Seit Sonntag zeigt RTL wieder «Schwiegertochter gesucht», das Format, in dem bei ihren Müttern lebende Männer potenzielle Partnerinnen finden können. Vera Int-Veen moderiert die Sendung und steht ihren Teilnehmern in allen Lebensbereichen hilfreich zur Seite. Die am Sonntag gezeigte Dokusoap erreichte mit ihrer letzten Folge «Schwiegertochter gesucht – Vera und die Neuen» im März insgesamt 3,78 Millionen Zuschauer und 1,60 Millionen in der Zielgruppe. Die 12,4 Prozent bei den Zuschauern ab drei Jahren, wie auch die 14,5 Prozent bei den Werbeumworbenen, liegen damit deutlich über dem Senderschnitt und beweisen, dass das Format ein breites Publikum anzieht. Diese und ähnliche Produktionen aus dem Hause RTL bestreiten mit guten Quoten ihre Daseinsexistenz und werden deswegen auch weiter hergestellt. Dass sie oft abschätzig als „Freakshows“ betitelt werden, kommt da nicht von ungefähr.
Zum Ende des 19. Jahrhunderts erlebten die sogenannten Freak Shows eine Blütezeit in ganz Europa. Der Film befand sich zu der Zeit noch in Anfangsphase und war einem breiten Publikum nur selten zugänglich, deswegen waren andere Attraktionen vorherrschend. Freak Shows gab es in unterschiedlicher Ausführung, mal waren diese gestaltet wie ein Zoo, in dem man sich exotisch anmutende Menschen hinter Gittern anschauen konnte, mal waren es umherziehende Wissenschaftler, die den Großstädtern Kleinwüchsige, Frauen mit Bärten oder Menschen vom afrikanischen Kontinent präsentierten. Die Wissensvermittlung stand dabei nicht im Vordergrund, sondern lediglich der Profit. Fremdes und Obskures kam bei den Menschen gut an und die Neugier siegte damals über moralische Bedenken.
Dieses Konzept greifen Formate wie «Schwiegertochter gesucht» auf und inszenieren ihre Teilnehmer als „andere“, fremdartige Wesen, mit denen man sich selbst nicht identifizieren kann oder auch soll. Es sind die Leute, die man in der U-Bahn aus dem Augenwinkel beobachtet, weil sie sich nicht „regelkonform“ verhalten oder weil sie die deutsche Sprache nicht beherrschen zu scheinen. Genau das wird bei RTL gezeigt und der Voyeurismus siegt. Ist es dabei moralisch verwerflich sich über die dargestellten Personen lustig zu machen?
RTL ruft regelmäßig dazu auf sich für eine Rolle zu bewerben und so kann man auch argumentieren: Die Personen, die bei «Schwiegertochter gesucht» teilnehmen, sind freiwillig dabei. Jedoch muss man dabei bedenken, dass die Kandidaten sich vielleicht nicht ganz bewusst sind, dass sie dadurch lächerlich wirken. Es sind eventuell gerade die Naiven und weniger medienreflektierenden Menschen, die auf die Masche hereinfallen. Wenn man sich «Game of Thrones» ansieht und danach entscheidet die Lannisters für ihre Taten zu hassen, dann geschieht dies in Hinblick auf die Figuren, die von professionellen Schauspielern gespielt werden. Die Sache ist nämlich die, gute Schauspieler verkörpern überzeugende Figuren, die man als Rezipient hassen, lieben, lustig finden darf, ohne dabei den Darsteller zu bewerten. Bei «Schwiegertochter gesucht» sind es jedoch Laiendarsteller, die vom Handwerk wenig bis keine Ahnung haben. In ihrer Rolle scheint ihre eigene Persönlichkeit womöglich mehr durch, als es ihnen bewusst ist. Ob das dann moralisch noch vertretbar ist, ist fraglich.
RTL verteidigt in der Hinsicht sein Format: „Ob die Zuschauer […] über die Suchenden lachen – oder mit Ihnen – bleibt jedem selbst überlassen. Erfolgreiche Reality-Sendungen – das gilt längst nicht nur für «Schwiegertochter gesucht» - bieten immer Fläche zum Vergleichen: Was hätte ich in der gezeigten Situation gemacht, wie hätte ich mich angestellt oder reagiert. Ob das nun moralisch verwerflich ist - oder einfach nur menschlich - mag jeder für sich entscheiden.“ Mit dieser Aussage geht RTL davon aus, dass sich die Zuschauer mit den Teilnehmern identifizieren. Wie bei der ursprünglichen Freak-Show findet eine Identifikation nicht immer statt, ein Vergleich jedoch schon. Ob dieser mit Empathie geschieht oder mit Distanz, entscheidet letztendlich die Moral und ist damit Dreh- und Angelpunkt der Sache. Unsere Leser nahmen ebenfalls Stellung und Sabine H. schreibt: „[…] Wie man teilweise wirklich grenzdebile Menschen zur Schau stellt? Natürlich lässt sich ein gewisser Unterhaltungswert nicht bestreiten. 40-jährige Sammler von Glitzerbildchen, Kratzbildherstellerinnen etc. Das bringt doch eine wunderbare Botschaft rüber: Es gibt eben immer noch den einen oder anderen, der noch blöder ist als man selbst.“
Auch Fabi An sieht es ähnlich und kommentierte: […]Natürlich ist es moralisch verwerflich Menschen so vorzuführen. Ich finde es erstaunlich, dass sich immer noch Menschen für solche Formate "prosituieren". Das sollte man immer im Hinterkopf haben. Die Sendung gibt es ja nicht erst seit gestern, sprich wer da als Kandidat mitmacht weiß genau worauf er sich einlässt. Unterhaltungswert hat es in jedem Fall“. Mit den Worten „Kenn ich nicht, will ich nicht“. lehnt Jens R. das Format komplett ab.