Nach diversen Formaten für die kleinen, von der breiten Masse kaum wahrgenommenen Digitalsender der öffentlich-rechtlichen Anstalten stellt sich die Frage, ob Jan Böhmermanns spezieller Humor auch bei größeren Sendern funktinieren kann. Bevor der Moderator seinen ersten großen Einsatz bei RTL bekommt, durfte er sich am Sonntagabend im Westdeutschen Rundfunk beweisen. Und ob massentauglich oder nicht: Die Pilotfolge von «Die unwahrscheinlichen Ereignisse im Leben von...» war mutig, herrlich ungewöhnlich und extrem abwechslungsreich - und erfüllte deshalb den öffentlich-rechtlichen Unterhaltungsauftrag so sehr wie kaum ein anderes Format der vergangenen Jahre.
Star der 45-minütigen Sendung ist jedoch nicht etwa Böhmermann selbst, der kein einziges Mal zu sehen ist und lediglich als Executive Producer neben Sebastian Colley («Circus HalliGalli») fungiert, sondern die lebende Fernsehlegende Frank Elstner sowie ein neunköpfiges Ensemble, das aus über 100 interessierten Schauspielern gecastet wurde. Dazu gesellen sich weitere bekannte TV-Gesichter in kurzen Cameo-Auftritten, unter anderem WDR-Intendant Tom Buhrow oder der bei «Wetten, dass..?» verunglückte Samuel Koch. Letzterer ist nicht einmal zehn Sekunden lang zu sehen, hat allerdings eine der denkwürdigsten Szenen der ganzen Sendung bekommen, indem er sich mit beeindruckendem Gespür für Selbstironie und tiefschwarzem Humor als Sicherheitsexperten ausgibt, der mit seinem Namen für die Sicherheit eines Showacts garantiert.
Konzeptionell prägen vor allem perfekt durchchoreografierte Bühnensketche sowie voraufgezeichnete Einspieler das Format, wobei die Übergänge häufig fließend sind und der Zuschauer vor dem Fernseher oftmals gar nicht mit Sicherheit sagen kann, ob das Geschehen nun im Studio vonstatten geht oder "nur" in einem Einspieler. Hier muss einmal mehr die großartige Arbeit der bildundtonfabrik hervorgehoben werden, die einen unverkennbaren, einzigartigen Look kreiert, der hoch professionell wirkt, ohne an Charme einzubüßen. Die Übergänge zwischen den Szenen sind dermaßen fließend, dass dem Zuschauer kaum auffällt, dass es sich lediglich um eine Aufzeichnung handelt - was in Anbetracht der hohen Anzahl an Clips gewiss keine einfache Aufgabe für die Produzenten gewesen sein dürfte.
Als kleinen Running-Gag hat man den häufigen Hinweis darauf integriert, dass Frank Elstner den Show-Dino «Wetten, dass..?» erfunden hat. Während dieser Umstand beinahe schon Allgemeinwissen darstellt und den meisten Zuschauern bewusst sein dürfte, gibt es Böhmermann-typisch diverse weitere Anspielungen auf das Fernsehen, die zu einem Großteil wohl nur von wirklichen Fernsehfreaks verstanden werden. Obwohl Böhmermann selbst nicht auftritt, ist seine Handschrift derart markant und auffällig, dass man permanent das Gefühl hat, er selbst stecke hinter den ausgesprochenen Gags. Dieses Phänomen zeigt sich sowohl beim hingebungsvoll und erfrischend bissig spielenden Elstner, als auch bei der neunköpfigen Crew, die ausnahmslos einen hervorragenden Job macht - allerdings verständlicherweise nicht über ausreichendes Profil verfügt, als dass man ihnen die vorwiegend von Böhmermann geschriebenen Texte als Eigenkreationen abkaufen könnte.
Da sehr viel Inhalt in die Pilotfolge gepackt wurde, ist es ganz selbstverständlich, dass nicht jeder Sketch und jeder Gag gleichermaßen zündet. So ist beispielsweise der Einspieler zu der Funktionsweise von Shazam und Google prinzipiell amüsant, allerdings auch etwas zu lang geraten und repetitiv, sodass die Interpretensuche beim Song "Mambo No. 5" im zweiten Anlauf bei Google einfach nicht mehr zu zünden weiß. Angesichts der hohen Gagdichte, der zahlreichen skurrilen Einfälle sowie der abwechslungsreichen humoresken Ausrichtung zwischen Albernheit und Satire vergehen die 45 Minuten Sendezeit allerdings trotzdem wie im Fluge.
Insgesamt ist «Die unwahrscheinlichen Ereignisse im Leben von...» ein mutiges und äußerst lobenswertes Projekt, in dem das Team um Jan Böhmermann einmal mehr aufzeigt, wie wunderbar Fernsehen auch im Jahr 2014 noch sein kann, wenn man mit Herzblut, Liebe zum Detail und fernab kalter Erfolgskalkulationen ans Werk geht. Die Sendung ist nicht massenkonform, wird viele Zuschauer abschrecken, verstören oder schlichtweg nicht erreichen, was allerdings auch so beabsichtigt sein dürfte. In Anbetracht der zahlreichen Dialoge, Einspieler und Sketche fällt es schwer, daran zu glauben, dass die Sendung ohne Qualitätsverlust regelmäßig ausgestrahlt werden kann.
Entgegen anfänglicher Aussagen, man wolle erst einmal die Resonanz auf den Piloten abwarten, bevor man weitere Folgen produziert, sollen für den September und Oktober dieses Jahres übrigens bereits fünf weitere Ausgaben in Auftrag gegeben worden sein. Ob diese ähnlich abwechslungsreich und unverbraucht daherkommen wie die am Sonntagabend gezeigte Erstausstrahlung, wird abzuwarten sein. In jedem Fall braucht es weitere prominente TV-Gesichter, die eine ähnliche Bereitschaft zu Anarcho-TV und Selbstironie haben wie der herrliche Frank Elstner. Unabhängig von den Einschaltquoten hat der WDR mit der Bereitschaft, sich auf das besondere Projekt einzulassen, schon einmal einen Erfolg zu verbuchen: Am späten Sonntagabend stand der Hashtag "#DUEILV" auf Platz zwei der Deutschland-Trends - geschlagen nur von den Königen der Mixtur aus Satire und Albernheit, Monty Phyton.
Welche Form des Humors bei den Intendanten der öffentlich-rechtlichen Anstalten im Normalfall präferiert wird, konnte der geneigte Zuschauer übrigens unmittelbar im Anschluss um 23:00 Uhr sehen: «So lacht NRW» war genau die unbekömmliche Mischung aus platten und subtanzlosen Kalauern, die man zuhauf auf den Dritten sieht. Im Zuge dieses humoristischen Gruselkabinetts wirkt Elstners Schluss-Satz "Deutsches Fernsehen ist besser als sein Ruf" beinahe schon wieder wie beißender Sarkasmus.