Die Kritiker

Schuld trotz Sühne?

von

Ein (rehabiliterter?) Sexualstraftäter kommt in «Ein offener Käfig» wieder auf freien Fuß - und eine badische Kleinstadt läuft Sturm.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Oliver Mommsen als Robert Dühring
Martin Feifel als Georg Dühring
Anna Schudt als Lisa Reichard
Nicole Mercedes Müller als Hanna Reichard
Ole Puppe als Micha Heinrich
Catherine Flemming als Katja Heinrich

Hinter der Kamera:
Produktion: SWR
Drehbuch: Holger Joos
Regie: Johannes Grieser
Kamera: Jürgen Carle
Producer: Oliver Lehmann
Georg Dühring ist ein verurteilter Sexualstraftäter. Vor fünfzehn Jahren hat er in einer badischen Kleinstadt drei Frauen bestialisch vergewaltigt. Danach Haft und Sicherheitsverwahrung. Vor kurzem ist er wieder entlassen worden. Die Wahrscheinlichkeit, rückfällig zu werden, sei unter fünfzehn Prozent, sagt sein Sozialarbeiter. Damit stelle er keine wesentliche Gefahr für die Allgemeinheit mehr dar. Grund genug für die Behörden, ihn wieder auf freien Fuß zu setzen.

Sein Bruder Robert, mittlerweile ein angesehener Geschäftsmann in jener badischen Kleinstadt, in der Georg einst seine grausamen Verbrechen verübte, hatte zu dem Kriminellen seit langer Zeit keinen Kontakt mehr, hat ihn kein einziges Mal im Gefängnis besucht. Umso schockierter ist er, als Georg plötzlich bei ihm zu Hause aufkreuzt – seiner Verlobten Lisa und deren Tochter Hanna hatte er nie von seinem älteren Bruder erzählt. Und rauswerfen kann er ihn nicht: Das Haus gehörte ursprünglich dem (mittlerweile verstorbenen) Vater der beiden Geschwister; und der hatte den abtrünnigen Georg damals nicht enterbt.

Wenig überraschend kocht in der badischen Kleinstadt die Stimmung hoch. Die Erinnerung an die Taten der grässlichen „Sex-Bestie“ sind nicht verblasst, die tiefen Wunden, die der Vergewaltiger vielen Frauen zugefügt hat, werden niemals verheilen. Denn auch wenn Georg seine Triebe mithilfe von starken Medikamenten unterdrückt: Die potentielle Gefahr, die von diesem Mann ausgeht, kann nicht wegdiskutiert werden.

Glücklicherweise verfolgt «Ein offener Käfig» auch nicht die baumtänzerische Absicht, diese potentielle Gefahr wegzudiskutieren. Und auch wenn es zunächst so aussieht, als möchte man den einfachsten tiefenpsychologischen Weg gehen und die brutalen Verbrechen von Georg als das Resultat einer schweren Kindheit erklären, ergibt sich später ein vielschichtigeres Bild. Denn niemand anderes als Georg selbst verwirft diesen Erklärungsansatz: „Was wenn es am Ende gar keinen Grund gibt und ich nur ein böser Mensch bin?“, fragt er in einem Moment der Selbstreflexion. Robert, der zu diesem Zeitpunkt bereits wieder ein Stück weit zu dem entfremdeten Bruder gefunden hat, antwortet: „Kein Mensch ist einfach nur böse.“

Und hier liegt des Pudels Kern. Wie bekommt man diese beiden konträren Ansprüche, das Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft, die die Ultima Ratio des Wegsperrens auf Ewigkeit als einzig tragfähige Lösung sieht, und den Anspruch des Täters auf Rehabilitation, auf Wiedereingliederung in eben jene Gesellschaft, die ihn ablehnt, unter einen Hut?

Die Antwort, die der Film letztlich zu geben versucht, ist so einfach wie richtig wie schwer erträglich: wahrscheinlich gar nicht.

Die amerikanische Alternative, die vorsieht, potentiell gefährliche Serientäter für den Rest ihres Lebens hinter Gitter zu sperren, gilt vielen Deutschen als barbarisch. Und doch: Die Gefahr, das nächste Opfer eines Gewalttäters zu werden, will auch niemand eingehen. Rehabilitation ja, aber bitte nicht hier. Dem Film gelingt es über weite Strecken, diesen eklatanten Widerspruch fassbar zu machen, ihn zu illustrieren, ohne eine der beiden Seiten übermäßig positiv herauszustellen oder zu verurteilen. Die Diskussion ist zunächst ein Wert an sich.

Auch tiefenpsychologisch erzählen Holger Joos und Johannes Grieser sehr feinfühlig und mit einem wachen Auge für Zwischentöne. Natürlich sind da die ins Auge springenden thematischen Vergleiche mit Fritz Langs Meisterwerk «M – Eine Stadt sucht einen Mörder» unangebracht. Die kann «Ein offener Käfig» selbst bei der wohlwollendsten Betrachtung nicht gewinnen. Der Fernsehfilmduktus, dem sich Joos‘ und Griesers Film nicht entziehen kann, verhindert das konsequent. Vieles ist vorhersehbar, weniges überraschend. Und doch hat man durch eine nicht unintelligente Paraphrasierung gesellschaftlicher Debatten und kluge Figurenbeobachtungen vieles richtig gemacht.

Daran hat auch die starke Besetzung entscheidenden Anteil: Martin Feifel spielt seine Rolle des ewig schuldigen Sexualstraftäters mit starkem Gespür für die zahlreichen Ambivalenzen, die das Drehbuch ihr gewährt, während Oliver Mommsen in der Rolle des gebeutelten Geschäftsmannes, der von den kleinstädtischen Stimmungen wirtschaftlich abhängig ist, ähnliches gelingt. Anna Schudt lässt ihre Figur derweil nicht zur Stichwortgeberin für Charakterwandlungen verkommen, sondern lässt sie eine starke Eigendynamik entwickeln.

Das Erste zeigt «Ein offener Käfig» am Mittwoch, den 10. September um 20.15 Uhr.

Kurz-URL: qmde.de/72957
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