Inhalt
Hinter den Kulissen
- Regie: Carsten Ludwig
- Buch: Carsten Ludwig (nach einer gemeinsamen Idee mit Jan-Christoph Glaser)
- Kamera: Stefan Ciupek
- Schnitt: Dan Loghin
- Musik: Dirk Dresselhaus
- Ton: Bernd von Bassewitz
- Ausstattung: Petra Albert
- Kostüm: Anne-Gret Oehma
- Produzenten: Katja Kuhlmann und Jörg Schulze
Darsteller
Ulrich Thomsen («Das Fest») als Fahrer
Max Mauff («Stromberg») als Junge
Selina Maluche als Tramperin
Peter Pauli («Mandy will ans Meer») als Älterer Herr
Henning Bormann («Mein Mann, der Trinker») Polizist
Kritik
Die ZDF-Redaktion „Das kleine Fernsehspiel“ gab Nachwuchsfilmern eine faszinierende Aufgabe: Sie sollten einen Fernsehfilm drehen, der inklusive Vor- und Abspann maximal 67 Minuten Laufzeit aufweist und unter der Dachmarke «Stunde des Bösen» laufen kann. Regisseur und Autor Carsten Ludwig nahm sich dieser Herausforderung an und schuf eine bewusst konzentrierte Schreckensgeschichte. Ein beengter Handlungsraum, wenige Figuren und trotz schwerer Themen keinerlei Voyeurismus – dafür zeichnet Ludwig ein äußerst nahegehendes, nachhallendes Grauen: Ein lauter, bedrohlicher Jugendlicher reißt die Autotür eines unbescholtenen, einsamen Verkehrsteilnehmers auf, hält ihm eine Pistole an den Kopf und befiehlt ihm, sofort loszufahren. Zwar keine alltägliche Situation, wohl aber dürfte der Gedanke „Was, wenn jemand einfach die Tür aufreißt und einsteigt?“ ein Schreckensszenario sein, über das wohl viele Autofahrer schon einmal grübelten. Durch die bodenständige, auf Überzeichnungen verzichtenden Inszenierung Ludwigs schürt «Stunde des Bösen – In der Überzahl» effektiv diese Ängste und nutzt diese Ausgangslage daraufhin als überaus intelligent gewählten Rahmen für ein wesentlich schwerwiegenderes Thema:
Während der von Ängsten erfüllten Irrfahrt geben die PKW-Insassen mehr und mehr von sich preis – und statt den bei solchen Kammerspielen gern gewählten, naheliegenden, aber auch hanebüchenen Twist zu bringen, langsam zu enthüllen, dass das Opfer in Wahrheit die bedeutsam gefährlichere Person ist, deutet Ludwig nach wenigen Minuten grausame Hintergründe über den pistolenschwingenden Jugendlichen an: Beim Entführer handelt es sich um einen Amokläufer, der vom Tatort flieht. Nicht nur dies allein steigert durch die unweigerlichen Implikationen die Spannung, vor allem ist es das unberechenbare Verhalten des Täters, dass für eine nervenaufreibende Atmosphäre sorgt. Der Bube ist unbelesen, arrogant, frech und ungeduldig – eine Nervensäge nach allen Regeln der Kunst, eine Figur, die den Filmzuschauer anstrengt und bei der er angesichts einer anderen Grundsituation den Protagonisten nur noch anfeuern würde, ihr ordentlich die Leviten zu lesen oder gar eine ordentliche Backpfeife zu geben, damit sie Ruhe gibt und auf den Boden kommt.
Verständliche, jedoch törichte Impulse – schließlich sitzt der Jugendliche, der in einem konventionellen Thriller wohl die Position des Rotzbengels einnehmen würde, dank seiner Waffe am längeren Hebel und aufgrund seiner kürzlich begangenen Taten besteht auch kein Zweifel daran, dass er nicht nur eine aggressive Maskerade spielt. Somit erzeugt der viel versprechende Filmemacher Ludwig nicht nur durch das Anschneiden rauer Gewalttaten Anspannung, sondern auch durch sein intuitives Verständnis des menschlichen Charakters. Nicht nur der Zuschauer würde den von «Stromberg»-Randdarsteller Max Mauff wunderbar beißend-anstrengend gespielten Entführer am liebsten auf seinen Platz verweisen, er wünscht sich zudem dass der Fahrer dies endlich tut. Dieser Wunsch entsteht konsequenterweise auch in der Hauptfigur, zu erkennen daran, wie die besonnene Maske des von Ulrich Thomsen unaufdringlich verkörperten Geschäftsmannes unaufhörlich bröckelt. Todesangst, Ekel vor den Taten des Amokläufers und Wut über sein dreistes Gehabe vermengen sich zu einer explosiven Mischung, die dem Fahrer jedoch gefährlich wird – so dass er sich schmerzlich immer wieder am Riemen reißen muss.
Carsten Ludwigs Thriller ist jedoch mehr als nur eine eindrucksvoll gespielte, beunruhigende Spannungsgeschichte, sondern auch ein geistreicher Versuch, das schwierige Thema Amoklauf filmisch anzupacken. Statt eines Gewaltdramas, das sich spekulativ darin versucht, vor der Tat zu zeigen, was einen Menschen dazu treiben kann, zeigt Ludwig eine unmittelbare Nachbetrachtung. Dies klammert die pietätlose Schilderung von Gewalt und die schnell klischeehaft geratende Skizzierung von Schulmobbing oder schlechten Einflüssen aus, ohne aber zugleich den Täter prätentiös in eine beklemmende, ungreifbare Gestalt zu verwandeln. Im widerwilligen Gespräch mit dem Fahrer reißt der Täter zahlreiche teils sehr plausible Aspekte an, die darauf schließen lassen können, was ihn zum Amokläufer gemacht haben könnte. Aber was Fassade ist und was den grauenhaften, finsteren Kern trifft – darüber können sich die Zuschauer nur ein Bild voller Mutmaßungen machen. Bestätigte Wahrheiten gibt es nicht, gleichwohl ist zu spüren, wie nah sie liegen. Und dieser komplexe Widerspruch ist letztlich der größte Schrecken von allen.
«Stunde des Bösen – In der Überzahl» ist in der Nacht von Montag, dem 10. März 2014, auf Dienstag, den 11. März 2014, ab 0.10 Uhr im ZDF zu sehen.