Hingeschaut

«sonntags.live»: Bloß keine Pausen!

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Das neue Mittagsmagazin scheiterte klar an dem Versuch, authentisch eine wohlige Atmosphäre zu vermitteln. Der Ablaufplan war deutlich zu straff, die Präsentation zu hektisch.

Ich finde es extrem spannend, dass hier etwas ganz Neues entsteht: ein buntes Programm für die ganze Familie am Sonntag - das gab es so noch nicht bei RTL. Ich komme mir fast wie eine Pionierin vor und freue mich, wieder für den Sender zu arbeiten, bei dem ich vor fast 15 Jahren meine Karriere angefangen habe. Und dann auch noch zusammen mit Wolfram Kons. Das ist für mich eine Traum-Kombination
Ann-Katrin Schröder über das neue «sonntags.live»
Nachdem bereits das Wochenprogramm von RTL von diversen Morning-Shows, semi-seriösen Nachrichtensendungen und Boulevard-Magazinen geprägt ist, möchte der Privatsender dieses Konzept nun auch am Sonntagmittag etablieren. Die Kosten dürften sich aufgrund des Recyclings diverser Einspieler zwar in moderaten Grenzen halten, andererseits fressen die Gehälter von Moderation und Team, die Strom- und weiteren Betriebskosten des Studios sowie die Gagen für die prominenten Gesprächsgäste gewiss bedeutend mehr Budget, als die schlichte Versendung alter Episoden von «Monk», «Rach» oder «GZSZ». Bei der Umsetzung von «sonntags.live» dominiert also nicht das Streben nach kurzfristigem finanziellen Profit, sondern die Hoffnung der Programmplaner, auf einem Programmslot für einen Funken Relevanz zu sorgen, der bislang von fast allen großen Sendern zur biederen Abspulstation der hauseigenen Konserve degradiert wurde. Nach der Premierenfolge gibt es durchaus Anlass zum Zweifel, ob dieses Kalkül aufgehen kann.

Immer sonntagmittags um zwölf Uhr begrüßen die Moderatoren Ann-Katrin Schröder und Wolfram Kons ihr Publikum ab sofort zum rund 100-minütigen Potpourri aus Lifestyle, Verbraucherschutz, Star-News und ganz entfernt vielleicht auch noch Politik. Wer zumindest ab und an einmal die diversen Morgen- und Mittagsmagazine unserer TV-Landschaft konsumiert, kann sich dabei schon recht gut vorstellen, auf welche Art und Weise dies umgesetzt wird. Auch hier kommt es zum gewohnten Mix aus Einspiel-Filmchen, kurzen, meist inhaltlich belanglosen Interviews im Studio, etwas Musik, ein paar Studio-Aktionen und dem konsequenten Versuch der Präsentatoren, ihren Rezipienten möglichst oft möglichst ein- und vor allem aufdringlich zu zeigen, wie fantastisch doch ihre Stimmung ist.

Da RTL mit Schröder und Kons auf ein Gespann setzt, das jahrelange Erfahrung bei den Morning-Shows «Punkt 6» und «Punkt 9» vorzuweisen hat, funktioniert das mit dem affektierten Lächeln hier super. Beide sind durch die harte Schule der schlechten Überleitungen und des gestelzten Zusammenspiels gegangen, beide beherrschen das Teamwork problemlos, doch wenn es um echte Spontaneität geht, tut sich insbesondere Schröder etwas schwer. Dies merkt man im Umgang mit dem beizeiten ins Geschehen einbezogenen Publikums, aber auch im Gespräch mit den zumeist prominenten Gästen, die oft eher einem vorgefertigten Zeitungs-Interview gleichen als einer spontanen Interaktion.

Doch zu dieser Problematik, die ja in Formaten mit einer derartigen Ausrichtung nicht völlig neu sind, gesellt sich eine weniger vorherzusehende: Die Premiere wirkt regelrecht hektisch. Schon bei der Anmoderation lässt man sich kaum Zeit und steigt stattdessen nach einem kurzen Gang durchs Studio mitsamt eines losen Umrisses der wichtigsten konzeptionellen Eckdaten ohne weitere Umschweife ins erste Thema ein. Dieses ist letztlich belanglos (eine Familie brachte vor zwei Wochen Fünflinge zur Welt), veranlasst die Verantwortlichen aber dennoch dazu, nach einem kurzen Einspieler sogar die glücklichen Eltern zum Gespräch einzuladen - welches allerdings auch nur wenige Minuten dauert und bei dem den Gästen längere Ausführungen kaum ermöglicht werden.

Deutlich relevanter wird es mit der Thematisierung der Vergewaltigungsvorwürfe gegenüber Entertainer Karl Dall. Und wer der gehetzten Anmoderation zu Beginn folgen konnte, hätte sich hier durchaus Hoffnungen auf neue Erkenntnisse machen dürfen. Immerhin kündigte Kons einen RTL-Reporter an, der auf Dalls erstem öffentlichen Auftritt mit ihm gesprochen habe - was sich jedoch als Mogelpackung herausstellt und kaum ernsthaft als Gespräch bezeichnet werden darf. Enttäuschend fällt auch jenes (zumindest als solches zu bezeichnende) mit Sigmar Gabriel aus, das jede Substanz vermissen lässt. Auf journalistischer Ebene versagen die Reporter also - beinahe schon erwartungsgemäß - gleich mehrfach.

Dafür kann man mit einer sehr namhaften Gästeliste glänzen, neben Olivia Jones sind Tim Bendzko, Cassandra Steen und sogar Günther Jauch zu Gast. Das Zauberwort heißt hier selbstverständlich Promotion, denn während Jones und Jauch ihre sogar beide am Sonntag gezeigten Sendungen anpreisen, dürfen Bendzko und Steen selbiges mit ihrer neuen Single tun - in Form eines kurzen Gesprächs mit einem anschließenden, sehr angenehmen und wohltuenden Live-Auftritt. Vollprofi Jauch wiederum führt der Moderation vor Augen, wie man auch vor laufender Kamera ein Gespräch unverkrampft und spontan führen kann - was leider von Schröder und Kons kaum erwidert wird.

Lobend zu erwähnen ist die Mühe, die sich die Macher bei der Vorbereitung ihrer Themen gegeben haben. Es gibt so viele Einspielfilmchen, Aktionen und Gimmicks, dass zu keinem Zeitpunkt Langeweile aufkommt. Andererseits switcht man derart schnell hin und her, dass gleichzeitig auch nie so etwas wie Ruhe in die Sendung kommt und man sich stets gehetzt fühlt - ob das die beste Atmosphäre für einen geruhsamen Sonntagmittag ist, darf bezweifelt werden. Ganz ordentlich funktioniert die Einbindung des Publikums im Studio und vor den TV-Geräten, womit der ersten Folge ganz am Ende doch noch ein kleines Highlight vergönnt ist. Den Klassiker des verpeilten Gewinnspiel-Anrufers hat man auch hier vorzuweisen, die Moderatoren duellieren sich in einem banalen, aber witzigen Spielchen und lässt in den finalen Sendeminuten doch endlich eine gelöstere Stimmung aufkommen.

Insgesamt ist «sonntags.live» ein durchaus löbliches Projekt von RTL, das ohne die ganz große Sensationsgier auskommt und zu Großteilen auch auf einem öffentlich-rechtlichen Sender vorstellbar ist. Die Verantwortlichen bemühen sich unverkennbar um einen vielfältigen und ausgewogenen Themenmix, schaffen es zumindest bei der Premiere allerdings noch nicht, gleichzeitig eine wohlige Atmosphäre zu kreieren. Das Studio ist solide eingerichtet, hat jedoch nur wenig Charme vorzuweisen und die Moderation präsentiert sich typisch "morgenmagazinisch". Das alles ist nicht schlecht und hat vor allem noch Potenzial, doch wird der TV-Zuschauer zu entscheiden haben, ob er hiervon tatsächlich mehr sehen möchte. Aus Sicht eines medieninteressierten Rezipienten kann man sich jedoch über dieses Projekt freuen, schafft es doch zumindest ansatzweise Relevanz zu einer Sendezeit, die sich ansonsten als triste Einöde oft versendeter Serien und Soaps präsentiert. Elementare Erkenntnisse oder fundierte Gespräche mit Substanz sollte man hierbei allerdings nicht erwarten, das Format kann und möchte viel mehr Begleitmedium an einem unbeschwerten Sonntagmittag sein - und hat auch zur Erreichung dieses Ziels noch einen Weg vor sich.

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