Als Fußballmuffel muss ich in diesen Tagen mit allerhand Anfeindungen leben. Denn offenbar erachten Fußballanhänger mich mit aufgrund meines Desinteresses sogleich als erbitterten Feind ihres geliebten Rasenschachs. In den Stunden, die zu meiner nächsten Runde voll Fernsehwahnsinn hinleiteten, wurde ich in einer Tour angemault: „Wehe, du Spacken feuerst heimlich USA an!“ Oder auch: „Du Penner freust dich sicher, wenn wir raus fliegen. Wisch dir dein dreckiges Grinsen aus dem Gesicht!“ Sagt mal, liebe Jünger des runden Leders: Was ist euer Problem? Ich interessiere mich nicht für Fußball, ich bereite mich an dieser Stelle lediglich ganz gemütlich darauf vor, das Gegenprogramm zum dritten deutschen WM-Spiel zu begutachten und fertig. Da ich mich für den Sport nicht begeistern kann, ist es mir gleichgültig, welche Mannschaft sich darin besonders gut schlägt. Mit anderen Worten: Ja, ich feiere nicht, wenn Deutschland gewinnt. Aber ich feiere genauso wenig, wenn Deutschland verliert!
Mit dem Tastendruck-Tango, den ich auf meiner Fernbedienung tanze, stimme ich nicht gegen Deutschlands Nationalelf. Ich stimme nur dafür, etwas anderes zu gucken. Grummelnd, und mich weiterhin über die unausstehliche Launenhaftigkeit meines Umfelds auslassend, stimme ich um Punkt 18 Uhr für den aus der Schweiz stammenden Sender Star TV. Dort läuft nämlich der Film «Freiwurf», der mir gerade sehr, sehr gut in den Kram passt. Erinnert er mich doch daran, dass das Thema Sport auch eine verbindende Wirkung haben kann und manche sportbegeisterte Menschen Ahnungslosen auch offen gegenübertreten. Nun gut, vielleicht bin ich mit diesem Seitenhieb zu harsch zu allen, die mich vorhin noch anotzten – sie sind wohl einfach nur gestresst, weil Deutschland gerade genauso gut auf dem Weg zum Gruppensieg wie auf dem Weg nach Hause sein könnte.
In «Freiwurf» wiederum geht es um einen ganz anderen Weg, nämlich den Weg vom durcheinandergewirbelten Haufen hin zu einer Vorzeige-Basketballmannschaft. Dennis Hopper bekam für seine Darbietung als betrunkener Assistenztrainer einer Schulmannschaft eine Oscar-Nominierung, Komponist Jerry Goldsmith wurde ebenfalls nominiert. Bis Hopper eine große Szene bekommt, dauert es aber noch einige Zeit, und so beschließe ich, diese 1986 gestartete Vorlage für das Genre des inspirierenden, auf wahren Begebenheiten basierenden Sportfilms wieder zu verlassen. Immerhin nehme ich schon jetzt Goldsmiths Musik als Ohrwurm mit – zigfach besser als jeder einzelne WM-Song!
Nachdem ich blind auf die Fernbedienung getippt habe, lande ich bei VIVA. Die letzten Takte des «Sailor Moon»-Titelsongs sind zu hören. Ich kenne die Serie noch von ihrer Zeit im ZDF und kann mich primär daran erinnern, dass ich irgendwann einige Folgen versäumt hatte und dann daher als Teenie nicht mehr in die Handlung rein fand. Und ich erahne nach wenigen Sekunden, dass ich zu wenig Vorwissen habe, um auch die gerade laufende Folge zu verstehen. Ein in seinem Umhang verschwindender, mit der Stimmlage des «Star Wars»-Imperators sprechender Kerl gibt einem hochgeschossenen, dürren Typen mit roten Haaren Anweisungen, dann mault eine der Sailor-Kriegerinnen einen braungebrannten Typen an, weil er beim Schleppen ihrer Einkäufe zu lahm ist. Eine Katzenlady stimmt in das Gejammer mit ein. Und es wird außerordentlich auffällig, dass Figuren, die längere Sätze von sich geben, komplett stillhalten und sich allein ihre Münder bewegen. Dann bekommt der Rothaarige einen Flakon Duftwasser geschenkt, das kaputt geht. Dramatische, bedeutungsschwangere Musik. Verwirrt schalte ich um.
Der WDR erfüllt nun meinen Fernseher. Eine Gruppe Kleingärtner aus dem Ruhrgebiet unterhält sich über das neue Vereinsschild. Am nächsten Tag steht wohl ein wichtiger Wettbewerb an. Schnitt. Der große Tag ist gekommen. Aber die Jury kommt zu spät. Nun, normalerweise wäre dies das Verfehlen der Juroren. Doch nein: Weil die Jury zu spät kommt, kürzt sie ihre Besichtigungszeit im Leverkusener Kleingarten. Die Schrebergärtner finden das unfair, knurren aber nur hinter vorgehaltener Hand, um den Jurypräsidenten nicht zu verärgern. Vielen Dank, «hier und heute». Dank dieser Reportage weiß ich nun, dass praktisch kein Unterschied zwischen Kleingartenwettbewerben und der von meinem Umfeld viel diskutierten Fußball-Weltmeisterschaft besteht. Schiedsrichter fällen in beiden Disziplinen fragwürdige Entscheidungen, die alle Betroffenen nerven – und niemand kann sich auf Augenhöhe mit den Verantwortlichen auseinandersetzen. Nun ist es mir auch völlig egal, ob die illustre Gruppe gewinnt. Während ein bayerischer Verein sehr zum Unmut aller anderen Anwesenden bei einer großen Veranstaltung einen wichtigen Preis einsackt (auch das kommt mir bekannt vor), schalte ich gelangweilt um (was mir ebenfalls bekannt vorkommt).
Mein Zapping-Glück führt mich zu RTL II, wo mich erwartungsgemäß «Köln 50667» anspringt. Nachdem ich bei meiner ersten Stunde Fernsehwahnsinn anlässlich eines Deutschlandspiels gesehen habe, wie sich mehrere Leute heftig ankeiften, erlebe ich dieses Mal… einen gewaltigen Zickenkrieg. Abwechslungsreich! Der Grund für den Streit wird mir nicht klar, die beiden Grazien finden einander halt einfach nur scheiße. Das ist ja mal preisverdächtige Charakterzeichnung. Vielleicht haben die Macher der Soap aber auch während der Produktion festgestellt, welche Episoden gegen deutsche WM-Partien antreten müssen und daher auf Inhalte verzichtet, die das Format (oder die Figuren) irgendwie voranbringen. Damit die Fans nichts verpassen, wenn sie statt «Köln 50667» halt Fußball gucken. Das wäre ja fast schon löblich …
Ehe ich auf die Idee komme, allen Ernstes zu sehr ins theoretisierte Schwärmen zu geraten (sofern es so etwas überhaupt gibt), schalte ich lieber weiter. Was passiert denn auf ProSieben? Leider erwische ich «Die Simpsons» während der Werbeunterbrechung. Chips, Musik, Schnellfraß, die üblichen Produkte halt. Somit habe ich also bei meinem dritten „Anti-WM-Guck“-Experiment endlich erfahren, was so beworben wird, wenn Deutschland auf dem Rasen herumtollt spielt. Nichts, was sonst nicht auch beworben werden würde. Also keine Spots für spitze Nadeln, die Fußbälle platzen lassen. Keine Sexhotlines, die ja sonst immer auftauchen, wenn sich das Schalten von Werbung kaum lohnt. Wie antiklimatisch!
Dann halt rüber zu «Star Trek – Raumschiff Voyager» auf Tele 5. Ich muss wohl mitten in einem Staffelfinale gelandet sein, denn die Crew ist angespannter denn je, es befinden sich Borg an Bord und stets wackelt und rappelt etwas. Die Kommandokette wird dauernd neu definiert und der Produktionswert scheint mir auch höher als von meinen gelegentlichen Voyager-Erfahrungen erwartet. Was soll's, ich schummle kurz, wende mich meiner Flimmerkiste ab und ergoogle, welche Episode ich sehe. Nun, ich lag nicht völlig daneben: Es ist der finale Part eines Zweiteilers, der sich als Cliffhanger am Ende der dritten Season sowie als Eröffnung der vierten Staffel ereignete. Nun bin ich ein gutes Stück schlauer in Sachen Trek-Universum …
Zapp! Tim Taylor, der Heimwerkerkönig ist wieder am Werk, denn ich habe zu RTL Nitro geschaltet, wo eine Folge «Hör mal, wer da hämmert» läuft. Er sitzt am Set von Tool Time auf einem Sessel und lästert mit zwei Kerlen über seine Frau Jill, die im Schlaf eimerweise sabbert. Selbstredend sieht Jill diese Folge der Heimwerkersendung und beschwert sich bei Tim, der völlig ahnungslos ist, was daran ein Problem sei – immerhin scherzen er und Jill doch auch stets über ihr Speichelproblem. „Du denkst mal wieder nicht mit“, tobt Jill, woraufhin Tim Allens Paraderolle erwidert: „ICH denke nicht mit? Wer ist denn hier tagelang mit einer blinkenden Ölkontrollleuchte durch die Gegend gefahren?“ So dumm sich Tim hier auch anstellen mag, so klingt dieser Streit dank der Abfolge an Verteidigungen und Gegenargumenten sowie aufgrund der Darsteller echt. Wie aus dem normalen Leben eines jahrelangen (Ehe-)Paares abgeguckt. Wenn ich da an die Vulgärkeiferei von «Köln 50667» zurückdenke, die ich vor einigen Minuten miterlebte, wird mir wieder überdeutlich, wieso gute Sitcoms auch Jahrzehnte nach ihrem Ende gesehen und verehrt werden. Nun taucht kurz der B-Plot der Episode auf (der älteste Bruder Brad ärgert das mittlere Kind Randy mit rosa Nagellack), dann gibt es ein energischeres Streitgespräch zwischen Tim und Jill. Tim wird nachdenklich, und somit wird es Zeit für die obligatorische Unterhaltung mit dem klugen Nachbarn Wilson.
Da dieser mit seinem Fachwissen in sämtlichen Belangen das sprachliche Niveau in die Höhe schnellen lässt, scheint mir der perfekte Zeitpunkt gekommen, zu arte zu schalten. Vielleicht läuft dieses Mal ja keine Dokumentation über Land und Leute? Zapp! Luftige Aufnahmen satt grün bewaldeter Hügel, strahlendes Blau schlängelt sich in Form eines malerischen Flusses durch die Landschaft… Es gibt erneut eine französische Version von «Deutschland von oben» zu sehen. Unter dem Titel «Belle France» wird mir die südfranzösische Region Languedoc-Roussillon präsentiert. Ja, die Bilder sind sehr hübsch und die gelegentlichen Begleitinformationen interessant, aber langsam finde ich es sehr verwirrend, dass ich bei arte neuerdings nur in Erdkundeformate rein rassle.
Naja, was soll's. Ich lass mich noch ein wenig berieseln, während ein Stockwerk unter mir lautstark gestritten wird, was im Spiel bislang gut lief und was weniger gut lief. Sehr lautstark. Schimpfwort folgt auf Schimpfwort, Hassbekundung auf Hassbekundung. Vielleicht sollte das ZDF auch ab und zu ein paar beruhigende Landschaftsaufnahmen einblenden, in der Halbzeit zum Beispiel. Die beruhigen so schön …