Ein legendärer Comic-Auftritt
Mit 317.713 verkauften Kopien ist die im März 2007 erschienene Ausgabe «Captain America #25» einer der fünf am meisten verkauften Comics der vergangenen zehn Jahre. Zudem zählt das Heft zu den Meilensteinen der Marvel-Geschichte: Steve Rogers erlebt darin die bitteren Konsequenzen seiner größten Schlacht ...Weil sich die US-kritische Seite von Captain America trotz zahlreicher von Comickennern gefeierten Handlungsbögen nicht beim breiten Publikum herumsprach und «Captain America: The First Avenger» an den deutschen Kinokassen unterging, ist es dennoch verständlich, dass die Fortsetzung hierzulande einen Alternativtitel verpasst bekam. Um die negativen Assoziationen zu übertönen und die Verbindung zum populären Superheldenspektakel «Marvel's The Avengers» zu unterstreichen, wurde für den deutschen Markt aus «Captain America: The Winter Soldier» der weniger patriotisch klingende «The Return of the First Avenger». Sollte diese Umbenennung Leute ins Kino locken, die sich sonst den Filmen des Supersoldaten verwehren würden, so erwartet diese Zweifler eine gewaltige Überraschung. Denn hinter diesem verklausulierten Titel versteckt sich der intelligenteste, rauste und erstaunlichste Film der Marvel-Geschichte.
Konsequenterweise ist «The Return of the First Avenger» auch einer der unvorhersagbarsten Filme innerhalb des «Avengers»-Kanons, und sogar Kinogängern, die sämtliche Trailer gesehen haben, bietet der zweite Solofilm von Captain America einige überraschende Wendungen. Daher sei an dieser Stelle auch lediglich die Oberfläche des fesselnden Plots angerissen: Rund zwei Jahre nach den in «Marvel's The Avengers» geschilderten Ereignissen hat sich Steve Rogers alias Captain America (Chris Evans) erfolgreich ein neues Leben als Spitzenagent für die Geheimorganisation S.H.I.E.L.D. aufgebaut. Zwar muss sich das Relikt einer anderen Zeit weiterhin an einige Aspekte der heutigen Welt gewöhnen, aber Rogers hält sich dabei recht wacker. Am wohlsten fühlt er sich dennoch im Einsatz – und so nimmt er freudig eine neue Mission an: Zusammen mit der undurchschaubaren, sich aber charmant um ihren Kollegen kümmernden Black Widow (Scarlett Johansson) soll er eine Geiselnahme auf hoher See klären. Während dieses Einsatzes bemerkt Rogers allerdings, dass er weder von Black Widow noch von seinem Vorgesetzten Nick Fury (Samuel L. Jackson) oder von Einsatzleiter Alexander Pierce (Robert Redford) sämtliche relevante Informationen erhält. So schürt sich für Captain America der Verdacht, dass S.H.I.E.L.D. ein falsches Spiel spielt. Es gilt, ein brandgefährliches Komplott aufzudecken …
War Joe Johnstons in stilisierten Comicfarben getauchter «Captain America: The First Avenger» ein spaßiger, von nahezu jeglicher Realität losgelöster Action-Abenteuerfilm im augenzwinkernden Stil eines «Indiana Jones und der letzte Kreuzzug», vollführen die Regisseure Anthony & Joe Russo mit «The Return of the First Avenger» eine tonale wie visuelle Kehrtwende. Nicht nur für Captain America, sondern für das gesamte Marvel-Kinouniversum: Nach dem mit flotten Sprüchen gespickten «Iron Man 3», in dem Tony Stark einige unterhaltsame Schwierigkeiten mit seinen technischen Spielereien zu durchleiden hatte, und im Anschluss an das pointierte Geschwister-Gezanke sowie dem fantasiereich verspielten Finale von «Thor – The Dark Kingdom» kommt dieser Marvel-Film wesentlich seriöser daher.
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Das Misstrauen, das in S.H.I.E.L.D. (beziehungsweise die realen Äquivalente dieses Geheimdienstes) geschürt wird, lässt «The Return of the First Avenger» über Vergleiche mit «The Dark Knight» sogar hinauswachsen und rückt diesen Politthriller im Superheldengewand in die Nähe klassischer Verschwörungsthriller der 70er-Jahre. Wie diverse Kinohelden jener Zeit wird Steve Rogers von seinem mächtigen Arbeitgeber verfolgt, muss mit Verbündeten untertauchen und aus der Verdeckung heraus sämtliche Beweise für die Vergehen seiner vermeintlich Gleichgesinnten finden. Die Nähe zu Filmen wie «Zeuge einer Verschwörung», «Die drei Tage des Condor» und «Die Unbestechlichen» wird nicht bloß durch die prächtigen Aufnahmen Washington D.C.s und die Besetzung Robert Redfords (der in den beiden letztgenannten Filmen zu sehen ist) unterstrichen, sondern auch durch die Erzählweise dieses Blockbusters. Als Plotmotor fungieren sich langsam lichtende Verschwörungen, die moralische Ambivalenz zentraler Figuren, schockierende Enthüllungen und die stete Bedrohung, dass die Helden auf ihrer Flucht geschnappt werden. Das Tempo ist somit konstant hoch, nie aber hektisch, da sich die Filmemacher durchgehend genügend Zeit nehmen, die interessanten Wenden zu ergründen. Im Zusammenspiel mit den erstaunlichen Actioneinlagen ergibt dieses Story-Grundgerüst hervorragende Popcorn-Unterhaltung.
Da es sich bei den Protagonisten um Superhelden und bei den Schurken um fähige Strippenzieher mit Zugang zu leicht futuristischer Waffentechnologie handelt, äußern sich die Verfolgungsjagden und direkten Konfrontationen zwischen Gut und Böse jedoch mit größerem Bombast als bei den Inspirationen zu «The Return of the First Avenger». Getreu der zentralen Handlung gibt es jedoch keine im Retro-Abenteuerfilm-Stil gehaltenen Kämpfe wie zuvor in «Captain America: The First Avenger», noch solch eine launige Action-Achterbahnfahrt wie in «Marvel's The Avengers». Stattdessen präsentieren die Russo-Brüder dem Publikum ein einzigartiges, so im Superheldenkino noch nie dagewesenes Seherlebnis: Gleich die erste Mission Steve Rogers' verfolgt mit dynamischer Kamera und in raschen Schnitten harte Mann-gegen-Mann-Kämpfe vor realistischer Kulisse. Diese haben die Kraft und Größe, die einem Superheldenfilm gebühren, verlieren dennoch nicht ihren Wirklichkeitsbezug. Wenn im weiteren Verlauf dank der Technologien der Schurken die Bandbreite der Actionsequenzen immer fulminanter werden und Captain America unter anderem von Jets verfolgt wird, so bleiben die kernigen, rauen Szenen im Vergleich zu anderen Superheldenfilmen im Bereich des Wirklichen. Niemand schleudert Blitze und es gibt keine Roboteranzüge, dafür werden die Helden in harte Messerkämpfe verwickelt, sowie in mit Sinn für Suspense gefilmte Showdowns mit Schusswaffen und es gilt auch, überdimensionale Fluggerätschaften zu entwaffnen.
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Darstellerisch mag «The Return of the First Avenger» zwar thematisch bedingt ein scharf umrissener, denkwürdiger Haupt-Antagonist fehlen, doch dies ist zu verschmerzen. Schließlich geht es um eine weit verzweigte Bedrohung und nicht um einen überlebensgroßen, einzelnen Schurken. Deshalb würde eine so furchteinflößende Leistung wie die von Heath Ledger in «The Dark Knight» oder (um bei Marvel zu bleiben) so ein amüsiert mit seinem inneren Schalk kokettierender Bösewicht wie Tom Hiddlestons Loki nicht zum Film passen. Trotzdem ist «The Return of the First Avenger» schauspielerisch die facettenreichste der bisherigen Marvel-Produktionen.
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Der im US-Originaltitel erwähnte Winter Soldier schlussendlich geht in dem die Manifesten des Marvel-Kinouniversums erschütternden Paranoia-Actionthriller fast schon unter. Als kraftvoller, maskierter Auftragskiller mit superschnellen Reflexen und einem Metallarm kann er immerhin dem dank eines Serums bis ans Äußerste der menschlichen Leistungsfähigkeit getriebenen Steve Rogers im direkten Duell Paroli bieten und sein Hintergrund wird bestürzend aufbereitet. Trotzdem hätte die angerissene emotionale Tiefe dieser Figur gern ausführlicher beleuchtet werden dürfen.
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Fazit: Captain America ist zurück – und übertrifft sie alle! Mit einem rauen, aufregenden und cleveren Action-Meisterwerk lenkt «The Return of the First Avenger» das Marvel-Universum in eine neue, packende Richtung und krönt Supersoldat Steve Rogers zum neuen Meister im «Avengers»-Kader.