Pro von Timo Nöthling
Wir erleben es immer wieder in der Serienlandschaft: Die Gier leitet Sender- und Serienverantwortliche. Shows werden aufgrund ihres Erfolgs so lange wie Zitronen ausgepresst, bis der Zuschauer das Interesse verliert und das Projekt schon lange deutlich an Qualität eingebüßt hat. Den Autoren fehlen die Ideen für neue Geschichten, den Schauspielern fehlt die Lust den gleichen Charakter etliche Staffeln am Stück zu spielen und der Sehgenuss leidet darunter deutlich. Natürlich: Es ist komfortabler für die Verantwortlichen, eine Erfolgsserie am Leben zu halten, anstatt einen Showneustart zu riskieren, der eventuell auf wenig Gegenliebe beim Zuschauer stößt.
Man muss diesen Aspekt aber auch aus der Perspektive des Zuschauers sehen und dabei an den Ehrgeiz der Autoren und Produzenten appellieren: Eine Serie wird nur legendär, bleibt nur eine schöne Erinnerung im Kopf des Zuschauers, wenn die einzelnen Staffeln für sich voll und ganz überzeugen. Das wird immer der Aspekt sein, um den ein «Breaking Bad» einem «Dexter» voraus sein wird.
Münzen wir die Umstände der großen US-Drama-Shows nun auf die kleine deutsche, fiktionale Comedy um: Neben «Pastewka» ragt «Stromberg» als eine der wenigen gescripteten deutschen Comedy-Serien heraus, die mehrere Staffeln umfassen und damit Kritiker und Publikum gleichermaßen überzeugten. Für das Format um den brillanten Christoph Maria Herbst sprangen zwei Grimme-Preise, sechs Deutsche Comedypreise und vier Deutsche Fernsehpreise heraus. Die Sprüche, erdacht von Ralf Husmann, sind in deutschen Büros, Pausenhöfen und Freundeskreisen Kult und die Anhängerschaft ist außerordentlich treu. Wie sonst hätte der «Stromberg»-Kinofilm realisiert werden können? Erst das Crowdfunding ließ Bernd Strombergs Ausflug ins Kino Wirklichkeit werden.
Beste Voraussetzungen also für einen langen Fortbestand des Formats? Ja, wenn der Inhalt des Formats nicht schon fast sämtliche Eventualitäten hinter sich hätte. Nach fünf tollen Staffeln und einem Kinofilm scheint der Zeitpunkt für Bernd Strombergs Serien-Rente nie reifer gewesen zu sein. Die Serie hat die Chance als Ausnahmeprodukt im deutschen Fernsehen abzudanken. Was wären die Optionen für eine weitere Staffel? Strombergs Karriere war bis jetzt schon eine einzige Fahrstuhlfahrt: Vom stellvertretenden Abteilungsleiter ins Archiv, wieder zum stellvertretenden Abteilungsleiter, dann ins Büro-Exil nach Finsdorf und daraufhin zum Abteilungsleiter. Becker kommt, Becker geht – Stromberg steht vor dem Aus, Stromberg steht ganz oben, bei Ulf und Tanja läuft's gut oder eben nicht und bei Ernie „geht’s vom ganzen Seelischen her einfach nicht“ oder eben doch.
„Büro ist wie Achterbahn fahren“, Stromberg sagt es selbst. Damit hat die Serie aber auch nahezu alle Möglichkeiten ausgereizt, mal wieder etwas frischen Wind in das Format zu bringen. Nicht so ein großes Problem, wäre «Stromberg» eine handelsübliche Sitcom. Eine entscheidende Prämisse macht einer weiteren Staffel und einem weiteren Auf und Ab aber allmählich einen Strich durch die Rechnung: Das Büroleben in der Capitol erlebt der Zuschauer nur Dank einer Dokumentation hautnah mit, die Bernd Stromberg bei seinem Arbeitsalltag begleitet – der Anspruch auf realistische Darstellungen und Authentizität ist hier ein ganz anderer als bei handelsüblichen Comedy-Produktionen und die Glaubhaftigkeit würde durch neue Eskapaden Bernd Strombergs noch mehr leiden als bisher schon. Welcher Chef würde nach anhaltenden fachlichen wie sozialen Mängeln noch so lange an einem Mitarbeiter festhalten?
Gewiss: Angesichts der Entwicklungen im Kinofilm könnte man die Serie weitererzählen, dann aber würden sich die neuen Staffeln inhaltlich stark von den bisherigen abheben. Daher ist es besser, auf diesem Höhepunkt aufzuhören, ehe eine Fortführung die Zuschauer nur entfremdet und enttäuscht zurücklässt, nachdem sie sich so für das Format eingesetzt haben. Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen diesen Moment erkennen. Lasst den Papa ruhen!
Contra von Sidney Schering
Über die Dauer von fünf Staffeln mit insgesamt 46 Episoden hinweg bombardierte Bernd Stromberg seine treuen Zuschauer mit politisch inkorrekten Pseudo-Weisheiten und irrwitzig zusammengestammelten Vergleichen. Doch die von Ralf Husmann geschriebene Büro-Mockumentary «Stromberg» ist weit mehr als nur die Summe ihrer kultigen Zitate: Im Laufe der Jahre gab es so manche Veränderung in der Seriendynamik, wodurch der Horizont des Formats stetig erweitert wurde. In der ersten Handvoll Episoden beruhte der Sehgenuss hauptsächlich auf einem makaberen Fremdscham an den konsequent stereotypisierten Figuren und einer Faszination am tristen, von Intrigen durchzogenen Büroalltag in der Capitol Versicherung.
An den Höhen und Tiefen von Strombergs Berufskarriere und den zunehmend bissiger geschilderten Eskapaden im Privatleben der zentralen Figuren wuchs die Serie «Stromberg» allerdings über sich hinaus. In späteren Jahren gingen für den engagierten Zuschauer Fremdscham, Mitleid, Freude und Abscheu vor hinterhältigen Aktionen Hand in Hand. Und so wurde aus der, den Büroalltag persiflierenden Serie eine tragikomische Mockumentary über äußerst markante Charaktere – denen die fiktiven Dokumentarfilmer halt zufällig in einem Versicherungs-Großraumbüro begegneten.
Die Fans machten diesen Wandel zum Großteil sehr erfreut mit – schließlich finanzierten sie erfolgreich den derzeit in deutschen Lichtspielhäusern laufenden Kinofilm, nachdem die TV-Serie längst erfolgreich an ihrem Ursprungskonzept herumschraubte. Der Leinwandausflug Strombergs führt die auf der Mattscheibe begonnene Entwicklung des Formats fort: Der Humor ist so rabenschwarz wie von Beginn an, doch die Figuren stehen weit stärker im Fokus der Handlung als die pseudodokumentarische Schilderung eines kargen Büroalltags. Wie Ralf Husmann im Rahmen der Weltpremiere von «Stromberg – Der Film» möglichst spoilerfrei andeutete, ist dieser Kinofilm „das Letzte, was wir von Stromberg, wie wir ihn kennen, sehen werden.“
Sollte «Stromberg» in die sechste Staffel gehen, würden sich nach dem ereignisreichen Kinofilm zwei Optionen anbieten: Lieblose, mutlose Serienmacher würden da weitermachen, wo die Serie in der fünften Staffel aufhörte. Mutige Serienverantwortliche würden das Sprungbrett, das der Kinofilm darstellt, nutzen und sich in neue Gewässer stürzen. Die subtile Wandlung der Serie in ihren fünf Staffeln und Husmanns Statement auf der Filmpremiere machen klar, dass er, sowie «Stromberg»-Regisseur und «Der Tatortreiniger»-Schöpfer Arne Feldhusen nicht daran interessiert sind, sich einfach zu wiederholen. Dass eine eventuelle sechste Staffel auf ausgetretenen Pfaden wandeln wird, ist also ausgeschlossen. Und dass «Stromberg»-Fans unwillens sind, frischen Wind willkommen zu heißen, ist angesichts der euphorischen Reaktionen auf den Kinostreifen auch eher unwahrscheinlich.
Die im Kino vollendete Metamorphose Strombergs ermöglicht es, den Figuren und ihrem Humor treu zu bleiben, gleichzeitig aber storytechnisch neue Ufer anzusteuern und zudem noch bissigere Satire abzuliefern als in den ersten fünf Serienstaffeln. Bedenkt man zudem, dass die «Stromberg»-Macher allesamt keine Fließbandarbeiter sind und lieber nur alle paar Jahre wenige, dafür umso bessere Episoden abliefern, darf man die Qualität neuer Folgen äußerst optimistisch einschätzen. Wenn also, nachdem sich der Hype um den Kinofilm gelegt hat, eine neue «Stromberg»-Staffel mit allen alten Bekannten angekündigt wird, dann wird dies ein glücklicher Tag für die deutsche Fernsehlandschaft.