Die Kritiker

«Spreewaldkrimi: Mörderische Hitze»

von

Der neue Teil der «Spreewaldkrimi»-Saga lässt viele Konventionen hinter sich und erzählt ein morbid-emotionales Kriminalmärchen.

Cast und Crew

Vor der Kamera:
Christian Redl («Krabat») als Thorsten Krüger
Rike Schäffer («Tod einer Schülerin») als Kriminalbiologin Anna
Roeland Wiesnekker («3096 Tage») als Gottfried Richter
Claudia Geisler («Der Turm») als Dr. Marlene Seeveldt
Thorsten Merten («Schwerkraft») als Polizist Fichte
Christina Große («Dr. Psycho») als Irene Richter
Anja Kling («Wo ist Fred?») als Lisa Engel

Hinter der Kamera:
Regie: Kai Wessel, Drehbuch: Thomas Kirchner, Produzent: Wolfgang Esser, Kamera: Holly Fink, Schnitt: Tina Freitag
So sehr manch zynischer Fernsehnutzer über die Flut an Kriminalserien und -filmreihen im deutschen TV, insbesondere bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten, klagen mag: Es ist nicht so, als wären sämtliche Krimis der hiesigen Fernsehlandschaft komplett austauschbar. Das ZDF etwa hat einige eher komödiantisch angehauchte Genrevertreter in petto (darunter «Wilsberg» oder den Neustart «Friesland», beide mit unterschiedlichen Gangarten in ihrem Humor) sowie den einen oder anderen betont schwermütig-seriösen Krimi (zu denen zählen etwa die Einsätze von «Kommissarin Lucas»). Und dann ist da noch der «Spreewaldkrimi», der entgegen dessen, was der Titel suggeriert, alles andere als ein Schmunzelkrimi mit ostdeutschem Lokalkolorit ist.

Nicht jeder Eintrag in die bislang sechsteilige Reihe war ein Treffer ins Schwarze (wie etwa in der Quotenmeter.de-Kritik zur Folge «Spreewaldkrimi – Feuerengel» erläutert), doch was die Höhe- und Tiefpunkte der mörderischen Geschichten aus dem Schwarzwald gemeinsam haben, ist ihre einmalige Atmosphäre. Der «Spreewaldkrimi» versteht sich weniger als Sammlung klassischer „Polizei sucht Täter“-Stücke, sondern mehr als Anthologie leicht morbider Erzählungen mit Legenden- oder Märchencharakter. Besonders deutlich war dies im Erstling der Reihe, «Das Geheimnis im Moor», bei dem der Schauplatz in ein undurchschaubar-mysteriöses Licht getaucht wurde und gewissermaßen heimliche Hauptfigur des Films darstellte.

Die sechste Runde des «Spreewaldkrimi»-Zyklus nimmt es sich nun zum Ziel, besagten Anfang der zumeist sowohl von guten Quoten als auch warmherzigen Kritiken bedachten Reihe zu übertreffen. Produzent Wolfgang Esser, einer der Begründer dieser ZDF-Marke, trommelte mit Regisseur Kai Wessel, Kameramann Holly Fink, Cutterin Tina Freitag, Komponist Ralf Wienrich und Tonmischer Richard Borowski wieder die zentralen Crewmitglieder zusammen, die dem Erstling eine kinoreife Bild- und Klangästhetik verliehen haben und lässt ihnen nun, wohl durch den Erfolg der bisherigen «Spreewaldkrimi»-Teile in der Experimentierfreude bestätigt, nahezu freies Geleit.

«Spreewaldkrimi: Mörderische Hitze» eröffnet daher nicht mit der Suche nach dem Mörder. Der springt nämlich zu Beginn von Sorgen zerfressen vor einen Lastwagen. Nur eine Notoperation kann ihn retten, daraufhin beichtet er dem Kommissar Thorsten Krüger, dass er einen Mord begangen hat. Während der Zuschauer aus der Sicht des Täters und Außenseiters Gottfried Richter dessen Lebensgeschichte im Zeitraffer erzählt bekommt, begibt sich Krüger auf die Suche nach der scheinbar verschollenen Leiche … Ist der Handlungsstrang über den Ermittler, der ausnahmsweise den Tatort und das Opfer ausfindig machen muss, noch eine verhalten-süffisante Umkehr des Kriminalfilm-Alltags, blüht dieser Neunzigminüter förmlich auf, wenn er sich ganz und gar dem einstigen Zirkusassistenten Gottfried Richter annimmt, der sich in einer altmodischen Gemeinde im Spreewald in die Dorfschönheit verliebte. Entgegen allem, was er zuvor vom Schicksal gewohnt war, konnte er ihr Herz erobern und auch den bootsbauenden Schwiegervater von sich überzeugen. Aber die Zeit als Versager und Ausgestoßener zeigte ungebrochen ihre Wirkung: Richters Idyll erhält im Laufe seiner Nacherzählung Risse, weil er sich selbst nie genügte und somit an seinem Glück zweifelte. Also wurden ungewollt Eifersuchtsszenarien hinauf beschworen, zugleich erschwerten wirtschaftliche Herausforderungen Richters Leben und die Angriffe der zunächst stillschweigend mit ihm unzufriedenen Schwiegermutter wurden nach und nach größer – weswegen es letztlich zur großen Katastrophe kam. Eine Familientragödie, nacherzählt von einem naiven, tief erschütterten Zeitgenossen – dies erfordert nicht nur eine ungewöhnliche Performance, sondern auch eine einzigartige audiovisuelle Umsetzung.

Und so tauchen Wessel und Fink die düsterromantische Geschichte dieses ZDF-Krimis in sommerlich flirrende Bilder. Gelbgrüne Waldeindrücke, gefilmt mit vorsichtig eingesetztem Weichzeichner, erzeugen eine Stimmung zwischen überhöhtem Realismus und melancholischer Märchenstunde. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die vom Filmorchester Babelsberg eingespielte Begleitmusik, die betörend zwischen Einflüssen der Klassik und des Jazz tänzelt, und somit ebenso wie Erzählung und Filmbild in zwei Welten verankert ist. Kirchner, Regisseur Wessel und die teils bewusst zeitlos-bizarr, teils modern-stylisch die Handlungsebenen vermengende Cutterin Freitag lenken ihre Aufmerksamkeit abwechselnd auf den tragischen wie den menschlichen Teil dieser Erzählung. Deshalb lösen die Rückblenden nicht bloß das Tatmotiv auf, sondern geben vor allem ein ehrliches, wenngleich verträumtes Psychogramm des Mörders.

Diesen legt Roeland Wiesnekker zu emotionalem Effekt als kindlich, zutiefst unsicheren Mann an, der über die Zeit eine stoische Hülle aufgebaut hat und der sich nach einem Vagabundenleben sehnt. Wiesnekker agiert mit markanter Mimik und prägnanten Gesten, drängt sich dennoch in intensiven Drehbuchpassagen nicht zu sehr auf, so dass er letzten Endes als verletzliche Persönlichkeit durch und durch überzeugt. Auch Christina Große, die Gottfried Richters Geliebte spielt, brilliert mit einem markant-unaufdringlichen Spiel. Christian Redl bleibt im direkten Vergleich als wortkarger Kommissar Krüger wiederum recht blutleer, der Story aber dienlich.

Größte Schwäche dieses TV-Krimis ist, dass er sich trotz seiner ungewöhnlichen Grundidee und Erzählweise noch immer der normierten Laufzeit unterwerfen muss und sich nicht die Zeit nehmen kann, die seinem Ansatz gerecht wäre. Zehn zusätzliche Minuten Laufzeit, um den Figuren mehr Raum zum Atmen geben zu können, wären durchaus willkommen. Dennoch: «Spreewaldkrimi: Mörderische Hitze» wurde auf zwei Filmfestivals eingeladen, und dies ist vollkommen berechtigt. Denn mit einer smarten, unkonventionellen Erzählweise und einer berührenden Hauptfigur zählt der «Spreewald»-Krimi zu den stärksten deutschen Fernsehkrimis der vergangenen Jahre.

«Spreewaldkrimi: Mörderische Hitze» ist am 12. Mai 2014 ab 20.15 Uhr im ZDF zu sehen.

Kurz-URL: qmde.de/70628
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