Cast und Crew
Vor der Kamera:Aylin Tezel als Lara, Henrike von Kuick als Nora, Tómas Melarquis als Elvar, Godehard Giese als Martin, Marion Mitterhammer als Claudia und Lutz Blockberger als Paul
Hinter der Kamera:
Regie: Pola Beck, Drehbuch: Burkhardt Wunderlich, Produktion: Iris Sommerlatte und Ali Saghri, Musik: Ninca Leece, Kamera: Juan Samiento, Schnitt: David Rauschning
Im Mittelpunkt dieser Kinoproduktion steht die von «Tatort»-Kommissarin Aylin Tezel verkörperte 25-jährige Lara, die in Berlin ein ebenso orientierungsloses wie unbeschwertes Studentenleben führt. Auf Wunsch der durchaus gut betuchten Eltern hat sie das Fach Architektur belegt, obwohl sie gar nicht Architektin werden will. Einen eigenen, fest ins Auge gefassten Berufswunsch hat die wilde Partygängerin bislang nicht – dank des Studiums ist ja auch noch Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Als Lara und ihre beste Freundin Nora, mit der die 25-Jährige ab und an auch das Bett teilt, eines Nachts im Club den selben Kerl, anbaggern und es Nora ist, die ihn erfolgreich abschleppt, sucht Lara kurzerhand nach einem Trostfick.
Ihr Interesse konzentriert sich auf den Barkeeper, mit dem sie auf der Clubtoilette einen heftigen One-Night-Stand hat. Einige Wochen später erfährt Lara von ihrer Frauenärztin, dass sie in jener Nacht schwanger wurde. Zunächst ist die Studentin, die sich selbst noch als unbedarfte Jugendliche betrachtet und täglich mit einem Hauch Selbstironie nachsieht, ob sich unter ihrem Bett Monster befinden, ganz und gar schockiert. Mit etwas Bedenkzeit freundet sich Lara allerdings mit dem Gedanken an, Mutter zu werden. Schon seit sie sich für ihren Nachbarn, einen isländischen Künstler namens Elvar, um dessen Haustier kümmert, fühlt sie sich erfüllter als zuvor. Und eine Mutterschaft würde ihr nicht nur noch mehr Verantwortung zuspielen, sondern endlich eine klare Perspektive geben. Aber während der Schwangerschaft kommt es zu großen Komplikationen …
Regisseurin Pola Beck und ihr Drehbuchautor Burkhardt Wunderlich, ebenfalls ein Debütant, umschiffen gekonnt sämtliche Klischees, die sich bei solch einer Geschichte üblicherweise aufdrängen. So verzichten sie auf reißerische Extreme in der Charakterzeichnung Laras. Trotz ihrer gelegentlichen Exzesse im Rahmen von Partynächten skizzieren sie die Architekturstudentin nicht als sexgeilen Junkie. Lara hat ihren Drogenkonsum durchaus im Griff und wertende Kommentare über ihre Sexualität bleiben ebenfalls aus. Zudem ist ihr ausgelassenes Nachtleben nur ein Teil ihres Lebens – im Gegensatz zu diversen anderen Coming-of-Age-Dramen erinnert «Am Himmel der Tag» durch den geregelten Tagesablauf Laras daran, dass unsere Protagonistin zwar perspektivlos ist, nicht aber unvernünftig oder gar selbstzerstörerisch.
Lara steht somit zu gewissem Grade stellvertretend für viele junge Erwachsene der heutigen Zeit, in der die individuelle Biographie durch den sinkenden Einfluss einst so mächtiger Institutionen wie der Kirche längst nicht mehr festgelegt ist. Alles kann, nichts muss. Selbstbestimmung als befreiende Chance und lähmender Optionenüberfluss zugleich. Dieses vom Drehbuch vermittelte Gefühl unterstreicht, kunstvoll und subtil, auch die Bildsprache von «Am Himmel der Tag»: Bis sich Lara explizit dazu entscheidet, ihr Baby auszutragen, sind die Hintergründe verschwommen, der Schnitt lässt die Szenen vorbeirauschen. Die hippe Bundeshauptstadt als konturloses nicht aber deprimierend tristes, graues Irgendetwas. Im Fokus der Nah- und Halbnahaufnahmen steht allein das zu gleichen Teilen entspannte wie verlorene Gesicht Laras. Fast möchte man sagen, dass es bei allem Hedonismus gedankenverloren wirkt – aber dafür geben Regie, Drehbuch und das authentische Schauspiel von Aylin Tezel zu wenig Einblick in die Sorgen Laras. Erst mit der Schwangerschaft gewinnt die Bildsprache des Films an Kontur, Schärfe und Ruhe, genauso, wie Laras Gedanken konkreter werden. Dabei vermeidet «Am Himmel der Tag» wohlgemerkt, Laras unerwartete Schwangerschaft als großes Versprechen von Glück und Seelenfrieden zu positionieren. Dafür sorgen schon vor der Schicksalswende im letzten Part des Films die Gespräche zwischen Lara und ihrer Familie, ihren Freunden sowie den Behörden. Ein Kind ist für Lara nicht die einzig wahre Perspektive, sondern schlichtweg irgendeine Perspektive – aber somit schon eine Steigerung gegenüber ihrer Lebenslage zu Beginn des Films.
Sobald Laras Schwangerschaft eine dramatische Wende nimmt, sind ihre Reaktionen auf Drehbuchseite zwecks Symbolhaftigkeit etwas überkonstruiert, im Gegenzug bricht aber das bodenständige Spiel Aylin Tezels auf und ermöglicht mehrere Gänsehautmomente. Wenn Tezel auf ihre ahnungslose Umwelt reagiert und sämtlichen Schmerz Laras vergeblich runter zu schlucken versucht, wandelt sich dieses Generationenporträt in einen kompromisslosen Schicksalsbericht. Regisseurin Beck lässt ihre Inszenierung jedoch nie in den Bereich des Elendsvoyeurismus abgleiten, lässt viel mehr exemplarische Situationen für sich stehen und ein Gros des emotionalen Grauens mittels verschlagener Assoziationen im Kopf des Betrachters entstehen.
All dies macht «Am Himmel der Tag» nicht nur zu einem beeindruckenden Regiedebüt, sondern zu einem generell äußerst berührenden, intelligenten Filmprojekt, das ein emotionales wie dauerhaft brenzliges Thema auf ganz eigene Weise anpackt. Künstlerisch wertvoll, ohne verkopft zu sein, vom Geschehen distanziert und dennoch bewegend etabliert «Am Himmel der Tag» Pola Beck als junge Regisseurin mit eigener Stimme, die es im Blick zu halten gilt.
«Am Himmel der Tag» ist am 12. Juni 2014 um 22.45 Uhr im Ersten zu sehen.