Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir der Jagd nach einer Programmidee, die fast so hektisch ablief, wie die letzten Tage vor dem Mauerfall.
Die Ostalgie-Shows entstanden zu einer Zeit, als das deutsche Fernsehprogramm unter einer wahren Retro-Welle begraben wurde. Nachdem «Die 80er Show» mit Oliver Geissen sowie «Die 70er Show» mit Hape Kerkeling unerwartet hohe Sehbeteiligungen erzielen konnten, war man allerorts auf der Suche nach vergangenen Themen, Zeitspannen und Events, auf die man mit einem romantisch-verklärten Blick zurückschauen konnte. Gleichzeitig avancierte der Kinofilm «Good Bye, Lenin» mit über sechs Millionen Besuchern zu einem überraschenden Publikumsrenner, der scheinbar bewies, dass es ein großes Interesse an den Verhältnissen in der DDR gab. Was lag daher näher, als diese beiden Trends miteinander zu verbinden?
Der ehemalige sozialistische Staat bot sich als Thema für einen TV-Rückblick geradezu an, brachte doch der Alltag innerhalb der Mauer zahlreiche Eigenheiten und witzige Kuriositäten hervor. Zudem gab es noch eine große Gruppe an ehemaligen DDR-Bewohnern, die ihrem früheren Land wehmütig nachtrauerten, während vielen Personen aus der BRD die ehemalige Ost-Zone weitestgehend unbekannt und daher mysteriös erschien. Darüber hinaus waren zu jener Zeit bereits 13 Jahre seit der Wiedervereinigung vergangen, sodass für einen entsprechenden Rückblick schon genug Zeit vergangen zu sein schien. Gerade weil diese Idee so naheliegend und vielversprechend war, entstand im Sommer 2003 ein wahrer Wettlauf unter den TV-Kanälen, wer sie am schnellsten umsetzen konnte.
Als erster Bewerber machte der Sender RTL im Juni 2003 sein Vorhaben öffentlich, eine vierteilige Reihe namens «Die DDR Show» produzieren zu wollen. Diese sollte exakt nach dem Vorbild der vorangegangenen 70er- und 80er-Fassungen umgesetzt und dementsprechend von Oliver Geissen moderiert werden. Da dieser aber in Westdeutschland aufwuchs und keine eigenen Erfahrungen mit dem Leben in der DDR einbringen konnte, bekam er die aus Chemnitz stammende Eiskunstläuferin Katarina Witt als Partnerin an die Seite gestellt. Als Starttermin visierte man den kommenden September an.
Kurz nach Bekannt werden dieser Pläne zogen sowohl der direkte Gegenspieler Sat.1 als auch das ZDF und der MDR mit der Ankündigung eigener Ost-Rückblicke nach. Insbesondere bei den öffentlich-rechtlichen Varianten gelang dies vor allem dadurch, dass die Vorbereitungszeiten kurz gehalten und die Sendungen hektisch umgesetzt wurden. Alle vier Formate hatten gemein, dass die Erinnerungen in eine amüsante Show eingebettet wurden, in der ehemalige DDR-Promis nette Geschichten von früher erzählten.
Folglich schloss sich eine wahre Jagd nach verwertbaren Ost-Stars an, die jeder exklusiv verpflichten wollte. In diesem Wettstreit hatten vor allem die öffentlich-rechtlichen Redaktionen das Nachsehen, weil sie den kürzesten Vorlauf hatten und die besten Gäste damit schon vergriffen waren. So konnte sich Sat.1 unter anderem Nina Hagen, Bürger Lars Dietrich, Frank Schöbel, Kai Pflaume, Gojko Mitic, Andreas Elsholz, Peter Sodann, Bernd Michael Lade, Karsten Speck, Enie v. d. Meiklokjes, Achim Mentzel, Detlef D! Soost, Jürgen Sparwasser, Nadine Krüger und Claudia Schmutzler sichern. Als besonderes Highlight gelang es dem Team zudem Hugo Egon Balder und Wolfgang Lippert auf der Bühne zu vereinen, die das gleiche Lied "Erna kommt" jeweils in einem der beiden Teile Deutschlands veröffentlicht hatten. Außerdem war es geplant, Gregor Gysi auftreten zu lassen. Dieser wanderte jedoch kurzfristig zur Konkurrenz von RTL ab, wo er neben Henry Maske und den beliebten Bands Puhdys, City, Karat und Die Prinzen zu sehen war. Dagegen konnte das ZDF immerhin noch Udo Schenk, Ute Freudenberg, Dagmar Frederic sowie Eiskunstläuferin Mandy Wötzel begrüßen, wodurch für den MDR am Ende nur noch Eva-Maria Hagen und der FKK-Fotograf Günter Rössler übrig blieben.
Letztendlich gewann überraschenderweise das ZDF das Rennen. Die Anstalt zeigte ihre «Ostalgie-Show» am 17. August und damit rund zwei Wochen vor dem Start der RTL-Konkurrenz. Nur fünf Tage später schob der MDR seinen Versuch unter dem Titel «Ein Kessel DDR» nach. Möglich war dieses für ein drittes Programm unübliche schnelle Reagieren dadurch, dass eine ohnehin geplante Produktion mit Franziska Schenk und Gunther Emmerlich kurzerhand umgebaut wurde.
Doch zurück zum ZDF. Mit Andrea Kiewel («Talk X», «Kämpf um Deine Frau») und Marco Schreyl («Der große Preis») führten zwei Gesichter, die hinter der Mauer geboren wurden, durch den einmaligen TV-Abend. Aufgezeichnet wurde dieser schlicht auf dem Gelände vom «ZDF Fernsehgarten», das ohnehin zu jener Zeit wöchentlich durch Kiewel bespielt wurde. Mitten in Mainz erinnerte man also an Spreewaldgurken, Rotkäppchensekt sowie Schlagersüßtafeln und mit einem Trabbi-Corso an das typische DDR-Auto. Kurz, es wurde ein Ost-Klischee nach dem anderen bedient – was besonders durch das Mitwirken von Andrea Kiewel nicht anders zu erwarten war.
Entsprechend vernichtend fielen die nachfolgenden Pressestimmen aus, denn kaum ein anderes Format versammelte derart übereinstimmende und heftige Kritiken. In der Berliner Zeitung wurde es etwa als „hysterische Nummernrevue“ beschrieben, „die handwerklich so schlecht gemacht war, dass sich das DDR-Fernsehen dafür geschämt hätte“. Die FAZ bezeichnete das Ergebnis hingegen als „nacktes, kaltes Grauen, üppig sprießend im Fernsehgarten auf dem Mainzer Lerchenberg“. Zudem beschwerten sich viele westdeutsche Bürger darüber, dass sie nicht allen Elementen folgen konnten, weil nur Ossis unter sich sprachen und kaum Erklärungen für Nicht-Eingeweihte gaben. Ähnliche Ansätze waren auch bei der MDR-Show zu erkennen, was sich allerdings als nicht so problematisch herausstellte, weil das Fernsehpublikum ohnehin fast vollständig aus ehemaligen DDR-Bürgern bestand.
Noch stärker als die qualitative Umsetzung wurde der unkritische Umgang mit dem politischen System der DDR und die Verfälschung der tatsächlichen Verhältnisse bemängelt. Die Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld beklagte sich darüber, dass in den Sendungen eine DDR gezeigt würde, von der die SED immer behauptet habe, dass sie so existiere. Unterstützung erhielt sie von anderen Aktivisten, die allesamt eine „fürchterliche Bagatellisierung der Diktatur“ beanstandeten. Insbesondere die FAZ warf dem ZDF die „unterhaltende Verharmlosung und subkutane Verklärung eines Regimes“ vor. Unterdessen zeichnete sich für den Journalisten Christoph Schultheis durch das Gezeigte ein Bild ab, das die DDR lediglich als "einen irgendwie durchgeknallten Vergnügungspark für Fans des schlechten Geschmacks, armselig und exzentrisch“ zeigt. Verantwortlich für diese Urteile war stets die Tatsache, dass politische Themen wie Dauerüberwachungen, Verfolgungen von politischen Gegnern oder Mauertote - wenn überhaupt - nur sehr oberflächlich und hektisch angesprochen wurden. So gab es für die Fluchtgeschichte von Udo Schenk im ZDF kaum Zeit und auch Eva-Maria Hagen, die heftig in Konflikt mit der DDR-Regierung geraten war, durfte im MDR nur über ihre Tochter Nina sowie die FKK-Kultur sprechen.
Hinsichtlich der erzielten Einschaltquote muss die 90minütige «Ostalgie-Show» vom ZDF dennoch als Erfolg gewertet werden, denn im Durchschnitt hatten 4,78 Millionen Menschen am Sonntagabend ab 21.45 Uhr eingeschaltet. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR betrug der Marktanteil sogar über 33 Prozent. Am darauffolgenden Freitag konnte sich der MDR dank 0,82 Millionen Zusehern und einem Marktanteil von 22,8 Prozent im Sendegebiet genauso über einen großen Zuspruch für «Ein Kessel DDR» freuen.
Fast gleichzeitig hatte Sat.1 angekündigt, seine Produktion kurzfristig auf den 23. August vorzuverlegen, um ebenfalls der RTL-Ausstrahlung zuvor kommen zu können. In der Öffentlichkeit wurde das Format daher stets als Plagiat oder billiger Abklatsch wahrgenommen. Mehr noch als bei den anderen Kontrahenten, weil es sich dabei nicht um die erste Idee handelte, um welche die Dauerkonkurrenten RTL und Sat.1 kämpften. Tatsächlich verhielt es sich genau anders herum. In einem Interview sagte Günther Jauch, dessen Firma «Die DDR Show» für RTL herstellte, nämlich folgendes: "Als wir anfingen, uns mit der Ostshow zu beschäftigen, stellten wir fest, dass Sat.1 schon Wochen vorher die Idee hatte und programmlich schon fast alles festgezurrt hatte. Dann ist RTL mit unseren Plänen schnell an die Öffentlichkeit gegangen, wodurch der Eindruck entstand, sie seien die Ersten gewesen. Daraufhin wollte Sat.1 vor uns auf Sendung gehen. Und dann kam noch der MDR. Und ganz zum Schluss auch das ZDF.”
Obwohl die Sendetermine und die hektische Vorlegung es anders erscheinen lassen, verfügte also Sat.1 mit «Meyer & Schulz – Die ultimative Ost-Show» über die ursprüngliche Variante. Durch diese führte mit dem Journalisten Ulrich Meyer («Akte», «Einspruch!») und dem ehemaligen Boxer Axel Schulz ein recht fragwürdiges Duo, das aber erstaunlich gut vor der Kamera harmonierte. Ihr Vorteil bestand darin, dass Meyer gerade kein weiterer ehemaliger Ost-Bewohner war und immer dann einhaken konnte, wenn er als Wessi nicht verstand, worüber all die anderen Ossis auf der Couch mit Axel Schulz sprachen. Zumindest diesbezüglich bot der nunmehr dritte Aufguss eine Verbesserung gegenüber den vorangegangenen Versuchen an. Auch insgesamt fiel das Echo innerhalb der Branche deutlich wohlwollender aus. Regine Sylvester schrieb beispielsweise in der Berliner Zeitung, dass die Sat.1-Ausgabe "professioneller“ und „mit Tempo und Witz“ gemacht wäre. Zudem lobte sie die gut geschnittenen Einspieler sowie den Umstand, dass die vielen Gäste nicht „abgefrühstückt“ worden wären.
Wie schon bei den Vorläufern sollte bei Sat.1 ausschließlich das positive Lebensgefühl aufgegriffen werden. Ulrich Meyer ließ daher vorab verlauten: „Wir machen eine Unterhaltungssendung“, weswegen man auf „Experten, die zum 100. Mal irgendwelche Leidensgeschichten erzählen“, verzichten könne. Demzufolge dominierten dort erneut gute Laune und alberne Witze ("Was bedeutet Trabant 601? 600 haben ihn bestellt, einer hat ihn bekommen"). Damit übereinstimmend bezeichnete der zugehörige Pressetext die DDR als „schräg, kultig, witzig, selbstbewusst und längst nicht mehr schamvoll verdrängt” und beschrieb die in der Sendung behandelten Themen mit der Formulierung „Warten auf den Wartburg, von Liebe, Sex und FKK bis hin zu den schönsten Ost-Hits”. Dies war insofern verwunderlich, als dass hinter den Kulissen der Regisseur Karsten Röder zuständig war, der zu Wendezeiten für das oft systemkritische DDR-Magazin «Elf99» gearbeitet hatte.
Von dieser betonten Leichtigkeit ließen sich viele Zuseher offenbar nicht abschrecken, denn das seichte Konzept sollte innerhalb von einer Woche ein drittes Mal aufgehen. Am Samstagabend um 20.15 Uhr lockte die erste Ausgabe der zweiteiligen Reihe im Schnitt 3,46 Millionen Menschen an, sodass der Marktanteil auf rund 25 Prozent anstieg. Dies entsprach einem sensationellen Erfolg für den Kanal.
Als dann am 03. September RTL mit seiner Rückschau schließlich auf dem Bildschirm erschien, glaubten viele Branchenkenner angesichts der vorherigen Ausschlachtung nicht mehr an einen großen Erfolg. Aus diesem Grund nahmen die Verantwortlichen von der ursprünglichen Planung Abstand, die Produktion am Samstag zeigen zu wollen, und verschoben sie auf den Mittwochabend. Die vergleichsweise hochkarätigen Gäste, das Mitwirken der in Gesamtdeutschland beliebten Katarina Witt sowie die Tradition der früheren RTL-Shows ließen das Interesse am vierten Anlauf trotzdem nicht abklingen. Angesichts einer Sehbeteiligung von 6,5 Millionen Zuschauern bei der Premiere lockte diese Variante schlussendlich sogar die meisten Menschen an.
Besonders erfreulich war es, dass man die allgemeine Kritik bezüglich der Verharmlosung der DDR angenommen hatte und eine Anzahl von Opfern auftreten ließ. Zwar dominierte der Spaßfaktor auch weiterhin, weswegen die ernsten Gespräche bei gedämmtem Licht etwas deplaziert wirkten, aber immerhin ließ man das Thema nicht vollständig außen vor oder reduzierte es auf zwei Sätze. Dass dies überhaupt erfolgte, war schon beachtlich, weil sich hinter der RTL-Variante unter anderem der Bertelsmann-Konzern verbarg. Dieser hatte zuvor große Anteile des Archivs der AMIGA, also der staatlichen Plattenfirma der DDR, aufgekauft und umrahmte die Sendung mit gleich drei entsprechenden CD-Samplern. Die Präsentation der alten Hits und eine Vermeidung von konsumhemmender Melancholie stand daher stets im Vordergrund.
Trotz der durchweg hervorragenden Reichweiten, die alle vier Ost-Shows generieren konnten, war keiner eine Verlängerung vergönnt. Zu ausgebeutet wirkte der für die Entertainment-Branche geeignete Erbteil des ehemaligen Arbeiter-und-Bauern-Staates nach nur wenigen Wochen. Alexander Osang fasste den sehr reduzierten Inhalt aller Varianten schließlich im SPIEGEL treffend zusammen: „Der Kapitalismus vermarktet den Sozialismus, der dabei seinen Schrecken verliert. Alles, was dem Fernsehen zur DDR einfällt, sind Sportler und Unterhaltungskünstler.“
Mögen die Shows in Frieden ruhen!
Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann der Talkshow von Christoph Schlingensief, die auf der Grenze zwischen Kunst und Trash balancierte.