Kolumnen

1 Stunde Wahnsinn mit einem Fußballmuffel – Das WM-Finale

von

Quotenmeter.de-Redakteur Sidney Schering veröffentlicht am Tag nach Deutschlands WM-Sieg sein Fernsehlogbuch über das TV-Programm, das parallel zum spannenden Finale um Zuschauer kämpfte.

Da hat es die deutsche Nationalmannschaft also tatsächlich geschafft: Sie steht im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft, noch dazu gegen einen ihrer Wunschgegner – die Minimalisten aus Argentinien. Die TV-Quoten dürften heute durch die Decke gehen. Und ich mache es mir ein letztes Mal zur Aufgabe, zu verfolgen, was sich denn so im Fernsehprogramm der unfassbaren Aufgabe stellt, Zuschauer anzulocken, während in Brasilien um den Pokal gekickt wird. Der Anpfiff muss ja natürlich um 21 Uhr stattfinden, also zu einer Uhrzeit, zu der sonst nichts im deutschen Free-TV anfängt. Naja, fast nichts. Meine Fernsehzeitung wies mich vorab auf einige wenige Sendungen hin, die um 21 Uhr losgehen. Also – schalte ich lieber zu VIVA, um mir vom «SpongeBob Schwammkopf»-Titellied einen anstrengenden Ohrwurm verpassen zu lassen, oder zappe ich lieber zu Sport1, wo «Die PS-Profis» für mehr Power im Pott sorgen?

Tja, da ich den «SpongeBob Schwammkopf»-Ohrwurm fürchte, drücke ich die zweistellige Tastenkombination, die mich auf meiner Fernbedienung zu Sport1 führt und stelle ohne längere Wartezeit fest, dass Tuning so gar nicht meine Welt ist. Aber gut, schaue ich den Karrenschraubern dabei zu, wie sie erklären worum es heute so geht. Aha … Nunja … Zapp! Santiago Ziesmers Organ kräht mich an. Er (also SpongeBob) und Patrick schreien in dieser Folge nämlich Boote an. Dann wird Patrick auf einmal älter und will die Welt der Erwachsenen erklärt bekommen. Wirre Sache.

Was haben denn die dritten Programme so zu bieten? Der Hessische Rundfunk blickt auf den Sommer 2013 zurück und wiederholt ein Open-Air-Konzert von Helene Fischer. Gerade singt sie aber nicht ihren Guilty-Pleasure-Hit „Atemlos durch die Nacht“, den die deutsche Nationalelf ja angeblich auch immer in ihrer Kabine hört. Kein Wunder also, dass es dieses Jahr besser läuft als 2006, als eine nölig-langsame Xavier-Naidoo-Nummer der obligatorische Einstimmungssong geween sein soll. „Atemlos“ ist zwar glatt und kantenlos, aber immerhin peppig, von ansteckender Laune und eingängig. Wäre es englischsprachig, würde es als normaler Popsong durchgehen. Dass Frau Fischer da als Motivationsbringerin dienen kann, halte ich für ganz sinnig. Ändert nichts daran, dass gerade bei den Hessen ihre schlagerartigen Stücke zu hören sind. Und mein EPG behauptet, dass das sogar Volksmusik sei. Dem stimme ich nicht zu, meinen Geschmack treffen die gerade laufenden Lieder aber so oder so nicht, also beende ich meinen Gedankenmonolog und schalte zum …

… Südwestrundfunk. Dort feiert eine Doku das «Adelsleben», genauer gesagt 900 Jahre Haus Baden. Und alle Vorurteile über den aus der Zeit gefallenen, piefig-hochnäsigen Adel werden gerade bestätigt, während laute Verzweiflungsbrüller aus dem Nachbarhaus in meine vier Wände dringen. Tja, nur weil ich kein Fußballanhänger bin, heißt das nicht, dass ich bei diesem Experiment nicht ab und zu neugierig bin, was wohl gerades so spannend sein könnte. Also schalte ich um. Nicht zum Finale, ich nehme meinen TV-Versuch ja ernst. Aber ich darf ja wenigstens versuchen, ein Programm zu finden, das mich fesselt. Wenn die anderen gebannt sein dürfen, darf ich das auch!

Auf ProSieben Maxx zumindest werde ich aber nicht fündig. Dort läuft nämlich die 1987er Realverfilmung des «He-Man»-Franchises. Einen durchtrainierten Muskelmann, der mit Prinz-Eisenherz-Frisur und in quietschpinken Klamotten sein Schwert durch die Gegend schwingt und dabei durch Fantasywelten stapft? Nein, das gibt es hier nicht zu sehen. «Masters of the Universe» ist eine dieser idiotischen kontemporären Billigfantasyfilme der späten 80er, wo alle möglichen Studios auf den Fantasyboom aufspringen, aber Budget sparen wollten. Und so latscht unser Möchtegern-He-Man durch eine grelle Version der 80er-Jahre, wo die Frauen gigantische Frisuren durch die Gegend tragen, die Männer Nietenjacken tragen und dauernd Popkulturanspielungen gemacht werden. Vor allem: Obwohl der Film an normalen Schauplätzen spielt, sieht alles billig und künstlich aus.

Was haben denn die Kulturkanäle zu bieten? Rüber zu arte … Wo ich schon wieder eine Geo-Dokumentation vorgeführt bekomme. Neuerdings kann ich nicht zu arte zappen, ohne in eine dieser Landesreportagen zu geraten. Nachdem ich in den vergangenen Wochen unter anderem Frankreichs Küsten und eine südliche Region unserer blau-weiß-roten Nachbarn vorgestellt bekam, zeigt sich La grande Nation von ihrer raueren Seite. «Frankreich – Wild und schön» ist unter den arte-Sendungen im Rahmen meines „1 Stunde Wahnsinn“-Experiments zwar die mit den poetischsten Bildern, die aufdringlichen Off-Kommentare dürften meiner Meinung nach aber gerne fehlen. Eine Ziffer weiter auf der Fernbedienung wartet 3sat, dass ich einmal vorbei schalte. Ich tue dem Sender diesen Gefallen und bekomme den Schluss von «Balduin, der Schrecken von St. Tropez» zu sehen. Offenbar sind Frankreichstunden auf Deutschlands Kultursendern und ich lehne mich zurück. Bei einer Prise überdrehten Slapstick warte ich auf das Ende meiner Anti-WM-Fernsehstunde. Danach gibt es eine DVD zu sehen – und die Gewissheit, dass mich meine Nachbarn mit ihrem Jubel oder ihrem Geschimpfe darüber in Kenntnis setzen, ob ich danach bei Freunden zu einer „Wir kochen argentinisch, um unseren Sieg zu feiern!“-Party eingeladen bin oder zu einer „Wir kochen argentinisch, um dabei zu verarbeiten, dass die WM vorbei ist und unserem Lieblingsteam nur Platz zwei einbrachte“-Feier.

Epilog: Nach Mitternacht kommt der Jubelschrei der Nachbarn. Ein Tor macht die deutsche Elf zum Weltmeister – und verdammt so auch das Nachtprogramm zu miesen Quoten, denn nun dürfte die Nachberichterstattung klare Zugkraft haben. Das eher mäßige Wetter in Deutschland sorgt zwar dafür, dass in weiten Teilen des Landes die sprichwörtliche Feier auf den Straßen ausfällt, aber es gibt ja noch immer andere Ausdrucksformen großer Freude. Das Internet zum Beispiel, das von deutschem Siegestaumel überflutet wird. Da fällt es natürlich viel schwerer, wegzuschalten, als während eines schlichten WM-Spiels. Was an dieser Stelle aber keine Klage sein soll – die DFB-Elf hat sich ihre Verehrung verdient. Und dieses TV-Experiment hat es sich verdient, vorerst zur Ruhe gelegt zu werden. Na dann: Bis zum nächsten großen Turnier?

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