Ende Mai war es wieder soweit. Unmittelbar nach den Upfronts in New York, wo die amerikanischen Networks ihr Programm für die kommende Fernsehsaison vorstellten, versammelten sich in Los Angeles rund 1500 internationale Fernsehchefs aus aller Welt mitsamt ihrer Entourage aus Programmeinkäufern zu den sogenannten L.A. Screenings. Der Name hat sich in den letzten Jahren in der Fachwelt so eingebürgert, zuvor hieß die wohl wichtigste Fernsehmesse der Welt „May Screenings“ und viel früher schlicht „The Screenings“. Dort schauen sich die Delegationen der Fernsehsender die neuen Serien(-Piloten) in zumeist kleinen Kinosälen an. Veranstalter der Screenings sind die amerikanischen Majors (CBS Studios, Disney, NBCUniversal, Sony Pictures, Twentieth Century Fox, Warner Bros. etc.), da die produzierenden Studios bei ihren Produktionen über sämtliche Rechte verfügen.
Anders als ihre britischen und kanadischen Kollegen können sich die Einkäufer aus Deutschland die Serien in Ruhe anschauen und müssen nicht mit gezücktem Checkbuch dasitzen. Durch lange im Vorfeld abgeschlossene Output- und Volumen-Deals mit den Studios wissen die Senderoberen von der Mediengruppe RTL Deutschland und der ProSiebenSat.1 Group bereits, was sie erwartet. Das ist oftmals nicht unproblematisch, denn mitunter erhalten die Sender Serien, mit denen sie gar nicht so recht etwas anfangen können. So hat die Mediengruppe RTL Deutschland Zugriff auf neue Serien von Disney (ABC Studios), NBCUniversal und Sony Pictures Television, ProSiebenSat.1 kann sich bei den CBS Studios, Twentieth Century Fox und Warner Bros. bedienen.
Quotenmeter-Experte Markus Ruoff sprach mit den wichtigsten Einkäufern der Fernsehsender über Trends, ihre Favoriten und welche Serien es womöglich bald auf die heimischen Bildschirme schaffen. Ein Trend der diesjährigen L.A. Screenings war unter anderem die Wiederentdeckung des klassischen Procedural. Procedurals sind Serien mit abgeschlossenen Fällen pro Folge. Das hat vor allem ProSiebenSat.1-Einkäufer Rüdiger Böss sehr gefreut, nachdem in den vergangenen Jahren Serien mit fortlaufender Handlung („Serials“) deutlich an Zuspruch gewonnen haben. Hier gefiel ihm besonders die düstere Krimi-Serie «Stalker» von «The Following»-Schöpfer Kevin Williamson, der damit seinem Stil treu bleibt. Sat.1 könnte die Produktion auf einem späten Sendeplatz hinter «Criminal Minds» zeigen. Auch Sky-Programmchef Marcus Ammon zeigte sich von der Serie ziemlich angetan. Die Macher von «Breaking Bad» und «Dr. House» haben mit «Battle Creek» (Bild) eine Serie über ein ungleiches Ermittler-Duo aus Kleinstadt-Polizist (Dean Winters) und FBI-Agent (Josh Duhamel) entwickelt, die sich Jörg Graf, Chefeinkäufer der Mediengruppe RTL Deutschland, gut für seine Sender vorstellen kann.
Begeistert war er auch über «The Mysteries of Laura» mit «Will & Grace»-Star Debra Messing, das laut seiner Meinung „eine tolle, sympathische Hauptfigur und ein spannendes Setting“ bietet. Die Rechte an der Serie liegen allerdings bei der ProSiebenSat.1 Group, ferner hat der Fernsehkonzern Zugriff auf das Mystery-Drama «Forever», das von einem unsterblichen Gerichtsmediziner handelt sowie auf das CBS-Drama «Scorpion», eine Mischung aus «The Big Bang Theory» und «Numb3rs». Gut für RTL: Mit «CSI: Cyber» gibt es nach den Absetzungen von «CSI: New York» und «CSI: Miami» dringend benötigten Nachschub für die Kölner. Die Produktion gehörte Jörg Graf zufolge „zu den besten Serien der diesjährigen Screenings“ und sei mit Patricia Arquette («Medium») in der Hauptrolle zudem „perfekt besetzt“. Sat.1 kann sich überdies mit «NCIS: New Orleanes» über einen weiteren Ableger seines erfolgreichen Franchises freuen.
Nur einer kann über die vielen Procedurals nicht so recht jubilieren. Gemeint ist Sky-Einkäufer Marcus Ammon. „Für uns als Pay-TV-Anbieter stellt sich die Frage, inwieweit die für amerikanische Networks produzierten Serien unserem Pay-TV-Anspruch gerecht werden und inwieweit sie typische ‚Pay-Charakteristika‘ aufweisen.“ Er setzt in den kommenden Monaten stattdessen auf die beiden HBO-Serien «The Leftovers» von «Lost»-Produzent Damon Lindelof und «The Knick» mit Clive Owen, die im Jahre 1900 in einem New Yorker Krankenhaus spielt.
Durch die deutliche Fokussierung wieder vermehrt auf Krimi-Serien hatten die Comedy-Produzenten in diesem Jahr das Nachsehen. Bemerkbar hat sich das vor allem bei CBS gemacht, das im vergangenen Jahr noch sechs Comedy-Piloten in Serie schickte, davon haben es aber mit «Mom» (ab Herbst dieses Jahres bei ProSieben) und «The Millers» nur zwei ins zweite Jahr geschafft, bei den anderen Networks sah es nicht anders aus. Folglich bestellte CBS für die kommende Fernsehsaison nur zwei neue Sitcoms, die anderen Sender waren ähnlich vorsichtig. ProSieben, das an drei Abenden in der Woche auf diese Programmfarbe setzt, wird davon kurzfristig zwar keine Auswirkungen spüren. Doch aufgepasst: Aktuell zeigt der Sender die finalen Folgen von «How I Met Your Mother» und darüber hinaus wurde jüngst das Ende von «Two and a Half Men» nach der nächsten Staffel verkündet. Immerhin bleibt «The Big Bang Theory» den Fans und ProSieben noch mindestens drei Jahre erhalten.
Doch eventuell kommt von CBS mit «The Odd Couple» bereits der Nachfolger aus dem eigenen Haus. Die Hauptrollen in dem Remake der 1970er Jahre Serie spielen diesmal «Friends»-Star Matthew Perry, dessen letzten drei Serien allesamt floppten, sowie Thomas Lennon. Aufgrund von Cast-Änderungen gab es bislang allerdings noch keine bewegten Bilder der Sitcom zu sehen - ein Start ist im amerikanischen Fernsehen obendrein erst 2015 geplant. Im Herbst dieses Jahres geht dafür «Selfie» (Bild) auf Sendung und spiegelt damit offenbar den Zeitgeist wider. Die Comedy handelt von einer oberflächlichen Smartphone- und Socialmedia-süchtigen Frau, die mithilfe eines Marketingexperten versucht, sich ein neues Image zu verpassen. Passt zu ProSieben und wird dort wohl auch laufen. Die Mediengruppe RTL Deutschland erhält hingegen «Marry Me», das ebenso wie «Selfie» bei den Einkäufern auf den L.A. Screenings die meisten Lacher erhielt. Für ProSiebenSat.1-Chefeinkäufer Rüdiger Böss war außerdem das einstündige Comedy-Drama «Jane the Virgin» eine „schöne Überraschung“. In der Adaption einer venezolanischen Telenovela wird die Geschichte eines 17-jährigen Mädchen erzählt, das durch eine Verwechslung im Krankenhaus versehentlich künstlich befruchtet wird. Die Serie ist wie gemacht für das sixx-Publikum.
Die L.A. Screenings 2014 waren obendrein von Superhelden und Comic-Adaptionen geprägt. „Es gibt einen Trend zum seriell erzählten Superhero“, stellt Sky-Programmchef Marcus Ammon fest und ProSiebenSat.1-Kollege Rüdiger Böss bestätigt: „Ein weiterer Trend sind Superhelden.“ Wohl keine andere Serie wurde so sehnsüchtig erwartet wie «Gotham». Die Produktion spielt in der Welt von Batman - allerdings ohne Batman. Erzählt werden die frühen Anfänge des Detective James Gordon, der später als Polizei-Commissioner ein guter Freund von Batman wird. Auch die Entstehung der zukünftigen „Superschurken“ und die Kindheit des zwölfjährigen Bruce Wayne, der nach dem Tod seiner Eltern als Waise aufwächst, wird beleuchtet. Der Pilot fand bei durchweg allen Einkäufern - unter anderem Marcus Ammon und Rüdiger Böss - Anklang. Das seriell erzählte Cop-Drama von «The Mentalist»-Schöpfer Bruno Heller würde ProSieben zumindest gut zu Gesicht stehen.
Ob ProSieben aber auch etwas mit «The Flash» (Bild) anfangen kann? Die Serie ist als Spin-Off für «Arrow» angedacht, das jedoch in Deutschland bei der Mediengruppe RTL Deutschland liegt. «The Flash» könnte daher ebenso auf ProSieben Maxx oder sixx unterkommen wie die Comic-Adaption «iZombie». «Constantine» ist etwas für die Zielgruppe von «Supernatural» und könnte demzufolge bei ProSieben oder dem kleinen Bruder ProSieben Maxx laufen. Mit «Marvel‘s Agent Carter» erweitert ABC darüber hinaus sein Superhelden-Universum um eine weitere Serie. Genauso wie bei «Marvel‘s Agent of Shield» sind die Rechte aufgrund des Volumen-Deals mit The Walt Disney Company bei der Mediengruppe RTL Deutschland.
Was gab es außerdem noch zu sehen? Neben den bereits erwähnten «CSI: Cyber» und «The Mysteries of Laura» gibt es zahlreiche weitere Serien mit starken Frauenfiguren. In erster Linie ist hier «How to Get Away with Murder» zu nennen. In der von Shonda Rhimes ( «Grey‘s Anatomy», «Scandal») produzierten Serie spielt Oscar-Preisträgerin Viola Davis eine Jura-Professorin, die mit ihren Studenten Verbrechen aufklärt. ProSiebenSat.1-Einkäufer Rüdiger Böss war verzückt, doch äußerte auch Bedenken: „Man muss nur darauf achten, dass die Handlung nicht zu komplex wird.“ Da die Produktion ohnehin an die Mediengruppe RTL Deutschland geht, muss er sich darüber keine weiteren Gedanken machen. Auch «State of Affairs» mit Katherine Heigl, die als CIA-Analystin für die Präsidentin arbeitet, wird an die Kölner gehen. Die ProSiebenSat.1 Group erhält dafür eine von Rüdiger Böss‘ Favoriten: In «Madam Secretary» wird Tea Leoni unverhofft zur amerikanischen Außenministerin berufen. Nach dem großen Erfolg von «Under the Dome» will CBS mit der Science-Fiction-Serie «Extant» in diesem Sommer daran anknüpfen. Darin spielt Halle Berry eine Astronautin, die nach einem Jahr im Weltall heimkehrt - unerklärlicherweise schwanger. Das dürfte ProSieben ebenfalls gefallen.
Daneben gab es noch eine Reihe weiterer Event-Serien. So hat zum Beispiel das amerikanische Network FOX mit «Gracepoint» ein nahezu identisches Remake des britischen Überraschungserfolg «Broadchurch» gedreht - mit David Tennant wurde gar der gleiche Hauptdarsteller engagiert. Die Serie soll zwar eine komplett andere Auflösung als das britische Original bieten, doch scheint es fraglich, ob sich erneut ein deutscher Sender für die Idee erwärmen kann. Schließlich wird voraussichtlich Sat.1 in den kommenden Monaten «Broadchurch» ins Programm nehmen. Anders sieht es bei dem thematisch ähnlich angelegten «Secrets and Lies» mit Ryan Phillipe in der Hauptrolle aus, das ProSiebenSat.1-Einkäufer Rüdiger Böss und Sky-Programmchef Marcus Ammon gleichermaßen überzeugte. Mit «Wayward Pines» von M. Night Shyamalan wurde überdies eine Art «Twin Peaks 2.0» für 2015 angekündigt. Der deutsche Fox Channel hat sich bereits die Rechte gesichert und will die Mini-Serie unmittelbar nach US-Start ausstrahlen.
Die Bandbreite an Serien war insgesamt doch sehr groß. „Von großen, aufwändig produzierten Dramen bis zu kleinen Nischenshows waren die Inhalten diesmal differenzierter. Neben klassischen Genreserien gab es eine Vielzahl von Science-Fiction-, Supernatural- oder Family-Serien“, attestiert Jörg Graf, Chefeinkäufer der Mediengruppe RTL Deutschland. Das Fazit der Einkäufer fiel daher durchweg positiv aus, wenngleich die Programmierung vereinzelter Serien für die Programmplaner aller Voraussicht nach wieder eine Herausforderung darstellen wird.
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