Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir einer jungen Frau, die den großen Stefan Raab an die Leine legte.
"Der Fall Lisa Loch" nahm am 10. Dezember 2001 in der Sendung «Explosiv - Das Magazin» bei RTL seinen Lauf, als darin über den am Vortag durchgeführten Schönheitswettbewerb "Miss Allemagne" berichtet wurde. Unter den Teilnehmerinnen befand sich auch eine 16jährige Schülerin, die zuvor zur "Miss Rhein-Ruhr" gewählt wurde. In jenem Beitrag war sie zu sehen, wie sie sich selbst mit den Worten: "Mein Name ist Lisa Loch und ich bin sechzehn Jahre alt" vorstellte. Diese Szene entdeckte dann die Redaktion der ProSieben-Show «TV Total» und wiederholte sie dort am nachfolgenden Tag. Dabei kommentierte sie Moderator Stefan Raab vor der Kamera folgendermaßen: "Man muss doch heute nicht Lisa Loch heißen. So was kann man doch notariell ändern lassen, z.B. Lotti Loch oder vielleicht war Lisa Loch doch ihr Künstlername und die heißt wirklich Petra Pussy. Toller Name, auch wenn man ins Pornogeschäft einsteigen will." Der Ausschnitt lief dann einen Tag später erneut und am 13. Dezember schließlich als einer der "Hammerausschnitte der Woche" ein weiteres Mal - diesmal unkommentiert.
Danach wurde es zunächst ruhig um den Sachverhalt, der bis zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei juristischen Konsequenzen nach sich zog. Dies änderte sich, als die Partei Die Grünen im Mai 2002 ankündigte, das Wahlrecht auf 16 Jahre herabsetzen zu wollen und diese politische Entwicklung in der «TV Total»-Ausgabe vom 08. Mai 2002 derart aufgegriffen wurde, dass ein weiteres Mal die besagte Szene zu sehen war. Zudem enthüllte man ein fiktives Wahlplakat, das für die "Lisa-Loch-Partei" werben sollte, auf dem ein kopulierendes Paar abgebildet war und die Frau einige optische Ähnlichkeiten mit der Schönheitskönigin aufwies. Auf dem Plakat prangte darüber hinaus der Slogan „Loch für alle“.
An diesem Punkt beschloss die Schülerin dann juristisch gegen ihre Verunglimpfung vorzugehen und beantragte eine Unterlassungsverfügung, aus der sich ein langjähriger Gerichtsprozess über mehrere Instanzen entwickelte. Im Laufe des Verfahrens berichtete Lisa Loch davon, dass sie nach den jeweiligen Ausstrahlungen anzügliche Bemerkungen, perverse Anrufe sowie Beleidigungen auf offener Straße ertragen musste. Dadurch wäre sie so verunsichert gewesen, dass sie sich kaum noch aus dem Haus getraut und ihr erst eine Psychotherapie das nötige Selbstvertrauen zurück gebracht hätte. Noch deutlichere Worte fand ihr damaliger Anwalt Frank Roeser, der vom Handelsblatt zitiert wurde: „Raab hat massiv auf eine wehrlose Minderjährige eingeschlagen und dem Mädchen bleibenden Schaden zugefügt.“ In der von ihm verfassten gerichtlichen Antragsschrift hieß es daher: "Der vorliegende Fall belegt besonders exemplarisch, dass das Fernsehen und auch das Internet zum Gewaltinstrument umfunktioniert und missbraucht werden können." Die Persönlichkeitsrechte seien im Zuge dessen - so wirft es ein weiteres Schreiben vor – „vorsätzlich und [...] zum Zweck der Gewinnerzielung verletzt worden“. Loch forderte daher von den zuständigen Produktionsfirmen einen gewagten Schadensersatz in Höhe von 300.000 DM.
Erwartungsgemäß stritten die Verantwortlichen von «TV Total» die Vorwürfe ab und unterstellten Lisa Loch stattdessen, sie wolle mit dem Prozess lediglich Geld erpressen. Schließlich hätte die Höhe der geforderten Summe jeglicher rechtlichen Grundlage entbehrt. Des Weiteren verwies man auf die Kunstfreiheit, durch welche die Verwendung von Ausschnitten für satirische Zwecke zulässig ist. Zudem führte man an – und hier wird es kurios – dass sich Lisa Loch im Januar 2002, also kurz nach der ersten Verwendung ihres Auftritts, nachweislich in der Redaktion von «TV Total» um ein Schülerpraktikum beworben und in dem entsprechenden Schreiben sogar stolz darauf hingewiesen hatte, dass sie bereits Gegenstand der Show war. Die Anwälte von «TV Total» leiteten aus dem Wunsch, an der Produktion mitwirken zu wollen, eine allgemeine Einwilligung zum Inhalt und zur Arbeitsweise des Formats ab. Diese Argumentation konnte das Landgericht Essen offenbar nicht überzeugen, denn es verfügte am Ende des Jahres 2002 nicht nur ein Verbot, die junge Frau weiter zum Gegenstand der Sendung zu machen, sondern sprach ihr zusätzlich ein Schmerzensgeld von insgesamt 22.000 Euro zu.
Gegen das Urteil legten beide Parteien jedoch Berufung ein, wodurch das Oberlandgericht Hamm den Fall noch einmal neu bewertete und die Summe des zu zahlenden Schmerzensgeldes auf nun 70.000 Euro erhöhte. In der Begründung hieß es dazu, dass TV-Sendungen im Rahmen der Satire- und Kunstfreiheit große Freiräume beanspruchen könnten, solange deswegen Personen im Kernbereich nicht verletzt würden. Durch die öffentliche Demütigung wäre dies aber bezüglich des Persönlichkeitsrechts der Klägerin erfolgt. Dabei wäre es zudem wichtig gewesen, dass sie bei der Ausstrahlung noch minderjährig und damit besonders schutzbedürftig war. Zur Erhöhung der Summe hieß es ferner, dass der Richterspruch generell abschreckend wirken sollte. Dieses Urteil versuchten die Macher von «TV Total» ebenso anzufechten und riefen den Bundesgerichtshof in Karlsruhe an. Dieser wies den Fall allerdings wegen mangelnder Bedeutung zurück, sodass letztlich das Urteil des Gerichts in Hamm gültig blieb.
Der gesamte Vorfall sollte aus mehreren Gründen wegweisend für das deutsche Fernsehen werden: Zunächst verdeutlichte er, wie niedrig die moralischen Hemmschwellen von Comedy-Redakteuren bei der Instrumentalisierung selbst von nicht-prominenten Menschen liegen können, denn der Anlass für die Verspottung der Schülerin ist weder ein eigenes Fehlverhalten noch ein Missgeschick gewesen, als vielmehr nur ihr Name. Eine Eigenschaft, auf die sie aber gar keinen Einfluss hatte. Auf der anderen Seite bildete der Sachverhalt einen Präzedenzfall für die Branche und ein richtungsweisendes Urteil, denn erstmals wurde einer unbekannten Person eine derart hohe Summe für eine öffentliche Persönlichkeitsverletzung zugestanden. Daneben führten die entsprechenden Medien-Berichte dazu, dass sich weitere Betroffene gerichtlich gegen ihren Umgang in «TV Total» wehrten und zum Teil ebenfalls Recht bekamen. Unter anderem erstritt ein Mann ein Schmerzensgeld von 5.000 Euro, dessen Vorstellung beim «Familienduell» von den «TV Total»-Machern mit Ausschnitten kombiniert wurden, in denen Prominente die Worte „schwul“ und „schwule Sau“ benutzten. Durch eine Vielzahl ähnlicher Rechtsstreite sah sich «TV Total» gezwungen, seinen Umgang mit Ausschnitten zu hinterfragen, was bis heute sichtbar ist.
Lisa Loch kann damit als eine Schlüsselfigur im Kampf von Medienopfern gegen TV-Anbieter angesehen werden. Dies ist zugleich der Grund, wieso sie mehrfach öffentliche Vorträge und Interviews zu ihren Erlebnissen sowie zum Thema Mobbing gegeben hat. Im Oktober 2011 sogar im Rahmen der Talkshow «Anne Will». Wie sie selbst sagt, ging es ihr dabei stets darum, Mobbingopfer zu ermutigen, sich gegen ihre Peiniger zu wehren. Auch deswegen habe sie versucht, im August 2011 ihre Geschichte als Buch zu veröffentlichen.
Trotz des zweifelsfrei empörenden Umgangs mit ihr bleibt dennoch ein fader Beigeschmack zurück, der erstmals bei der ominösen Bewerbung für das Praktikum bei «TV Total» aufkam und sich später dadurch fortsetzte, dass sie trotz ihrer öffentlichen Blamage den gezielten Weg ins Rampenlicht suchte. Immerhin übernahm das heutige Model einige kleinere Rollen im Kinofilm «What A Man» sowie im «Tatort» und bei «Alarm für Cobra 11 – Die Autobahnpolizei». Sie trat außerdem bereits als Kandidatin bei «Wer wird Millionär?» auf und nahm im Dezember 2012 allen Ernstes am «Perfekten Promi Dinner» teil - ausgerechnet an der Seite der späteren Dschungelprinzessin Larissa Marolt. Stefan Raab habe sich (nach ihren Angaben) derweil nie bei ihr entschuldigt.
Möge man von diesem Vorfall halten, was man will.
Die nächste Ausgabe des Skandalfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann dem größten Show-Betrug der amerikanischen Fernsehgeschichte.