Mitunter das meiste Kopfschütteln ernten ARD und ZDF, wenn sie versuchen, Programmfarben von Privatsendern nachzubauen, die nicht nur von leichter bis seichter Machart sind, sondern hinsichtlich des medienethisch Tragbaren auch gerne einmal Grenzen austesten. Das mit öffentlich-rechtlichen Grundsätzen zu vereinbaren, ist freilich oft schwierig. Und wenn Sie beim Zappen mal bei einem Boulevard-Magazin gelandet sind, in dem permanent der unterschwellige Versuch unternommen wird, das inhaltsarme Yellow-Press-Gefuchtel mit ein bisschen Relevanz zu unterfüttern, weil man die Selbstironie einer privaten Infotainment-Sendung wie «taff.» im Leben nicht hinkriegt, sind Sie bei «Brisant» gelandet, das der MDR täglich für das Erste produziert.
Nicht falsch verstehen: In den allermeisten Fällen sind «Brisant»-Beiträge und -Anmoderationen zwar weder intelligent noch relevant, aber harmlos. Wenn man aber doch einmal ins journalistisch Bedenkliche abrutscht, ist der Faux-Pas naturgemäß viel gravierender, als wenn das bei RTL oder ProSieben passiert. Denn erstens sieht sich die ARD gerne als integraler Bestandteil unseres demokratischen Systems, zweitens schreckt man im Diskurs mit der privaten Konkurrenz vor deftigem Austeilen nicht zurück und drittens finanziert man sich aus einer Abgabe, die notfalls mit Zwangsmaßnahmen vollstreckt wird. Das soll nun nicht den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als solches verteufeln, sondern vielmehr illustrieren, welch hohen Ansprüchen man gerecht zu werden hat. Dass man als Zuschauer und Beitragszahler mit einem hohen Maß an Souveränität rechnen darf, wenn doch einmal ein Fehler passiert ist, sollte ohnehin außer Frage stehen.
Wie man es nicht macht, zeigt ein aktuelles Beispiel aus «Brisant». Dort ist ein 49-Jähriger, gegen den in dem zugrunde liegenden Fall noch kein Urteil ergangen ist, in einer Anmoderation als Mörder bezeichnet worden. Im darauf folgenden Beitrag fiel dagegen die in solchen Fällen übliche Bezeichnung „mutmaßlicher Mörder“. Er soll in Brasilien einen Mithäftling getötet haben, als er dort wegen eines Drogendelikts hinter Gittern saß.
Mittlerweile hat er – das dürfte nicht überraschen – den MDR verklagt. Dessen Position ist diffizil, schließlich ist nicht auszuschließen, dass etwaige entschuldigende Töne vom Gericht als Schuldeingeständnis gewertet werden könnten, was wiederum Schadenersatz- oder Schmerzensgeldansprüche nach sich ziehen könnte. Ein Sendersprecher suchte nun die Flucht ins Hirnrissige – mit folgendem Statement: „Insofern gehen wir davon aus, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer den Begriff 'Mörder' in dem konkreten Kontext nicht im juristisch-technischen Sinne, sondern als Stilmittel verstehen.“
Aha. Die Bezeichnung „Mörder“ ist jetzt also ein Stilmittel. Ein Stilmittel zu was? Zur Vorverurteilung? Bravo, den Zweck hätte man erfüllt.
Dass sich der Boulevard erdreistet, den rechtlichen Bewertungen von Strafsachen mit seinen Sandkastenvorstellungen von Juristerei zuvorzukommen, ist nicht neu. Dass diese Unsitte nun auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen stattfindet, ist bedenklich. Dass man sich darauf hinausreden will, eine in einem Boulevard-Magazin geäußerte Vorverurteilung sei als Stilmittel statt im eigentlichen Wortsinn aufzufassen, ist lächerlich – und ziemlich brisant.