First Look

Lived Another Day

von

«24» hält Amerika seit jeher den Spiegel vor. Den Deutschen übrigens auch. Der Versuch einer bikulturellen Rezeption.

24's ideology—Jack Bauerism, if you will—is not so much in between left and right as it is outside them, impatient with both A.C.L.U. niceties and Bushian moral absolutes.
TIME Magazine
«24» ist dafür bekannt, schonungslos politisch heiße Eisen anzupacken.

In der zweiten Staffel, deren Premiere im Spätherbst 2002 bei FOX lief, ging es etwa um einen unmittelbar bevorstehenden nuklearen Anschlag auf Los Angeles. Ein unvorstellbares Ereignis, dessen Verankerung im zeitgenössischen Denken aber nicht von der Hand zu weisen ist: Ein Anschlag mit ABC-Waffen auf eine der zahlreichen Metropolen Amerikas war im Jahr nach dem Einsturz der Twin Towers ein gigantisches Albtraumszenario, das nach dem 11. September aber an Undenkbarkeit verloren hatte. Das Ausmaß der Wunden, die 9/11 der amerikanischen Seele zugefügt hat, wird in Deutschland noch heute massiv unterschätzt.

Im letzten Drittel der Season, nachdem der Anschlag von der CTU verhindert worden war, drehte sich der Plot dann um gefälschte Beweismittel, mit denen die USA in einen Krieg mit diversen Staaten im Nahen Osten gezogen werden sollten. Man musste nicht einmal besonders politisch gebildet sein, um entsprechende Assoziationen herstellen zu können: Diese „Cyprus Recording“, die dem Stab des (fiktiven) US-Präsidenten David Palmer Grund genug war, um in einen blutigen, aber als notwendig angesehenen Krieg gegen diverse arabische Staaten zu ziehen, entpuppte sich nur durch das Zutun von Jack Bauer als gefälscht; die Causa Belli war in der buchstäblich letzten Sekunde vom Tisch. Wer dachte da nicht an die Anthrax-Tütchen, die der (nicht fiktive) damalige US-Außenminister Colin Powell im UNO-Sicherheitsrat durch die Gegend schwenkte?

Andere Seasons, etwa die dritte über einen versuchten biologischen Anschlag auf die Vereinigten Staaten, waren nicht weniger politisch brisant. Der Reboot «24: Live Another Day» setzte diese Tradition nun konsequent fort:

Terroristen haben ein halbes Dutzend bewaffneter Drohnen unter ihre Kontrolle gebracht – just zu dem Zeitpunkt, als US-Präsident James Heller (der nicht nur optische Ähnlichkeiten mit dem amtierenden US-Verteidigungsminister Chuck Hagel aufweist) in London mit dem Premierminister und dem Parlament des Vereinigten Königreichs über die Verlängerung der Stationierung amerikanischer Drohnen im britischen Überseegebiet Diego Garcia verhandelt. Die Drahtzieherin Margot al-Harazi, eine muslimische Konvertitin, will – zusammen mit ihrer mehr oder weniger willigen Familie – London in Schutt und Asche legen, um Rache für ihren Mann zu nehmen, einen radikalen islamistischen Terroristen, der vor einigen Jahren Opfer eines amerikanischen Drohnenangriffs wurde.

Heller hat es nicht leicht: Nicht nur, dass seine geistigen Kräfte wegen seines Alzheimer-Leidens stetig nachlassen: Die britische Regierung steht unter Druck, wütende Demonstranten protestieren allerorten gegen den „Drohnenkrieg“. Und spätestens hier fängt der Spiegel an, den «24» dem amerikanischen wie dem deutschen Publikum vorhält.

Denn wo in US-Medien das Für und Wider bewaffneter Drohnen im Krieg gegen den Terror und auf diese Weise durchgeführte Liquidierungen von enemy combatants in der gesamten Bandbreite politischer Meinungen durchdiskutiert werden, stößt man in der hiesigen Presse lediglich auf verschiedene Abstufungen kollektiven Kopfschüttelns, gepaart mit einer selbstverliebten moralischen Entrüstung. Nein, „Obamas Drohnenkrieg“, das ist verwerflich, falsch, widerwärtig und schon aus Prinzip abzulehnen. Allein die Phrase „Krieg gegen den Terror“ führt bei deutschen Rezipienten schon zu Schweißausbrüchen. Wie kann man nur.

Wer «24: Live Another Day» gesehen hat, wird gezwungen sein, an einem differenzierteren Bild zu arbeiten. Zwar hat die Serie mit ihrer neuen Staffel schonungslos gezeigt, was passieren kann, wenn eine solche Technologie in die falschen Hände gerät und somit gleichsam all die fatalen Risiken offenbart. Gleichzeitig zeigte man aber auch, mit was für fanatischen Gestalten man es auf der anderen Seite zu tun hat, die alles daran setzen, so viele Zivilisten zu ermorden wie möglich. Das bringt die Selbstbesoffenheit der (vermeintlichen) moralischen Überlegenheit der Deutschen gegenüber den USA vielleicht wenigstens bei den intelligenteren Zuschauern ein wenig ins Wanken.

Ähnliches gilt für ein zweites Untersuchungsfeld, das die neue Staffel von «24» intellektuell ansprechend und differenziert abarbeitete. Mit Adrian Cross haben die Autoren eine Art Mischung aus Julian Assange und Edward Snowden erschaffen: Cross ist ein gefürchteter Hacker und der Gründer von „Open Cell“, einer internationalen Organisation, die streng geheime Dokumente via Internet für alle öffentlich zugänglich machen will. Das klingt großartig, wenn dadurch Skandale und Fehlverhalten ranghoher Regierungsmitarbeiter publik werden, kann aber zu einer großen Gefahr werden, wenn Staatsgeheimnisse an die Öffentlichkeit kommen, die die nationale Sicherheit gefährden könnten.

«24: Live Another Day» geht noch einen Schritt weiter als die hier beschriebene Allegorisierung von Assange und Snowden und stellt mit Adrian Cross in den letzten Folgen die konsequente Cui-Bono-Frage, mit der man sich in der konkreten Ausführung freilich von den (mutmaßlichen) Vorbildern der Figur entfernt. Trotzdem entspann sich ein stark diversifizierter und intelligenter Diskurs um das Für und Wider von Wiki- und Snowden-Leaks, der – im Hinblick auf die hiesige publizistische Begleitung der realen zeitgenössischen Beispiele – seinesgleichen sucht. Snowden und Assange: In Deutschland sind sie Helden, für die in Leitartikeln (oder den sich darunter befindenden Kommentaren) manchmal gar ihre Aufnahme in der Bundesrepublik als Asylanten gefordert wird. Im angloamerikanischen Raum sind sie dagegen kontroverse Figuren, die groteske Missstände offenlegten, während ihre Motive und die Auswirkungen ihrer Arbeit aber (zurecht) differenzierter bewertet werden.

In den USA werden (partei-)politische und ideologische Untertöne von «24» derweil seit jeher kontrovers diskutiert. Co-Creator Joel Surnow unterstützt seit vielen Jahren die republikanische Partei und beschreibt sich selbst als Isolationist. Vor allem Mitglieder konservativer Strömungen haben sich entweder als Fans geoutet oder öffentlich wohlwollend mit der Serie auseinandergesetzt, von Antonin Scalia (Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten) über den ehemaligen Heimatschutzminister Michael Chertoff bis hin zum radikal konservativen Radiomoderator Rush Limbaugh. Das beweist jedoch weniger eine bestimmte politische Tendenz von «24» als vielmehr eine Affinität des rechten Spektrums zu vereinzelten Untertönen, die in der Serie als Elemente eines übergeordneten Diskurses vorkommen. Um es mit dem „Time Magazine“ zu sagen: „Die Ideologie von «24» – Jack Bauerism, sozusagen – bewegt sich nicht so sehr zwischen Links und Rechts als vielmehr außerhalb einer solchen Klassifizierung und zeigt sich sowohl mit den Verbohrtheiten der ACLU als auch mit Bush’schen moralischen Absolutheiten ungeduldig.“ Daran hat sich mit „Live Another Day“ wenig geändert: Eine Kategorisierung in Links und Rechts wird abgelehnt, vielmehr werden die Tücken des aktuellen Ist-Zustandes offenbart – mit Argumenten von beiden Seiten.

Die neue Staffel von «24» hat sich – jenseits einer erneut gelungenen, spannenden Dramaturgie und einer ausgereiften, klugen Figurenführung – durch ihre allegorische Verdeutlichung bewegender geopolitischer Themen wieder als wertvoller Kanal im politischen Diskurs erwiesen. Man hofft, dass dieser Tag von Jack Bauer nicht sein letzter war.

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