Die Kritiker

«Kein Entkommen»

von

Anja Kling besticht in einem einfühlsamen wie packenden Opferdrama.

Inhalt


Hinter den Kulissen

  • Regie: Andreas Senn
  • Drehbuch: Stefanie Veith und Matthias Tuchmann nach einer Idee von Katrin Milhahn und Antonia Rothe-Liermann
  • Schnitt: Uta Schmidt
  • Kamera: Sonja Rom
  • Kostüme: Majie Pötschke
  • Musik: Fabian Römer
  • Szenenbild: Anke Osterloh
Die Berliner Mutter und Ehefrau Anna jongliert relativ erfolgreich die Aufgaben einer modernen Familienfrau: Sie kümmert sich um ihre Kinder, kämpft um eine gute Versorgung ihrer jüngsten Tochter in der Kindertagesstätte, bemüht sich, ihrem jugendlichen Sohn weiterhin bei den Hausarbeiten zu helfen und obendrein ist sie in ihrem Job voll dabei und Mitglied eines Sportvereins. Damit ist Annas Alltag vollauf ausgefüllt. Dieses mitunter in Stress ausartende, insgesamt aber glückliche Leben nimmt schwerwiegenden Schaden, als Anna eines Tages von drei Jugendlichen brutal attackiert wird. Um ihren Kindern nicht unnötig Angst einzujagen, trifft sie mit ihrem Ehemann Micha die Abmachung, ihnen eine andere Version der Geschichte zu erzählen. Doch auch im Anschluss an ihre Entlassung aus dem Krankenhaus wirkt das grausame Ereignis in Anna nach – sie ist schwer traumatisiert und kann sich nicht mehr problemlos durch den Alltag manövrieren. Zu allem Überfluss werden die jugendlichen Wiederholungstäter vor Gericht mit einer Strafe bedacht, die nach Annas Auffassung fast schon lachhaft milde ist. Und so trifft Anna die Entscheidung, auf eigene Faust für ihre Sicherheit zu kämpfen. So entsteht ein Strudel aus immer dramatischeren Situationen, der nicht nur Anna zu zermürben droht, sondern ihre gesamte Familie in Gefahr bringt …

Darsteller


Anja Kling («(T)Raumschiff Surprise – Episode 1») als Anna Lehmann-Bartels
Benno Fürmann («Der blinde Fleck») als Micha Bartels
Matti Schmidt-Schaller («Ich will dich») als Jan Bartels
Anna Leena Duch als Lina Bartels
Ruby O. Fee («Bibi & Tina») als Chrissi
Julius Nitschkoff («Als wir träumten») als Marco Fallner
Stefanie Stappenbeck («Komm näher») als Maike

Kritik


Filme über von Jugendlichen begangene Straftaten tappen insbesondere im öffentlich-rechtlichen Fernsehen all zu gern in eine von zwei Fallen: Entweder bestätigen sie freimütig Vorurteile, indem sie Jugendliche durchweg als gewaltbereit und impulsiv zeichnen. Oder sie forcieren zu ungelenk eine Umkehr dieses „Die Jugend verroht immer mehr!“-Klischees und überbetonen balsamartige Botschaften von Tätern, die allesamt missverstandene Opfer sind und keineswegs wissen können, was sie ihren Opfern antun. Das ZDF-Drama «Kein Entkommen», welches im letzten Drittel mit einer sich intensiv steigernden Schärfe auch Thriller-Elemente für sich vereinnahmt, nähert sich dank eines simplen, aber effektiven Kniffs einem erstrebenswerten Mittelweg: Die Regiearbeit des TV-Filmers Andreas Senn wird konsequent aus der Opfer-Perspektive erzählt, was nicht bloß eine starke empathische Wirkung dieser emotional intensiven Geschichte ermöglicht, sondern auch erlaubt, viele Probleme zu umschiffen, die sonst bei der Zeichnung krimineller Jugendlicher auffällig sind.

Da die Schläger lediglich aus der Wahrnehmung des von Anja Kling einfühlsam und facettenreich verkörperten Gewaltopfers und seiner Familie zu sehen sind, bleiben ungelenke, weltfremde Szenen aus, in denen die Jugendlichen sich selbst für ihre Aggressionen feiern oder gar feist grinsend boshafte Pläne schmieden. Solche Sequenzen gab es zwar selbst in mehrfach prämierten Problemfilmen wie «Homevideo» zu sehen, dennoch gehören sie in ihrer Überzogenheit zu den größten Sünden öffentlich-rechtlicher Problemdramen. Weil in «Kein Entkommen» wiederum das Hauptaugenmerk auf Anna und ihre Familie liegt, ist die einseitige Zeichnung der Gewalttäter kein Fauxpas des Drehbuchs, sondern stilistisch begründet – und darauf, dass Annas Sicht der Dinge nicht unbedingt vollumfänglich korrekt ist, gehen die Filmemacher sogar behutsam ein. Selbstredend sollen die Sympathien der Zuschauer bei der unschuldigen Hausfrau und Mutter liegen, jedoch begeht Anna in ihrem eigenmächtigen Kampf gegen die (vermeintlichen?) Justizirrtümer mehrere Fehler, die ihre Lage verschlimmern. Auch wenn dank der Dialoge und Anja Klings Performance ihr Handeln bis zum Schluss plausibel bleibt, so macht «Kein Entkommen» gleichzeitig durchweg transparent, wie Annas Entschlüsse nur weiter Öl ins Feuer gießen und den aggressiven Jugendtäter Marco zu weiteren Untaten anstacheln.

Darstellerisch ragt Anja Kling zwar aus dem restlichen Ensemble heraus, allerdings weiß auch die restliche Überzeugung des einfühlsam, wenngleich zurückhaltend inszenierten Dramas nahezu durchweg zu überzeugen. Matti Schmidt-Schaller skizziert in glaubwürdigen, kleinen Schritten die schleichende Wandlung eines eher zurückhaltenden Teenagers zu einem vom Trauma seiner Mutter gezeichneten, aggressiven Buben, Julius Nitschkoff absolviert als der unausstehliche Täter Marco genau den richtigen Balanceakt zwischen erschreckender Durchtriebenheit und einem gefährlichen Mangel an einem reifen Gerechtigkeitsempfinen und Benno Fürmann reagiert in der Rolle von Annas Ehemann überzeugend auf Wahn und Sinn seiner gestressten Gattin. Jungdarstellerin Ruby O. Fee dagegen muss gegen einige Drehbuchschwächen ankämpfen – die von ihr gespielte Freundin Marcos ist mit etwas melodramatischer Feder geschrieben, was Fee mit einem mimisch starken Spiel weitestgehend übertünchen kann. Dennoch hätte eine kleine Handvoll zusätzlicher Szenen dieser Figur und weiteren Randcharakteren (wie etwa Annas Therapeutin) wahrlich nicht geschadet – ebenso wie das Ende zwar kraftvoll ist, gleichzeitig etwas zu rasch eintrifft. Hier macht sich dann wieder die genormte Laufzeit eines öffentlich-rechtlichen Fernsehfilms negativ bemerkbar, denn schon wenige zusätzliche Filmminuten hätten den Schluss besser hinleiten und nachhallen lassen können.

Fazit: Das Gewaltopferdrama «Kein Entkommen» ist berührend und fesselnd zugleich. Anja Kling liefert eine ihrer besten Darbietungen der vergangenen Jahre ab und die bewusste erzählerische Einschränkung auf die Perspektive der Gewaltopfer macht sich dramaturgisch wie thematisch bezahlt. Dessen ungeachtet hätte «Kein Entkommen» von einer längeren Laufzeit profitieren können, um so manchen Nebenfiguren und dem Schlussakt mehr Schliff zu verleihen.

«Kein Entkommen» ist am Montag, den 24. März 2014, um 20.15 Uhr im ZDF zu sehen.

Kurz-URL: qmde.de/69684
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