Die Kritiker

Von Banken- und Beziehungskrisen

von

Der jüngste «Tatort» aus der Schweiz präsentiert sich als gut inszeniertes Drama, das durch Temporeichtum und Vielschichtigkeit hervorsticht.

Cast & Crew

Vor der Kamera

Stefan Gubser als Reto Flückiger; Delia Mayer («Die Cleveren») als Liz Ritschard; Alexander Beyer («Sonnenallee») als Thomas Behrens; Karina Plachetka («Whisky mit Wodka») als Ilka Behrens; Georg Scharegg als Michael Straub; Pierre Siegenthaler als Direktor Sonderer; Kenneth Huber als Bankangesteller Reichlin


Hinter der Kamera

Regie: Tobias Ineichen; Buch: Martin Maurer; Kamera: Michael Saxer; Szenenbild: Marion Schramm; Musik: Fabian Römer; Ton: Raoul Grass
Wieder einmal präsentiert Das Erste am Sonntagabend auf dem gewohnten Sendeplatz einen «Tatort» wie vom anderen Stern: So fühlt sich zumindest die mäßig liebevolle Synchronisation ins «Tagesschau»-Deutsche an, die der Sender den Bundesbürgern präsentiert, womit die authentische Version in Schwyzerdütsch den südlichen Nachbarn vorbehalten bleibt. Die leichten Schattierungen im Pseudo-Dialekt setzen dem verzweifelten Versuch, das ARD-Publikum nicht mit Mundart zu überfordern, dann noch zum wiederholten Male ein peinliches Krönchen aufs Haupt. Diese Kritik ist altbekannt, muss aber immer und immer wieder aus ihrer Schublade gezogen werden, wenn der allgemeine Tenor einen «Tatort» aus der Schweiz, oft mit Blick auf die Darstellerriege, als atmosphärisch unstimmig abstempelt – wie auch hier vorauszusehen ist. Umso bedauerlicher ist dieser Umstand mit Blick auf die durchaus beachtliche Qualität des jüngsten Streifens der Eidgenossen, der abseits von sprachlichem Wirrwarr mit anhaltender Spannung und Gelegenheit zum echten Miträtseln gespickt ist.

Gleich zu Beginn nimmt der 90-Minüter Fahrt auf. Der IT-Experte Thomas Behrens, dargestellt von Alexander Beyer, flüchtet, einen Verfolger im Nacken spürend, durch die Straßen von Luzern. Als kurz darauf seine heimliche Geliebte tot aufgefunden wird, beginnt die Suche nach ihm. Für seine Frau ist die Sorge um den Ehemann, von dem sie sich ohnehin entfremdet hat, nicht das dringendste Problem, ist doch auch sie davon überzeugt, heimlich beobachtet zu werden und in Sorge um ihre junge Tochter. Was den Anschein eines Beziehungsdramas erweckt, verkompliziert sich deutlich, als Behrens sich stellt und damit nicht etwa dringende Rätsel gelöst werden, sondern neue angehäuft, behauptet der bei einer Bank angestellte doch, eines von ihm aufgedeckten Steuerskandals wegen in Lebensgefahr zu schweben.

Das klingt reichlich verschachtelt und unzweifelhaft wirr, entpuppt sich im folgenden Verlauf der Erzählung aber als durchaus entknotbarer, roter Faden, der nicht nur aufgelöst, sondern auch fröhlich weitergesponnen wird. Dabei halten sich die Kommissare nicht mit dramatisch inszenierten Analysen auf, die der Handlung das Tempo nehmen würden, sondern stürzen von einer Szene in die nächste. Immer passend gewählt und eine besondere Erwähnung wert, ist die musikalische Begleitung, die nicht nur untermalt, sondern das Geschehen fast schon pointiert. Von manch einem Zuschauer als wenig aktuell dürfte der Aspekt der gestohlenen Bankdaten wahrgenommen werden, die in Deutschland bereits vor einigen Jahren im Fokus des öffentlichen Interesses standen und zuletzt kaum mehr für Schlagzeilen sorgten. Andererseits wird im «Tatort: Verfolgt» betont – und mit fortschreitendem Handlungsverlauf auch überdeutlich – dass dem System der Kreditinstitute insgesamt schwerlich beizukommen ist, womit das Wiederaufgreifen der Thematik als Kritik am im Wesentlichen unbeschädigten Geschäftsmodell „der oberen Zehntausend“ verstanden werden kann.

Was der «Tatort» aus Luzern erfreulicherweise vermissen lässt, sind lästige Nebenhandlung auf persönlicher Ebene, die andernorts oft eingestreut werden, um Tiefe zu verleihen, in der Regel aber nur Löcher in die Handlung reißen. Und auch dass die Kommissare, wie gewohnt und anders als viele Kollegen in Deutschland, nicht den Eindruck erwecken, eine Zweitkarriere als Humoristen anzustreben, tut dem Krimi gut, da er so sein kann, was er sein soll: Ein Krimi eben. Dass die Eidgenossen offensichtlich beschlossen haben, mit «Die Schweizermacher» genug filmische Komik für die nächsten hundert Jahre auf die Leinwand projiziert zu haben, bedeutet indes nicht, dass dem «Tatort: Verfolgt» die menschliche Wärme fehlt. Eben jene ist sanft eingestreut, wie in einer Szene, in der sich Flückiger als gekonnter Vorleser und Einschlafhilfe beweist.

So konsequent, wie jener Augenblick inszeniert ist, geht der Film auch mit seiner Action um, die sich im Wesentlichen auf das letzte Drittel des «Tatort» konzentriert. Auf vermeintlich große Bilder wird hier verzichtet, stattdessen baut die Intensität der Szenen vor allem auf erschreckende Kaltblütigkeit und schafft insgesamt zwar einen Spannungshöhepunkt, macht aber nicht den Fehler unrealistischer Längen in seiner Dramatik. Generell setzt das Werk darauf, ungeschönte Momente zu zeigen – wer so gar kein Blut sehen kann, sollte sich das Einschalten verkneifen. Allen anderen darf der «Tatort» ans Herz gelegt werden, der zweifelsfrei zu den besten des Ermittlerduos gehört.

Der «Tatort: Verfolgt» aus Luzern wird am Sonntag, den 7. September, ab 20.15 Uhr im Ersten gezeigt.

Kurz-URL: qmde.de/72939
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