Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir den wahrscheinlich teuersten sechs Fragen der deutschen Fernsehgeschichte.
"Das Lewinsky-Interview" wurde am 04. März 1999 bei RTL ausgestrahlt und entstand zu einer Zeit, als die Aufdeckung des ihm zugrunde liegenden Eklats bereits über ein Jahr zurücklag. Im Januar 1998 kamen nämlich erstmals Gerüchte über eine Affäre zwischen Bill Clinton, dem amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, und Monica Lewinsky, einer Praktikantin des Weißen Hauses, auf. Daraufhin versicherte Clinton in einer im Fernsehen übertragenen Aussage, dass er keine sexuelle Beziehung zu Miss Lewinsky gehabt habe. Wörtlich sagte er damals: "I did not have sexual relations with that woman, Miss Lewinsky". Ein Satz, der um die Welt gehen sollte und in den nachfolgenden Monaten von unzähligen Journalisten mithilfe von Körpersprache-Experten analysiert und besprochen wurde. Immerhin lag es im Bereich des Möglichen, dass der (vermeintlich) mächtigste Mann der Welt öffentlich gelogen hatte.
Weil also an der Aussage des Präsidenten erhebliche Zweifel bestanden, leiteten die zuständigen Behörden ein Untersuchungsverfahren unter der Führung von Kenneth Starr ein. Er sollte prüfen, ob der Präsident einen Meineid abgegeben und sich dadurch strafbar gemacht hatte. Die Ermittlungen offenbarten allerhand brisante Details - wie etwa den Einsatz einer Zigarre für sexuelle Handlungen. Zudem wurde ein blaues Kleid von Monica Lewinsky beschlagnahmt, auf denen sich die Sperma-Spuren des Präsidenten befunden haben sollen. Aufgrund der dadurch nachgewiesenen DNA-Spuren sowie der Aussagen von Lewinsky stellte sich letztlich heraus, dass die beiden tatsächlich intime Kontakte gepflegt hatten. Trotzdem bestand Clinton darauf, nicht gelogen zu haben, denn öffentlich verteidigte er seine frühere Aussage damit, dass für ihn Oral-Verkehr keinen Sex darstellen würde.
Das Interesse war während der Ermittlungen außerordentlich groß, war doch nie zuvor ein amtierender Präsident in einen Sex-Skandal verwickelt. Politisch sollte der Vorfall aber kaum Konsequenzen für Clinton haben, denn er konnte seine zweite und ohnehin letzte Amtszeit ordnungsgemäß beenden. Die damals 24jährige Monica Lewinsky beförderten die Ereignisse hingegen schlagartig ins globale Rampenlicht, vor dem sie sich monatelang zu verstecken versuchte. Dies änderte sich, als sie im März 1999 zwei ausführlichen Interviews zustimmte, in denen sie ihre Sicht auf die Ereignisse beschreiben und mit allen Gerüchten aufräumen wollte. Als Begründung für ihre Zusage gab sie später zudem an, dass sie aufgrund der hohen Anwaltskosten dringend Geld gebraucht hätte.
Das weltweit erste Gespräch führte die bekannte Journalistin Barbara Walters des US-Senders ABC, die Lewinsky im Rahmen einer Sonderausgabe von «20/20» traf. Darin beschrieb Lewinsky, die mittlerweile von Beratern für ihren Auftritt geschult wurde, Clinton als einen "sinnlichen Mann" und "guten Küsser", bei dem sie sich auf sexueller Ebene als "verwandte Seelen" gefühlt hätte. Neben solchen pikanten Details, auf welche die Öffentlichkeit gewartet hatte, lieferte sie aber auch persönliche Einblicke als sie vor laufenden Kameras in Tränen ausbrach.
Nach ABC-Angaben entwickelte sich das zweistündige Special am Abend des 03. März 1999 zum meistgesehenen News-Interview, denn im Schnitt hätten 74 Millionen Menschen die Sendung wenigstens teilweise verfolgt. Damit konnte Walters zugleich das ebenfalls vielbeachtete Gespräch von Oprah Winfrey mit Michael Jackson aus dem Jahr 1993 überbieten. Allein die erzielten Werbeeinnahmen während der Laufzeit wurden auf 35 Millionen US-Dollar geschätzt. Dazu kamen noch die Erlöse aus den Zweitauswertungen sowie aus den internationalen Verkäufen der Bilder.
Lewinsky selbst soll indessen für ihre Teilnahme am ABC-Special keine konkrete Prämie gezahlt bekommen haben. Anders verhielt es sich hingegen mit der zweiten großen Unterredung, die sie mit dem Britischen Channel 4 vereinbart und dafür ein Honorar von 400.000 Pfund (ca. 650.000 Dollar; heute ca. 600.000 Euro) ausgehandelt hatte. Dies stellte eine enorme Summe da, die das Unternehmen kaum aus eigener Kraft erwirtschaften konnte, weswegen es die Aufnahmen an weitere TV-Anbieter aus 30 Ländern verkaufte (u.a. an den ORF in Österreich). Im Zuge dieser Verhandlungen schlossen die Verantwortlichen von Channel 4 den wirtschaftlich wichtigsten Deal mit dem deutschen Sender RTL ab, denn mit diesem vereinbarte man eine Art Partnerschaft. Abseits der einfachen Ausstrahlungslizenz erlaubte sie es RTL, eine eigene Person mit eigenen Fragen zur Aufzeichnung nach New York zu schicken. Dadurch erhoffte man sich eine besondere Exklusivität und einen noch größeren Zuspruch des deutschen Publikums.
Die bisher kaum journalistisch aufgefallene TV-Ansagerin Birgit Schrowange, die für das Haus seit 1994 durch «Extra - Das RTL-Magazin» führte, wurde für diese wichtige Aufgabe von der Leitung auserkoren. Sie flog nach Amerika und kündigte vorher an, Lewinsky "nicht nur als Journalistin, sondern auch als Frau" befragen zu wollen. Derweil kündigte der Kanal großspurig an, dass die Moderatorin "als bisher einzige Deutsche" jene Monica Lewinsky treffen durfte und versuchte absichtlich das Bild zu vermitteln, dass ein exklusives Einzel-Interview zu erwarten sei.
Tatsächlich stellte sich der große Coup als ein erbärmliches Geschäft heraus, denn Schrowange durfte lediglich (je nach Zählweise) sechs bis acht kurze Fragen stellen sowie in der deutschen Version die Werbeunterbrechungen ankündigen. Den wesentlich umfangreicheren und relevanteren Anteil der zweistündigen Unterhaltung führte stattdessen der britische Journalist Jon Snow von Channel 4. Abgesehen davon, dass Schrowange in den Segmenten mit Jon Snow nicht einmal mehr im Bild zu sehen war wodurch ihr Anteil damit geradezu winzig ausfiel, geriet er erschreckend harmlos und glich eher einem Smalltalk als einem investigativen Verhör. Man erfuhr, dass Lewinsky den Hosenanzug ihres Gegenübers mochte und das deutsche Wort "Sauerkraut" beherrschte. Schließlich näherte sich Schrowange doch noch einigen pikanten Details und stellte der ehemaligen White-House-Mitarbeiterin eine Frage zum blauen Kleid. Außerdem versuchte sie in Erfahrung zu bringen, ob sie bei Clinton in sexueller Hinsicht auf ihre Kosten gekommen sei. Neue Erkenntnisse kamen dabei nicht zu Tage.
Entsprechend hämisch fielen die Reaktionen der deutschen Presse am Tag danach aus, in denen vor allem die banalen Fragen von Schrowange bemängelt wurden. So bezeichnete der Tagesspiegel die Sendung gar als "Mogelpackung", während die Berliner Zeitung als Grund für die Wahl von Schrowange vermutete, dass sie schlicht "den hausinternen Lewinsky-Lookalike-Wettbewerb in Köln-Hürth gewonnen" hätte. Sogar Stefan Raab kommentierte das Ergebnis in «TV Total» am Folgetag: "Ich finde es klasse, wenn sich zwei Frauen unter vier Augen erzählen, wie sie sich hochgepimpert haben.“ Einige Jahre später äußerte sich Schrowange im Berliner Kurier selbst zu ihrer Leistung und gab an, durch Lewinskys Anwälte „nur begrenzte Zeit" gehabt zu haben. "Aber sie hat mir imponiert und auch ein wenig Leid getan."
All der angeblichen Exklusivität der Inhalte und des heiklen Themas zum Trotz löste das Resultat kein großes Interesse beim deutschen Fernsehpublikum aus, denn die entsprechende Sonderausgabe von «Extra - Das RTL-Magazin» erreichte am Donnerstagabend mit 3,25 Millionen Menschen allenfalls einen durchschnittlichen Wert, den der Sender ohne Probleme auch mit seinem eigentlichen Programm erzielte. Neben der peinlichen Umsetzung mag der geringe Zuspruch auch darin begründet gewesen sein, dass die Ausstrahlung der Deutsch/Britischen-Variante am 04. März genau einen Tag nach der viel emotionaleren US-Version erfolgte und die Eindrücke aus Übersee bereits durch deutsche Medien kursierten. Der erneute Auftritt von Lewinsky konnte damit weder inhaltlich noch emotional neue Akzente setzen.
Insgesamt hat sich RTL die Teilnahme am Interview und den anschließenden Spott einen Betrag von 300.000 DM kosten lassen - oder 50.000 DM pro Frage. Ein Geschäft, dass sich trotz der verhaltenen Sehbeteiligung und negativen Schlagzeilen dennoch gelohnt haben dürfte, denn in den Werbeunterbrechungen sollen Einnahmen in Höhe von 1,5 Millionen DM zusammen gekommen sein. Wie der SPIEGEL berichtete, befand sich darunter auch der Spot eines Keksherstellers, in dem ein Schokoriegel in einer zweideutig phallischen Darstellung in einen Mund eingeführt wurde. Wie passend.
Damit schien RTL zunächst als ein Gewinner aus dem Lewinsky-Skandal hervorgegangen zu sein. Doch bereits drei Wochen nach dem teuren Gespräch veröffentlichte Lewinsky das Buch "Monica Lewinsky - ihre wahre Geschichte" und ging damit auf weltweite Promotion-Tour, die sie auch für fünf Tage nach Deutschland führte. Auf dieser sprach sie dann mit zahllosen Medienvertretern (u.a. mit dem «Sat.1 Frühstücksfernsehen» oder «Boulevard Bio») und zwar völlig kostenlos. Oder wie es Susanne Gaschke nicht ohne Schadenfreude in der ZEIT formulierte: "Monica-Interviews sind letzthin im Kurs ein wenig gefallen: Während RTL noch mit 300.000 Mark für sechs Fragen bluten mußte [...], bekommt man heutzutage 25 Minuten höchstpersönlichen Zweiergruppen-Gesprächs vom Verlag geradezu nachgeworfen."
"Das Lewinsky-Interview" hinterließ mit Monica Lewinsky die bekannteste Praktikantin der Welt, die sich später als Handtaschen-Designerin versuchte. Im Jahr 2004 veröffentlichte sie mit "Monica's Story" ein weiteres Buch und soll für eine Befragung mit der Zeitung Shanghai Morning sogar die Summe von einer Million Dollar angeboten bekommen haben. Für das US-Network FOX führte sie im Jahr 2003 als Moderatorin von «Mr. Personality» ausgerechnet durch eine Dating-Show. Darin mussten die Kandidatinnen ihre Traummänner auswählen, obwohl deren Gesichter bis zuletzt verhüllt blieben - weil eben nur die Persönlichkeit entscheiden sollte. Wie passend.
Die nächste Ausgabe des Skandalfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann der Frau, die Stefan Raab an die Leine legte.