Hinter den Kulissen
- Regie: Darren Aronofsky
- Produzenten: Scott Franklin, Darren Aronofsky, Mary Parent und Arnon Milchan
- Drehbuch: Darren Aronofsky, Ari Handel
- Musik: Clint Mansell
- Kamera: Matthew Libatique
- Schnitt: Andrew Weisblum
Aronofskys 125-Millionen-Dollar-Produktion «Noah» eröffnet mit einem prägnanten Prolog: Von düsterer, hämmernder Musik des Komponisten Clint Mansell («Requiem for a Dream») begleitet, raffen kurze Texteinblendungen und ausdrucksstarke Bildfragmente die frühe Geschichte der menschlichen Sünde zusammen. Der Apfel im Paradies, die teuflische Schlange, der Brudermord zwischen Kain und Abel, die Verwüstung des Planeten durch die moralisch verdorbene Zivilisation. Eckpunkte der ersten Kapitel des Alten Testaments, abgehandelt wie in einem fiebrigen Albtraum. Die letzten Menschen, die abseits des Clans rund um Kains martialisch handelnden Nachfahren Tubal-Kain leben, sind Noah und seine Familie. Eines Nachts hat Noah einen Traum, den er als Zeichen des Schöpfers auffasst. Unsicher, ob er seine Eingebung korrekt deutet, wandert er zu seinem einsiedlerischen Großvater Methusalem, der ihm einen Rat geben soll. Im Gespräch mit Methusalem wiederholt sich Noahs Vision: Eine gigantische Flut wird kommen und alle Sünder töten. Doch ein riesiges Schiff ist da und beherbergt alle Tiere, bis die reingewaschene Erde wieder aufblüht. Also baut Noah unter Mithilfe gefallener Engel Noah dieses Schiff – doch Tubal-Kain und seine gewalttätigen Anhänger haben von der Arche erfahren, weshalb ein Kampf darum entbrennt, wer das rettende Schiff betreten darf. Zudem kommt es aufgrund von Noahs Starrsinn auch innerhalb seiner Familie zu Zerwürfnissen …
Ein Film mit religiösen Motiven kann kaum mehr in die Kinos entlassen werden, ohne eine Kontroverse auszulösen. Erst recht, wenn er wie «Noah» eine Geschichte adaptiert, die in mehreren Weltreligionen eine bedeutsame Rolle spielt. In einigen islamisch geprägten Ländern wurde Aronofskys bislang teuerste Produktion aufgrund ihres Umgangs mit der Titelfigur verboten und die lautstarke US-Organisation National Religious Broadcasters forderte den Verleih auf, den Film in den Vereinigten Staaten um eine Texttafel zu ergänzen, die explizit auf die künstlerischen Freiheiten in «Noah» hinweist. Sich als christlich geprägt bezeichnende Filmjournalisten loben oder verreißen Aronofskys Film allein auf Basis dessen, ob er mit ihrem Glauben vereinbar ist, und viele atheistische Kinogänger kritisierten «Noah» bereits vorab als religiöse Propaganda.
Schlussendlich dürfte sich diese Debatte jedoch vornehmlich aus Aronofskys Image als kompromissloser, dramatischer Filmschaffender näheren. Denn das fertige Werk rechtfertigt all diesen Trubel keineswegs – stattdessen ist «Noah» bis dato Aronofskys mit Abstand dramaturgisch schwächste Arbeit. Und trotz (oder gar wegen) des immensen Produktionsaufwands lässt «Noah» zudem die inszenatorische Raffinesse von «Requiem for a Dream», «The Wrestler» oder «Black Swan» missen.
Zwar sind die in Island gedrehten Naturaufnahmen ausdrucksstark (je nach den Bedürfnissen einer Szene wählt Aronofsky eine karge, deprimierende Landschaft oder betörend schöne Gegenden) und auch das gewaltige Set der Arche weiß zu überzeugen. Die computeranimierten Tiere wiederum sind eine einzige, farb- und konturlose Masse, die stets künstlich wirkt und so Szenen wie den Einmarsch der gesamten Fauna in die Arche komplett untergräbt. Den Respekt vor der Tierwelt, den das Drehbuch von Aronofsky und Ari Handel wiederholt predigt, muss man als Kinogänger daher schon in den Saal mitbringen – unüberzeugende digitale Effekte werden so schnell niemanden zum Tierschützer machen. Selbst wenn der Genuss von Fleisch in «Noah» mehrfach als unmenschliche Schandtat bezeichnet wird: Ray Winstones mit blutverschmiertem Gesicht auf rohem Fleisch herumkauender Schurke kommt eher comichaft überzeichnet, denn als wahre Bedrohung daher.
Die besten Effekte in «Noah» sind jene, die Aronofsky genauso gut auch in «The Fountain» hätte verwenden können: Die gefallenen Engel, deren Äußeres an Stop-Motion-Kreaturen erinnert, die einem Ray-Harryhausen-Projekt entflohen sein könnten, sind mit ihren bewusst abgehackten Bewegungen schwerfällig, glaubwürdig und so ein effizientes Mittel, diese alttestamentarische Welt auf der Leinwand interessant zu gestalten. Und wenn Russell Crowe in der Titelrolle die gesamte Schöpfungsgeschichte nacherzählt, während im Super-Zeitraffer malerisch ausgeleuchtete Bilder die Entwicklung des Universums, der Erde und des Menschen symbolhaft einfangen, weiß der «Black Swan»-Regisseur auch wieder so zu fesseln wie in seinen bisherigen Filmen.
Aronofsky, durch dessen Werk sich das Thema der Obsession wie ein roter Faden zieht, kommt sonst nur noch bei einem Aspekt von «Noah» zumindest teilweise an die Intensität seiner vorherigen Regiearbeiten heran: Nach Beginn der Sintflut steigert sich Noah in seine Aufgabe als Werkzeug Gottes hinein und zieht düstere Schlüsse aus seinen Träumen. Die Dialogzeilen, mit denen Noahs Wandel abgesteckt werden, sowie Crowes grantiges, dennoch nuanciertes und auf große Gesten verzichtendes Spiel, machen diese späte Passage des Films zu einem ansprechenden Psycho-Drama – wäre da nicht der überhastete Rhythmus, in dem Aronofsky von der Zeit nach Beginn der Sintflut erzählt. Rasch vergehen mehrere Monate, ohne dass «Noah» ein Gefühl dafür vermittelt, was in der Zwischenzeit geschah und wie sich die veränderten Positionen der Figuren auf das Leben in der Arche auswirken. Darüber hinaus wird Noahs innerer Konflikt zwar sehr gut ausformuliert, jedoch so rasch zur Spitze getrieben, dass auch Crowes Darbietung diese Entwicklung nicht fest genug verankern und die Spannungskurve aufrecht erhalten kann.
Trotzdem wird «Noah» schauspielerisch von Crowe dominiert – ansonsten erhält nur Jennifer Connelly als Noahs Gattin Naama dank einer intensiven Szene, in der sie Noah zurechtweist, die Gelegenheit, darstellerisch aus dem drögen Trott dieser Bibelverfilmung auszubrechen. Logan Lerman, Douglas Booth und Leo McHugh, die Darsteller von Noahs Söhnen Ham, Sem und Japhet, dagegen haben nicht mehr zu tun, als große Augen zu machen. Eine wahre Enttäuschung ist unterdessen Anthony Hopkins, dessen Methusalem (von einem Running gag über einen steten Hunger auf Beeren abgesehen) erschreckend blass bleibt – und besagten Witz lässt Hopkins zudem elendig im Sande verlaufen. Noch schwächer schneidet jedoch Emma Watson als Noahs Adoptivtochter Ila ab, der zu allem Übel mehrere der emotionalen Kernszenen der Story zufallen. Ilas Techtelmechtel mit Sem sorgt durch Watsons übertriebenes Spiel eher für unfreiwillige Komik, denn für Dramatik oder gar Romantik, und gen Schluss des Films trägt sie die Botschaften dieser Geschichte mit dem schauspielerischen Vorschlaghammer vor.
Dass Watson zudem, im Gegensatz zu Crowe oder Connelly, dermaßen gepflegt auftritt, dass sie glatt ohne Weiteres Werbung für L'Oreal machen könnte, ist derweil gewiss nicht ihre Schuld. Trotzdem ist es eines der zahlreichen Probleme, die «Noah» hinsichtlich seiner Weltbildung hat.
Aronofsky nahm sich gewisse Freiheiten bei der Interpretation der Vorlage – was auch nötig ist, denn eine extrem vorlagengetreue Adaption der Sintflut-Geschichte würde aufgrund der Kürze des Bibeltextes allein in einen Kurzfilm resultieren. Mit den Vorteilen einer eigenen filmischen Adaption einer bereits existierenden Vorlage kommen aber auch gewisse Pflichten: Da Aronofsky der Geschichte seinen eigenen Stempel aufdrückt, sollte dieser auch kohärent sein, egal ob nun ein Bibeltext oder ein Schriftstück J. R. R: Tolkiens adaptiert wird. Aber in dieser Hinsicht scheint Aronofsky den Überblick verloren zu haben, ob er den Bibeltext im Fantasy-Stil ausschmücken, ihn mit urbanen Realismus füttern oder ihn in ein ambivalentes Licht stellen möchte:
Durch die Existenz der gefallenen Wächter und die Schilderung mehrerer Wunder in «Noah» macht Aronofsky deutlich, dass zumindest in diesem Filmuniversum zweifelsfrei ein Gott existiert. Dann aber sät Aronofsky deutliche Zweifel und stellt Noah als jemanden hin, der einfach nur mit dem Wetter spricht – einen Gott scheint es nicht zu geben. Methusalem wird als alter Weiser inszeniert – und hat plötzlich die Fähigkeit, mit einer einzelnen Handbewegung einen gesamten Subplot in eine neue Richtung zu zaubern. Dass in Aronofskys Filmwelt äußerst wirksame Feuersteine genutzt werden, mag nach ihrer Einführung genehmigt sein – dann mausern sie sich aber zur Allzweckwaffe. Das Intro erläutert, dass der Stamm um Tubal-Kain so abgrundtief böse ist, dass seine Abscheulichkeit die Erde verderben lässt. Diesen vermeintlichen Fakt (was die Regeln seines Filmuniversums anbelangt) untergräbt Aronofsky daraufhin aber mit Gier innerhalb der Familie Noahs und Unschuld auf Seiten des Kain-Stammes. Und so zieht es sich durch nahezu die gesamte Laufzeit von «Noah»: Die moralische Ambivalenz der Taten Noahs, der willentlich die Menschheit einem nassen Tode überlässt, die Aronofsky aufzeigen möchte, sowie die Unergründlichkeit des in «Noah» geschilderten Schöpfers schwappt auf alle Aspekte des Films über. Die Folge: Schwammige Figurenzeichnung, lediglich angerissene Gedankenspiele und vor allem eine undefinierte Filmwelt.
Doch um Noahs Konflikt wirksam zu schildern und profunde Glaubensfragen zu stellen, wäre eine innere Logik vonnöten gewesen. Auch, um diesen Film auf der Oberfläche als fesselnden Monumentalfilm zu positionieren. Denn ohne ohne plausibles Grundgerüst bricht «Noah» trotz vereinzelter, guter Ansätze in sich zusammen. Übrig bleibt eine, gewiss ambitionierte, Ruine ohne größere Reize. Sei es als Charakterstudie, als alternatives Fantasy-Spektakel oder als intellektuelle, mutige Beschäftigung mit der Bibel.
«Noah» ist ab sofort in zahlreichen deutschen Kinos zu sehen.