Die Kritiker

«Tatort: Brüder»

von

Im neuen Bremer «Tatort» bekommen die Ermittler es mit einem arabischen Verbrecherclan zu tun. Ein gelungener Fall oder Anlass für Fremdscham?

Inhalt


Hinter den Kulissen

  • Regie: Florian Baxmeyer
  • Drehbuch: Wilfried Huismann & Dagmar Gabler
  • Kamera: Marcus Kanter
  • Schnitt: Friederike Weymar
  • Produzent: Stephan Bechtle
Die Bremer Kommissare Anne Peters und David Förster erhalten während ihrer nächtlichen Streife einen Notruf von einem Mann, der sich in der Nähe einer Bahnstrecke von Unbekannten bedroht fühlt. Dort angekommen werden die jungen Polizisten von drei Männern angegriffen. Peters landet daraufhin im Krankenhaus, Förster verschwindet ebenso wie einer der Männer spurlos. Als die erfahrenen Kollegen der Streifenpolizisten, Hauptkommissarin Inga Lürsen und Hauptkommissar Nils Stedefreund, später am Ort des Geschehens eintreffen, finden sie Anzeichen darauf, dass ein Mord geschehen sein muss.

Whrend der Spurensuche stellen die Hauptkommissare die Vermutung auf, dass Peters und Förster kurz davor waren, die Machenschaften eines arabischen Verbrechersyndikats zu beobachten und daher attackiert wurden. Einen Tag später erhärten sich die Verdächtigungen, womit der berüchtigte Gangsterboss Hassan Nidal ins Visier der Untersuchungen gerät …

Darsteller


Sabine Postel («Der Dicke») als Hauptkommissarin Inga Lürsen
Oliver Mommsen («Alles außer Sex») als Hauptkommissar Nils Stedefreund
Camilla Renschke («Teufelsbraten») als Helen Reinders
Matthias Brenner («Das Leben der Anderen») als Gerichtsmediziner Dr. Katzmann
Christoph Letkowski («Feuchtgebiete») als David Förster
Hassan Akkouch («Verbrechen nach Ferdinand von Schirach») als Mo Nidal
Kailas Mahadevan («Eine verhängnisvolle Nacht») als Ahmed Nidan
Dar Salim («Game of Thrones») als Hassan
Matthias Weidenhöfer («Frauenherzen») als Mesut
Anna-Lena Doll als Anne Peters

Kritik


Nach dem unspektakulären Jubiläum übt sich der «Tatort» mit seiner 901. offiziellen Folge wieder darin, mit brisanten Themen eine heftige Kontroverse zu riskieren. Regisseur Florian Baxmeyer, der einige der energetischsten Bremer Fälle sowie den 2009 von der Kritik gefeierten, atypischen Hamburger Neunzigminüter «Tatort: Häuserkampf» inszenierte, konfrontiert sein Publikum in diesem Krimi nämlich nahezu durchgehend mit einem sehr prekären, hochpolitischen Thema: Die Furcht der Polizei vor organisierten, ultrabrutalen Verbrecherfamilien aus dem arabischen Raum. Es ist eine nah an realen Schlagzeilen orientierte Geschichte, die Baxmeyer hier nach einem Drehbuch von Dagmar Gabel sowie des Grimme-Preisträgers und erfahrenen Dokumentarjournalisten Wilfried Huismann ausbreitet. So ziehen die Verantwortlichen mit ihrem «Tatort» deutliche Parallelen zu einer kurdisch-arabischen Sippe, die 2010 die Bremer Justiz einschüchterte. Bedenkt man obendrein, dass deutsche Politiker momentan einmal mehr mit Hochdruck über Zuwanderungs- und Integrationspolitik debattieren, so dürfte es kaum überraschen, wenn der neuste Bremer-«Tatort» so manch einen offenliegenden Nerv trifft.

Wann immer die öffentlich-rechtliche Krimireihe relevante Themen ins Visier nimmt, geht sie selbstredend auch Gefahr, stark zu verallgemeinern oder sogar zu stereotypisieren. Die komplizierte Gratwanderung, die es daher zu meistern gilt, beherrscht «Tatort: Brüder» jedoch – weitestgehend. Der Strafverteidiger des Clanchefs wird in seinen wenigen Sätzen als schmieriger Lackaffe dargestellt und während der Gerichtsverhandlung verhalten sich Familie und Verbündete Hassans wie Zuschauer und Zeugen in den lautesten Episoden «Richterin Barbara Salesch». Diese Überzeichnungen hätte es wahrlich nicht gebraucht, zumal Baxmeyer, Gabel und Huismann ansonsten mit effektiven Mitteln dagegen steuern, dass aus diesem «Tatort» über von wenigen Immigranten ausgehender Gewalt ein platter «Tatort» über ein vermeintliches Ausländerproblem wird. Es sind simple Wege, die dazu dienlich sind, solch ein differenziertes Bild zu zeichnen. Da allerdings noch immer viele Problemfilme diese einfachen Tricks ignorieren, ist es umso löblicher, dass sie im «Tatort: Brüder» Verwendung finden: Eine kurze Szene, in der zwei lautstark tönende, auffällig gekleidete junge Erwachsene mit Migrationshintergrund einem verletzten Polizisten helfen, verdeutlicht ebenso sehr, dass in diesem Krimi keine „Gute Deutsche, böse Ausländer“- Mentalität vorherrscht, wie die zentrale Rolle des Clan-Aussteigers und Polizeicoachs Mesut (charismatisch gespielt von Matthias Weidenhöfer).

Bei all diesen politischen Anleihen inszenierte Baxmeyer mit «Tatort: Brüder» dennoch kein schwerfälliges Kriminaldrama: Stattdessen gelang ihm ein brisanter, mit knallharter Dramaturgie versehener Thriller. Kameramann Marcus Kanter fängt das Geschehen in kühlen, rauen Bildern ein, die mit ihrer schroffen Umsetzung und steten, aber unaufdringlichen Kamerabewegungen Realismus ausstrahlen. Dennoch setzen Kanter und Baxmeyer nicht auf den tristen pseudo-dokumentarischen Stil, der nunmehr nahezu jeden halbwegs brisanten Kriminalfilm begleitet: Ein atmosphärisches Spiel mit Licht und Schatten unterstreicht die Brisanz und Theatralik der Handlung und hebt den Look auf Kinoniveau. Die musikalische Untermalung ist zurückhaltend, dennoch effektiv und der temporeiche, nie hektische Schnitt verstärkt insbesondere in den letzten zwanzig Minuten die Sogwirkung der packenden Story.

Auch darstellerisch zählt die 901. «Tatort»-Folge zu den gelungeneren: Sabine Postel und Oliver Mommsen, deren Hauptkommissare dieses Mal ohne Subplots über ihr Privatleben auskommen müssen, dienen als glaubwürdige Ruhepole und kommentieren das Geschehen einsichtsvoll-kritisch. Währenddessen sind Dar Salim als gerissener und bedrohlicher Hassan, Weidenhöfer als Schlüsselfigur im Kampf gegen die übermächtig wirkende Verbrecherfamilie und Christoph Letkowski als mutloser, doch engagierter Streifenpolizist David die wahren Hauptfiguren dieses Kriminalstücks und weisen allesamt natürlicher Zwischentöne mehrere charakterliche Dimensionen auf.

Fazit:Allein schon inszenatorisch hätte es sich «Tatort: Brüder» redlich verdient, an Stelle des vergangenen Odenthal-Falls als Jubiläumsepisode in die Geschichte des öffentlich-rechtlichen Dauerrenners einzugehen. Auch inhaltlich ist der Umgang mit der Integrationsthematik um Längen sensibler und vielschichtiger als kürzlich in «Tatort: Türkischer Honig». Da jedoch ausgerechnet der Schluss zu stark mit bürgerlichen Ängsten spielt und auch zwischenzeitlich grobe Überzeichnungen das sonst so positive Gesamtbild trüben, reicht es nicht für eine uneingeschränkte Sehempfehlung.

«Tatort: Brüder» ist am Sonntag, den 23. Februar 2014, um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.

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