Der Kinosaal. Weitaus mehr als nur ein Raum mit einer Leinwand und diversen Sesselreihen: Der Kinosaal ist ein faszinierender, kleiner Kosmos für sich. Es beginnt allein schon bei der Frage „Loge oder Parkett“: Ist das Parkett die vordere Hälfte des Saals? Sind es die vorderen zwei Drittel? Sind es sämtliche Plätze, abgesehen von den zwei oder drei Reihen ganz hinten, die zudem stärker erhöht sind? Oder besteht das Parkett gar allein aus der vordersten, Nackenstarre garantierenden Sitzreihe?
Was uns zum Thema „Blick auf die Leinwand“ führt: Je nach Kinosaal können diesbezüglich selbst die größten Gewohnheitsmenschen aus ihrem Trott gerissen werden. Ich etwa möchte gerne die gesamte Leinwand im Blick haben, und sonst nichts. Weder möchte ich so weit vorne sitzen, dass mir ein Teil des Bildes fehlt, noch so weit hinten, dass die Leinwand für mich einfach nur einen Teil der vor mir ausgebreiteten Panoramaaussicht auf den Kinosaal darstellt. Die Faustregel ist daher für mich: „Mittlerer Platz in der mittleren Reihe oder ein, zwei Reihen davor.“ Neulich habe ich jedoch ein Multiplex im Ruhrgebiet besucht, bei dem dies nur in der letzten Reihe möglich war. Als ich mich zur Probe in die mittlere Reihe des leeren Saals setzte, musste ich zur Leinwand aufblicken, wobei sich zudem die Ränder des Bilds außerhalb meines Blickfeldes befanden. Im Gegenzug kenne ich eine sehr bequeme, noble Astor Filmlounge (zugegeben: es gibt nur bequeme, noble Astor Filmlounges), deren Hauptsaal derart langgezogen ist, dass die zweite und dritte Reihe für mich perfekt sind, während die Leinwand weiter hinten für meinen Geschmack viel zu weit weg ist.
Und da sich die Lichtspielhäuser dieser Welt immer mehr einfallen lassen, um Leute aus ihren Heimkinos zu locken, kristallisieren sich obendrein derzeit zahllose Formen des Luxus und Technikbombast heraus. Die UCI-Kette kommt etwa mit ihren iSens-Sälen daher, die unter anderem auf Dolby Atmos setzen. Das CinemaxX experimentiert derweil mit VIP-Sesseln in der Loge ausgewählter Säle einiger seiner Kinos und in einer Marktforschungsstudie untersuchte die Cineplex-Kette kürzlich, ob Besucher extra bezahlen würden, um garantiert Platz ohne Sitznachbarn zu haben.
In zwei Dingen sind sich die diversen Multiplex-Ketten Deutschlands allerdings einig: Sitzplätze werden nahezu ausnahmslos beim Kartenkauf vorgegeben, und im Falle zweier Preisklassen sind die teureren Sitze weiter von der Leinwand entfernt. Freie Platzwahl gibt es in Deutschland nur noch vereinzelt in kleineren (unabhängigen) Kinos – anders als in Nordamerika, wo dies in vielen Landstrichen noch immer Alltag ist. Dort probiert sich eine Kinokette nun auch an einer völlig neuen Idee: Einer teureren Sitzklasse in der Mitte des Saals. Offenbar erkannte die Kette Cineplex Odeon, dass die mittleren Plätze nunmehr die gefragtesten sind und funktioniert daher an einem Standort testweise die zwei zentralen Reihen zur Premium-Kategorie um, die zwei Dollar zusätzlich kosten. Entgegen amerikanischer Standards sind daher auch Reservierungen speziell für diese Plätze möglich, als zusätzlichen Anreiz werden diese Reihen mit neuen, komfortableren Stühlen ausgestattet.
Es würde mich nicht wundern, würde diese Idee auch in Deutschland Schule machen: Immer häufiger höre ich an Kinokassen, dass auch andere Besucher in der Mitte sitzen wollen. Die Ära, in der nahezu jeder „möglichst weit hinten“ sitzen wollte, scheint vorbei zu sein – womit die klassische Loge vieler Filmtheater an Reiz verliert. Sollte das neue Modell zum Standard werden und sich die teuren Plätze demnächst auf die Mitte des Saals konzentrieren, so würden Kinos bei ihren Aufpreisen vielleicht wieder verstärkt auf Zuspruch stoßen.
Andererseits: Im Hinblick auf die Heterogenität deutscher Kinosäle, ist wohl eher damit zu rechnen, dass diese amerikanische Neuerung nur noch mehr Chaos auslösen wird und jede Kette dieser Idee ihren eigenen Dreh verleiht. Wieso sollten zwei Reihen in der Mitte des Saals zur neuen Loge umgemünzt werden? Es könnten ja auch die mittleren Plätze jeder Reihe als „Loge“ dienen, während auf die Sitze ganz außen ein Rabatt gewährt wird! Oder wie wäre es mit zwei Logen? Die mittlere Reihe hat normale Sessel, aber idealen Blick auf die Leinwand, weiter hinten werden dafür die Sitze bequemer? Aufpreis gilt selbstredend für beide Kategorien …
Der Kinosaal kann so unterschiedlich gestaltet werden. Und wie sich zeigt: Es lassen sich noch viele, viele Möglichkeiten zur Variation entdecken.