Die Kritiker

«Der Rücktritt»

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Es ist das Fiction-Event von Sat.1 im ersten Quartal 2014: Das Doku-Drama über Bundespräsident Wulff, produziert von Nico Hoffmann. Christian Richter aber stellt die Frage, wieso der Film überhaupt produziert wurde, wenn darauf verzichtet wird, bewusst eine Position im Film zu ergreifen. Über einen komplizierten Sachverhalt...

Inhalt:


Produktion und Stab:

  • Regie: Thomas Schadt
  • Produktion: Nico Hofmann, Joachim Kosack, Benjamin Benedict
  • Drehbuch: Thomas Schadt unter Mithilfe von Jan Fleischhauer
  • Basierend auf: „Affäre Wulff“ von Martin Heidemanns und Nikolaus Harbusch
  • Produktionsfirma: UFA Fiction GmbH
Als der amtierende Bundespräsident Christian Wulff am 17. Februar 2012 zurücktrat, lagen 68 aufreibende Tage hinter ihm, in denen er einer öffentlichen Diskussion um seine Glaubwürdigkeit und Unbestechlichkeit ausgesetzt war. Ausgelöst wurden die Ereignisse durch eine Recherche der Bild-Zeitung über ein Einfamilienhaus in Großburgwedel. Es folgten unzählige weitere Enthüllungen über vermeintliche Vorteile, die Wulff noch während seiner Tätigkeit als niedersächsischer Ministerpräsident angenommen haben soll, ein Drohanruf beim Chefredakteur der Bild sowie ein umstrittenes TV-Interview. Fast genau zwei Jahre später rekapituliert der Film die wichtigsten Momente der Causa Wulff als Doku-Drama, in dem nachgespielte Szenen mit originalen Fernsehausschnitten kombiniert wurden.

Darsteller:


Kai Wiesinger («14 Tage lebenslänglich», «Die Anwälte») als Christian Wulff
Anja Kling («(T)Raumschiff Surprise: Periode 1», «Das Adlon. Eine Familiensaga») als Bettina Wulff
Holger Kunkel («Das Konklave») als Olaf Glaesecker
Thorsten Merten («Halbe Treppe», «Halt auf freier Strecke») als Martin Heidemanns
Christian Ahlers («66/67 - Fairplay war gestern») als Nikolas Harbusch
René Schönenberger («Das Geheimnis meines Vaters») als Lothar Hagebölling
Hans-Jochen Wagner («Das Beste aus meinem Leben», « Ende der Schonzeit») als Kai Diekmann

Kritik:


Äußerst akribisch versucht Regisseur und Drehbuchautor Thomas Schadt die Ereignisse der dargestellten 68 Tage nachzuzeichnen und die komplexen Zusammenhänge zu rekonstruieren. Dies gelingt ihm sehr gut und nachvollziehbar. Die Spielszenen sind glaubwürdig und die Dialoge authentisch. Die Inszenierung ist spannend umgesetzt und die Besetzung gelungen. Einzig Kai Wiesingers Darbietung von Christian Wulff irritiert etwas. Nicht, dass er die Rolle nicht gut ausfüllen und verkörpern kann. Im Gegenteil, er liefert im Prinzip eine beachtliche Leistung ab. Sein Wulff tritt aber deutlich entschlossener, selbstbewusster und energischer auf, als man es vom „echten“ Wulff gewohnt war. Dies wäre nicht weiter störend und könnte als eine eigene Interpretation der Figur angesehen werden, wenn originales Bildmaterial vom „echten“ Wulff nicht ständig im Film präsent wäre. Im direkten Vergleich fällt der Unterschied zwischen beiden Darstellungen umso stärker auf. Hier zeigt sich, dass Wiesingers Figur nur wenig von dem unsicheren und demütigenden Gestus hat, den Wulff in den letzten Tagen seiner Amtszeit öffentlich zeigte.

Handwerklich bekommt man damit ein gelungenes Werk dargeboten, das sich deutlich vom konventionellen TV-Einheitsbrei abhebt und doch schwingt über die gesamte Laufzeit ein wesentlicher Mangel mit.

Bei der feierlichen Kino-Premiere in Berlin sagte der verantwortliche Produzent Nico Hofmann: „Am Ende des Tages geht es um Haltungen“, also darum Positionen zu beziehen und diese auch zu verteidigen. Hofmann sprach daher vielen der Beteiligten an der damaligen Angelegenheit seinen Respekt aus, weil sie eine solche Haltung bewiesen hätten. Umso unverständlicher ist es daher, dass der Film eine solche Haltung völlig vermissen lässt. Bewusst hatten sich die Macher dafür entschieden, die Ereignisse neutral zu schildern; sich nicht auf die Seite von Wulff als Opfer oder auf die Seite der Presse zu schlagen. Sie versuchten, damit allen beteiligten Parteien gerecht zu werden. Sicherlich auch aus juristischen Gründen, denn schließlich hatten im Vorfeld viele Menschen ihr Persönlichkeitsrecht eingefordert und gegen zahlreiche Passagen Einspruch erhoben.

Gerade in diesem Anspruch, allen gefallen zu wollen oder zu müssen, liegt die grundsätzliche Schwäche des Films, der deswegen trotz aller handwerklicher Qualitäten blass und unbeeindruckend bleibt. Er kann schlicht nichts zur Causa Wulff beitragen, abgesehen davon, dass er die Ereignisse noch einmal chronologisch nacherzählt. Dafür wäre jedoch eine reine Dokumentation ebenso geeignet gewesen – zumal an den entscheidenden Wendepunkten ohnehin auf dokumentarisches Footage zurückgegriffen wurde.

Es bleibt die Frage, wieso man dann diesen Film dreht, wenn man genau genommen nichts damit aussagen will, außer dass der Sachverhalt kompliziert ist. Der zugrundeliegende Vorfall hätte so viele interessante Möglichkeiten liefern können, wenn man sich nur dazu entschlossen hätte, eine Position zu beziehen oder die Ereignisse konsequent aus einer Perspektive zu erzählen. Einige Ansätze liefert das Resultat dafür sogar, etwa wenn Bettina Wulff als eine Frau gezeigt wird, die sich nie mit dem Leben im Schloss Bellevue anfreunden konnte. Hier bricht die Filmfigur mit dem öffentlichen Bild der „echten“ Bettina Wulff, die oft als die eigentlich treibende Kraft hinter der Karriere von Wulff dargestellt wurde.

All dies wäre verzeihlich, wenn das Ergebnis nicht diesen Impetus umgeben würde, einen großen Beitrag zur deutschen Geschichte leisten zu wollen. Dieser entsteht nicht zuletzt dadurch, dass er keine kleine Affäre, sondern den vielleicht größten Politik-Medien-Skandal der vergangenen Jahre thematisiert und diesen wiederum nicht nur in kleinen Ausschnitten, sondern als große Gesamtheit angeht. Verstärkt wird dieser Eindruck durch den fortwährenden Rückgriff auf dokumentarisches Material, wodurch der Film danach zu schreien scheint, die große Aufklärung leisten zu wollen. Diese bleibt aber gerade aus. Vielmehr arbeitet sich der Stoff fast ausschließlich an jenen Tatsachen ab, die sowieso bereits bekannt waren. So scheitert das Projekt trotz der guten Darsteller und der gelungenen Umsetzung letztlich an den selbst gestellten Ambitionen und Ansprüchen.

Das größte Armutszeugnis - und das ist wahrlich nicht den Machern des Filmes anzulasten - stellt sich jedoch der verantwortliche Sender Sat.1 mit «Der Rücktritt» selbst aus, denn in den unzähligen originalen TV-Ausschnitten fanden sich gerade einmal zwei kleine Schnipsel, die sichtlich aus dem eigenen Programm stammten. Stattdessen sind Segmente aus Nachrichten, Übertragungen und Talkshows von allen anderen Kanälen, vor allem der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz, zu erblicken. Auf diese Weise wird unfreiwillig entlarvt, wie wenig Sat.1 damals selbst an der öffentlichen Debatte um Christian Wulff teilgenommen hat. Das lässt tief in das Nachrichtenverständnis des Kanals blicken und macht es umso fraglicher, wieso dieser Film nun ausgerechnet dort gezeigt wird.

Fazit: Das Doku-Drama «Der Rücktritt» – ohne den politischen Kontext, dem es sich selbst verpflichtet - ist als solches gut gemacht und durchaus sehenswert. Es bleibt jedoch mit seiner bewusst gewählten Neutralität weit hinter seinen politischen Möglichkeiten zurück und beraubt sich selbst dem Status eines Must-See-Events.

Sat.1 zeigt «Der Rücktritt» am Dienstag, den 25. Februar, um 20.15 Uhr.

Kurz-URL: qmde.de/69205
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