Die Kritiker

Looking for Freedom

von

Wie bringt man einem Land die Demokratie bei? Ashraf El-Sharkawy hatte im Umfeld der ägyptischen Revolution eine Idee. Julian Miller über eine sehenswerte Dokumentation.

Hinter den Kulissen

  • Produktion: if... Productions
  • Regie: Fatima Geza Abdollahyan
  • Kamera: Jakobine Motz
  • Produzent: Ingo Fliess
Im Frühjahr 2011 hat Ashraf El-Sharkawy seinen Posten als Marketing- und Kommunikationschef bei der Allianz aufgegeben. Der politische Umsturz in Ägypten hat ihn dazu bewogen, Deutschland zu verlassen und am demokratischen Aufbau im Land seiner Eltern mitzuarbeiten. Ägypten kannte er bis dahin (nur) vom alljährlichen Urlaub. Nun fühlte er das Bestreben, dort vor Ort zu sein und mitzuhelfen.

Wie bringt man einem Land die Demokratie bei? Einem Land, in dem einem Großteil der Bevölkerung die Partizipation am politischen Leben zu weiten Teilen immer versagt geblieben ist, wohlgemerkt. El-Sharkawys Idee, die er mit Gleichgesinnten in Kairo entwickelte, beruht auf der Diskussion: Mit einem Bus wollen sie durchs Land fahren, mit den Menschen sprechen, ihnen (auch multimedial) die Abläufe von Wahlen, die Aufgaben des Parlaments und die grundsätzlichen Ideen des Liberalismus erklären. „Freedom Bus“ heißt das Projekt. Keiner dieser Freedom Riders gehört einer Partei oder regierungsnahen Bewegung an. Es geht um die Vermittlung demokratischer Werte, um Diskussion und nicht um Agitation.

Es entstand eine Dokumentation, die einen anderen Blickwinkel auf den ägyptischen Frühling – und den darauf folgenden Abrutsch zu den radikalen Muslimbrüdern – wirft, einen Blickwinkel, der die Chancen herausstellt, die vor drei Jahren bestanden. Die Chance, sich von politischer Bevormundung und religiösem Fanatismus abzuwenden, hin zu einem Ägypten mit einer echten Möglichkeit zur politischen Teilhabe, mit funktionierenden Mechanismen zur Bekämpfung von Korruption, mit einer klaren, demokratischen Struktur. Viele wollten diese Vorstellung schon damals als utopisch verwerfen. Aber «Freedom Bus» zeigt, was vielleicht tatsächlich möglich gewesen wäre.

Gleichzeitig illustriert der Film anhand des Zusammenbruchs des ambitionierten Projekts, dass Ägypten 2011 nicht den Weg zu einem demokratischen System schaffen konnte. Die Parlamentswahlen gewinnen die radikalen Muslimbrüder unter Mohammed Mursi, „Freedom Bus“ kommt zum Erliegen, eine Tour durch das Land mit dem Ziel der politischen Aufklärung ist nicht mehr möglich. Die politische Lage ist zu desolat, die Vermittlung demokratischer Ideale und Abläufe zu gefährlich.

Schon vorher galten El-Sharkawys Ansichten den meisten Ägyptern als zu europäisch. Dort sind Säkularisation und rechtliche Gleichstellung der Geschlechter nicht Konsens, sondern Streitthemen. Dass El-Sharkawy mit dem Land seiner Eltern und den dort (für europäische Verhältnisse eindeutig überkommenen) vorherrschenden Strukturen hadern muss, lässt den (deutschen) Zuschauer sich in ihm wiedererkennen – und vermittelt eindrucksvoll, was für einer Mammutaufgabe er sich mit seinem „Freedom Bus“ gestellt hat. Das macht die Dokumentation nicht nur wichtig und spannend, sondern auch nahbar. Sie verdient ein großes Publikum.

Das ZDF zeigt «Freedom Bus» am Montag, den 2. Juni um 23.55 Uhr.

Mehr zum Thema... Freedom Bus TV-Sender ZDF
Kurz-URL: qmde.de/71042
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