Die Kritiker

Im Namen des Kritikers...

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Justizdramen sind keine Stärke von deutschen Autoren und Produzenten. Ein Blick in angelsächsische Märkte könnte Abhilfe schaffen. Beispiel «Silk», das am Dienstagabend bei ZDFneo startet.

Hinter den Kulissen von «Silk»

  • Erstausstrahlung in England: 2011-2014
  • Sender: BBC One
  • Schöpfer: Peter Moffat
  • Darsteller: Maxine Peake, Rupert Penry-Jones, Neil Stuke, John MacMillan, Theo Barklem-Biggs, Alex Jennings u.v.a.
Bei deutschen Fernsehstoffen über Richter und Anwälte wird Kritikern oft schon mulmig, bevor sie auch nur eine Minute gesehen haben. Das liegt an den zahlreichen Negativbeispielen, die man in den letzten Jahren sehen musste. Glanzstücke mit Hirn und Anspruch sind hierzulande in diesem Segment die absolute Ausnahme.

Denn unter Justizdramen scheinen deutsche Produzenten und Autoren zumeist Lehrstücke zu verstehen, in denen sie auf komplexe rechtliche Fragen einfache Antworten liefern wollen. Dass es die oft nicht gibt, scheint angesichts der Unterwerfung vor dem Anspruch, primär seicht und leicht zu sein, zweitrangig. Die Reihe «Alles was recht ist» (mittlerweile glücklicherweise eingestellt) hat es vorgemacht: Statt juristische Stoffe angemessen zu dramatisieren, will man eine bornierte, weltfremde Alternative zur als Paragraphenreiterei wahrgenommen rechtlichen Auseinandersetzung etablieren, die der strikten methodischen Exegese aufgrund ihres unmittelbaren Bezugs zum konkreten Fall menschlich überlegen sein soll. Ob das dann intellektuell Sinn macht, schien nicht von Belang. Herz und Verstand werden als unauflöslicher Dualismus verstanden, in dessen Rahmen man sich für Ersteres entscheiden soll.

Aus dem angelsächsischen Raum sind freilich ganz andere Beispiele bekannt. «L.A. Law» vom Network NBC etwa, das noch heute deutlich nahbarer und moderner aussieht als das infantile «Alles was recht ist», obwohl es mittlerweile über zwanzig Jahre auf dem Buckel hat. Genauso natürlich David E. Kelleys goofige, hinsichtlich der Komplexität ihrer rechtlichen Materie aber nicht anspruchslose Anwaltsserien, primär sein hervorragendes «Boston Legal».

Dass auch die Briten das Know-How für intelligente Justizserien haben, konnten sie spätestens im Februar 2011 beweisen, als die BBC die Premiere von «Silk» auf Sendung schickte. ZDFneo zeigt das Format ab Dienstagabend. Im – nicht nur, was hochwertiges serielles Erzählen angeht – fernen England ist es bereits im März dieses Jahres nach 18 Folgen ausgelaufen.

Die Hauptfigur heißt Martha Costella und arbeitet als Rechtsanwältin in einer angesehenen Londoner Kanzlei. Um künftig eine größere Freiheit bei der Auswahl ihrer Fälle zu haben, will sie in den elitären Rang der Kronanwälte, des Queen's Counsel, aufsteigen. Im englischen Juristensprech nennt man das taking silk – daher auch der Serientitel.

Die deutsche Synchronfassung tut sich natürlich schwer damit, die angelsächsische juristische Fachterminologie sinnvoll ins Deutsche zu übertragen. Die grundsätzlichen Strukturen, für die es im deutschen Rechtssystem keine Entsprechung gibt, sei es die Aufteilung des Anwaltsberufs in Barrister und Solicitor oder die vertrackten Beweisregeln bei einem Prozess vor Geschworenen, muss der interessierte Zuschauer freilich kennen oder mühsam recherchieren. Vor dem Hintergrund deutscher Justizserien ist das vielleicht aber gar nicht so viel verlangt: Schließlich haben deutsche Drehbuchautoren mit ihren Sandkastenvorstellungen hiesiger Gerichtsverfahren einiges zur Anglifizierung der Vorstellungen prozessualer Abläufe bei ihren Zuschauern beigetragen. Oder höre ich da einen Einspruch?

Egal, Einspruch abgelehnt, wie der durchschnittliche deutsche Drehbuchautor, vom jahrelangen «Ally McBeal»-Gucken vorgeschädigt, jetzt hirnentleert schreiben würde: «Silk» zeigt, wie man Justizdrama richtig macht – und gleich die ersten beiden Folgen packen heiße Eisen an. In der Premiere geht es unter anderem um einen Raubüberfall auf einen alten Mann. Der dubiose Tunichtgut Gary Rush mit seinem beachtlichen Strafregister, der dem Polizei-Officer im Zeugenstand bisher aber immer zu milde davongekommen ist, soll der Täter sein. Martha setzt alles daran, um ihren Mandanten freizubekommen, obwohl vieles dafür spricht, dass er den Überfall tatsächlich begangen hat. Warum? Weil das ihr Job ist. Sie hat Erfolg: „Die Wahrheit hat zwei Gesichter: Gary Rush ist ein schrecklicher Typ und wurde zurecht freigesprochen. Und das schließt sich nicht gegenseitig aus.“ Auch wenn einem diese Zeilen vielleicht ein wenig überdeklamiert vorkommen mögen: Sie sind intelligent, sinnig und zutreffend. Umso größer das Schaudern, mit dem man daran zurückdenkt, wir juristische Stoffe hierzulande oft umgesetzt werden.

Die zweite Folge, die ZDFneo unmittelbar im Anschluss an die erste zeigt, ist noch brisanter. Diesmal verteidigt Martha einen mutmaßlichen Vergewaltiger. Und obwohl sie hier in den Konflikt mit ihren inneren Überzeugungen gerät, ist ihr Bekenntnis zu ihrem Job klar. Als ihr vorgeworfen wird, nicht mit ganzem Herzen bei der Sache zu sein, antwortet sie mit einem Satz, den deutsche Autoren und Produzenten an dieser Stelle bitte mitschreiben: „Es spielt keine Rolle, wo mein Herz ist. Was ich glaube, ist belanglos.“ Es kommt darauf an, wo das Hirn ist. Und das ist bei «Silk» an der richtigen Stelle.

Nun mögen deutsche Fernsehmacher einwerfen, es gehe in ihren Formaten ja nicht primär um juristische Plots, sondern um die Figurenführung. Ihnen sei gesagt: Auch die kriegt «Silk» deutlich besser hin, als der Unfug, den man aus deutschen Justizserien kennt. Marthas kluge Verteidigungsstrategien und die intelligenten Auflösungen ihrer Fälle gehen nicht auf Kosten ihres Tiefengehalts als Figur. Eine solche Vermutung ist zwar ohnehin abwegig, wird von deutschen Serienmachern aber häufig zu postulieren versucht. Ihnen sei «Silk» besonders ans Herz gelegt. Als Lehrstück.

ZDFneo zeigt «Silk» ab Dienstag, den 15. Juli um 20.15 Uhr.

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