Die Kritiker

«Spiegel-Affäre»

von  |  Quelle: Inhalt: ARD

Aufarbeitung statt Banalisierung, starke Figuren statt klischeehaftem Herumgehampel. Die «Spiegel-Affäre» ist öffentlich-rechtliches Fernsehen im besten Sinne.

Hinter den Kulissen

  • Produktion: Telepool GmbH und Wiedemann & Berg Television GmbH & Co. KG
  • Drehbuch: Johannes W. Betz
  • Regie: Roland Suso Richter
  • Kamera: Clemens Messow
  • Produzenten: Gabriela Sperl, Max Wiedemann und Quirin Berg
Inhalt
Das Wettrüsten der Supermächte eskalierte im Oktober 1962 während der Kuba-Krise und führte die Welt an den Rand eines Atomkrieges. Dieser würde, wenn er denn käme, zuallererst das Zentrum Europas und damit Deutschland treffen. Die BRD und die DDR. Vor dem Hintergrund dieser weltpolitischen Lage fechten zwei außergewöhnliche Alpha-Männer eine beinahe archaisch anmutende Fehde aus: der Verteidigungsminister Franz Josef Strauß in der Regierung Adenauer und der Journalist Rudolf Augstein, Herausgeber und Chefredakteur des „Spiegel“.

Die Haltungen der beiden Männer 17 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges sind diametral entgegengesetzt. Wo für Strauß die Devise gilt „lieber tot als rot“, lautet Augsteins Maxime „weg mit den Verkrustungen des Obrigkeitsstaates“. Strauß will den drohenden Atomkrieg durch ein „Gleichgewicht des Schreckens“ verhindern. Das allein würde „die roten Socken“ in Schach halten. Augstein ist überzeugt, dass die Politik des Wettrüstens früher oder später unweigerlich in die Katastrophe führen muss. Dabei sind beide sich in einem Punkt einig: nie wieder Krieg! Nach einem denkwürdigen Treffen der beiden Männer in Augsteins Haus 1957 gibt Augstein die Parole aus: „Dieser Mann ist gefährlich. Er darf niemals Kanzler werden.“ Der barocke Macht- und Instinktmensch Strauß, ein ebenso brillanter wie taktisch versierter Politiker, nutzt jedes Mittel zur Durchsetzung seiner Politik: Westdeutschland muss sich, nach der Erfahrung vom Mauerbau 1961, aus der Abhängigkeit der USA lösen. Ein Mittel dazu: Er will die Bundeswehr im europäischen Verbund und der NATO zur Atommacht ausbauen. Die Nachfolge des Altbundeskanzlers Adenauer dabei hat er klar im Blick. Seine bajuwarischen Amigo-Geschäfte bieten Augstein eine hochwillkommene Angriffsfläche. Er greift Strauß bei jeder sich bietenden und nicht bietenden Gelegenheit an: von der Hahlbohm-Affäre über den Lockheed- Skandal bis hin zur FIBAG-Affäre, der „Spiegel“ ist immer der erste Angreifer.

Verbissen und hartnäckig versucht Augstein, dem Minister Korruption nachzuweisen. Dabei vergreift er sich oftmals im Ton, während Spiegel-Redakteur Conrad Ahlers, gewissenhaft und knochen-trocken, systematisch daran arbeitet, die Politik von Strauß zu demontieren. Der „Kalte Krieg“ im Kleinen zwischen Strauß und Augstein, kulminiert im Herbst 1962, zeitgleich zur Kuba- Krise. Während sich das Schicksal der Welt auf einer Karibikinsel entscheidet, erscheint Ahlers über Jahre recherchierter Artikel „Bedingt abwehrbereit“ am 10. Oktober 1962 im Spiegel. Er weist anhand des NATO-Manövers „Fallex 62“ nach, dass die Bundeswehr nicht in der Lage ist, die Bundesrepublik Deutschland konventionell vor einem Angriff des Ostens zu verteidigen. Die Hintergrundinformationen dazu kamen zum Teil aus Kreisen der Bundeswehr: Eine Gruppe von höheren Offizieren war gegen das Konzept der atomaren Aufrüstung von Deutschland und Europa. Sie befürchteten einen Verlust der Macht, denn Strauß wurde nicht müde, durch seinen Pressereferenten Gerd Schmückle sogar in der Presse zu verbreiten, dass die Panzerschlachten des Zweiten Weltkrieges endgültig vorbei seien – und der Frieden nur durch ein atomares Gleichgewicht zu sichern sei.

Darsteller


Francis Fulton Smith («Familie Dr. Kleist») als Franz Josef Strauß
Sebastian Rudolph («Tod einer Brieftaube») als Rudolf Augstein
David Rott («Krokodil») als Conrad Ahlers
Johann von Bülow («Der Minister») als Hans Detlef Becker
Franz Dinda («Nacht über Berlin») als Claus Jacobi
Max Hopp («Bella Block») als Leo Brawand
Nora von Waldstätten («Woyzeck») als Elke Maria Carlsson

Kritik


Die „Spiegel“-Affäre war ein Paukenschlag. Kaum ein anderes Ereignis der bundesdeutschen Geschichte hat derart nachhaltige Auswirkungen auf das Selbstverständnis der hiesigen Publizistik gehabt. Man könnte gar sagen: Mit der „Spiegel-Affäre“ hat sich die deutsche Presse endgültig emanzipiert von den gutsherrenartigen Vorstellungen, die nach Jahrhunderten der – mal kaiserlichen, mal diktatorischen – Obrigkeitsstaaten freilich noch in den frühen Jahren der Bundesrepublik umherschwirrten. Die „Spiegel-Affäre“ wurde zur Antithese des Weltbühne-Prozesses, in dem zur Weimarer Zeit die Abwägung zwischen staatlichen Interessen und dem verfassungsrechtlichen Schutz von Presse- und Meinungsfreiheit noch deutlich anders ausfiel.

Es geht um viel in diesem Film: Zwangsläufig muss er komplexe Sachverhalte thematisieren, die er nur in Ansätzen vereinfachen und verdichten kann. Er muss die Melodram! rufenden Sirenen umschiffen, damit all die Soundbites um „relevant“ und „Politthriller“ aus den Pressetexten nicht wie prätentiöse Dummheiten klingen. Und er muss eine klare Haltung entwickeln, die nur aus einer Bejahung der presserechtlichen Freiheiten und einer letztlichen Verurteilung des Handelns von Franz Josef Strauß bestehen kann.

All das gelingt dieser Verfilmung. Sogar die Erwartungen der größeren Optimisten weiß er noch zu übertreffen. Denn die letztliche Verurteilung von Strauß' Vorgehen bedeutet nicht, dass man seine Handlungsmotive nicht nachvollziehbar erzählen könnte – politisch wie menschlich. Dass die Inhaftierung von Journalisten wegen hanebüchener Verdachtsmomente auch im Hinblick auf den vorausgegangenen Kampagnenjournalismus gegen Strauß ein garstiges Unding war und dass sich die Aufarbeitung des Skandals nicht auf ein schnödes „Ich sage das“ beschränken darf – daran lässt dieser Film trotz zahlreicher Momente der Empathie für Strauß und Adenauer keinen Zweifel.

Recht schnell zeigt sich, dass die Besetzung der Strauß-Rolle mit Francis Fulton-Smith ein wahrer Glücksgriff war. Zuerst mag sein Spiel noch sehr gewöhnungsbedürftig wirken. Doch das war unvermeidlich: Strauß' Duktus war unverkennbar, sein Habitus hat sich ins kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik eingeprägt. Dass Fulton-Smith bei einer so prägnanten historischen Figur niemals der Versuchung erliegt, ins Parodistische abzugleiten (was leicht passieren kann!), sondern dass es ihm gelingt, diesen Strauß mit all seinen Widersprüchen fassbar zu machen, ist eine große Leistung.

Dass man sich dem Melodram nicht vollständig verwehren kann (Augsteins Affären werden deutlich ausschweifender thematisiert als nötig) und an den Rändern des thematisch Relevanten manchmal etwas zu viel ausstaffiert, ist in diesem Kontext verzeihlich. Möchte man jedoch einen Vergleich zu einem ähnlich gelagerten Film der Spitzenklasse ziehen, etwa zu George Clooneys «Good Night and Good Luck», in dem Clooney und Grant Heslov eine Aufarbeitung der presserechtlichen Fehltritte des amerikanischen Kongresses der 50er Jahre lieferten, zeigt sich, das trotz der hervorragenden Umsetzung der «Spiegel-Affäre» noch Luft nach oben besteht, ein weiterer Sprung möglich gewesen wäre, der angesichts des großen Talents der Beteiligten hätte gelingen können, hätte man auf die melodramlastigen Zwischentöne gänzlich verzichtet.

Am Schluss hält die «Spiegel-Affäre», was vollmundig versprochen wurde. Der Film ist ein ambitioniert erzählter, hervorragend besetzter, relevanter Polit-Thriller geworden, der sich tatsächlich einmal an eine vielschichtige Aufarbeitung wagt, anstatt zu verklären oder zu trivialisieren. Er ist öffentlich-rechtliches Fernsehen im besten Sinne.

Das Erste zeigt «Spiegel-Affäre» am Mittwoch, den 7. Mai um 20.15 Uhr. Im Anschluss läuft eine Dokumentation.

Kurz-URL: qmde.de/70528
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