zu einem zweistündigen Fernsehalbtraum, wie er allenfalls als Persiflage öffentlich-rechtlicher Monarchenvermählungen zu ertragen wäre.“ Auf Spiegel Online bezeichnete Reinhard Mohr den „Bilderschwall des puren Nichts“ gar als „absoluten Tiefpunkt“, der einen „einfach nur ratlos und verzweifelt, stumpf und sprachlos“ zurückließ.

Die Doku-Serie selbst lief am Dienstagabend um 20.15 Uhr mit Sehbeteiligungen um anderthalb Millionen Zuschauern und Zielgruppen-Marktanteilen zwischen zehn und zwölf Prozent nur recht verhalten und blieb deutlich hinter den Ergebnissen von Sarah Connor und Marc Terenzi zurück. Die große Live-Trauung schalteten hingegen mit durchschnittlich 2,93 Millionen Menschen nahezu doppelt so viele wie die regulären Ausgaben ein. Entsprechend stieg der Marktanteil beim werberelevanten Publikum auf über 18 Prozent an. Ein finanzieller Erfolg kann die Übertragung dennoch nicht gewesen sein, denn in den Reklameblöcken war ein auffällig hoher Anteil an Eigenwerbung zu erkennen.

Trotz der negativen Schlagzeilen um «Gülcans Traumhochzeit» nahm der Sender ProSieben dennoch nicht von solchen Formaten Abstand und schickte im darauffolgenden Jahr sowohl eine zweite Staffel der Eheleute Connor/Terenzi als auch eine neue Sendung mit dem Promi-Paar Giovanni Zarella und Jana Ina auf den Schirm. Übrigens, in der Online-Biografie von Natascha Berg taucht ihr Engagement auf der Kamps-Trauung nicht mehr auf.

Möge die Show in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann einer skandalträchtigen Talkshow, in der ein bekannter Politiker als Puffgänger geoutet wurde.

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