Hingeschaut

Prinzenscharade zum Abgewöhnen

von

Der US-Flop «I Wanna Marry "Harry"» macht seinem miesen Ruf alle Ehre.

«I Wanna Marry "Harry"» in den USA

In den USA startete die Kuppeldoku am 20. Mai 2014 beim Network FOX und ließ bei den Senderverantwortlichen rasch die Alarmglocken läuten: Die Premiere kam im Anschluss an den Quotenrenner «American Idol» nur auf 1,5 Millionen Gesamtzuschauer und 0,7 Millionen 18- bis 49-Jährige. Die Folgen zwei bis vier erreichten sogar nur 0,4 Millionen Werberelevante, so dass der Sender den Stecker zog. Die Episoden fünf bis acht sind in den USA im Web verfügbar.
Kuppelsendungen sind ein schwieriges Genre, denn sobald echte Persönlichkeiten, das Thema Liebe und eine mediale Auswertung aufeinandertreffen, ist auch Voyeurismus nicht weit. Ist letztgenannter Aspekt zu groß, überschreitet die Sendung die Grenzen des Anstands und droht, ihre romantische Beinote zu verlieren. Ist die Kuppelsendung zu zurückhaltend, stellt sich rasch Langeweile ein. Seit den glorreichen Tagen der weitestgehend unschuldigen und dennoch oft unterhaltsamen Vorabendkuppelei «Herzblatt» haben sich Fernsehmacher daher allerhand Gimmicks für ihre Shows einfallen lassen.

Diese Effekthascherei soll über den zumeist gescheiterten Balanceakt zwischen schalem Entertainment und ehrlich gemeinter Plattform für Liebessuchende hinwegtäuschen. Wie erträglich eine Kuppelshow ist, lässt sich daher nur schwer vorab beurteilen. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass eine Dokusoap mit nackten Singles vergleichsweise unaufgeregt sein könnte und sich recht wenig darum kümmert, die Kandidaten bloßzustellen? Während «Adam sucht Eva - Gestrandet im Paradies» die Erwartungen somit überbot, ist «I Wanna Marry "Harry"» dagegen mindestens genauso grauenhaft, wie es auf dem Papier klingt: 12 US-amerikanische Junggesellinnen werden auf ein prachtvolles britisches Anwesen verfrachtet, um dort einen respektablen englischen Single kennenzulernen. Dieser Jemand ist ein dürrer Bauarbeiter namens Matt Hicks, doch von seiner wahren Identität erfahren die Teilnehmerinnen nicht.

Matt sieht nämlich Prinz Harry zum Verwechseln ähnlich, und die Macher der Dokusoap melken diese Ähnlichkeit komplett aus. Matt wird stets von Bodyguards bewacht, bekommt einen eigenen Diener zur Seite gestellt und wird in allen Gepflogenheiten des Adelshauses unterrichtet – und wird zudem niemals mit seinem echten Namen angesprochen. Kurzum: Das Ganze ist eine noch oberflächlichere Version von «Catch the Millionaire», nur dass nicht über den Kontostand des Singles geflunkert wird, sondern der alleinstehende Bube als berühmter Prinz herumstolziert.

Daher ist es im Grunde schon falsch, die von Ryan Seacrest produzierte Show als Kuppelformat zu bezeichnen. Denn Romantik wird hier möglichst klein geschrieben. Dass der schüchterne Matt mit seiner Flunkerei die ewige Liebe finden wird, glaubt wohl niemand der Verantwortlichen und die gackernden, von einem Jetsetleben träumenden Kandidatinnen sind so scharf auf ein Promidasein, dass sich die meisten von ihnen selber so sehr blenden, bis sie der Scharade voll auf den Leim gehen. Als Sozialexperiment wiederum ist das Projekt zu flach, zu dumm, zu grell, um eine nennenswerte Aussage treffen zu können. Die zwölf Junggesellinnen sind oberflächlich – größere Erkenntnisse gibt es in der Show nicht.

Bleibt höchstens die Möglichkeit, dass «I Wanna Marry "Harry"» als hohles Vergnügen taugt. Doch auch hier versagt die in den USA gefloppte Sendung. Dies liegt zunächst an den Protagonistinnen, die nahezu ausnahmslos unausstehliche, grell kichernde Hühner sind, die sich mit großen Gesten und ausufernder Mimik verständigen. Selbst Matt aka Harry fällt dies auf – in einem seiner zahlreichen Off-Kommentare gibt er sich erstaunt, wie überdreht US-Amerikanerinnen im Vergleich zu ihren englischen Geschlechtsgenossinnen sind. Aber auch sonst ist «I Wanna Marry "Harry"» nur schwer verdaulich. Der Ablauf der Premierenepisode ist mit dem Empfang der Damen auf dem prunkvollen Anwesen und dem dazugehörigen Hokuspokus so gelackt wie «Der Bachelor», bloß dass besagte Sendung ein Minimum an Unberechenbarkeit aufweist, da der Zuschauer eingangs nicht weiß, wohin sich alles entwickelt. «I Wanna Marry "Harry"» wiederum besteht allein aus dem „Wow, nahezu alle fallen drauf rein!“-Gag, der sich bereits nach wenigen Minuten abgenutzt hat.

Des Weiteren leidet der nun bei TLC seine Deutschlandpremiere feiernde US-Flop an den üblichen Problemen, die US-Realitys für deutsche Zuschauer anstrengend machen: Alle paar Minuten folgen Rückblicke und Vorschauen, die den Fluss der Episode stören und den unschönen Eindruck wecken, die Showmacher würden mutmaßen, das TV-Publikum hätte das Erinnerungsvermögen eines Goldfischs.

Alleiniger Pluspunkt der lärmenden Reality ist der vom Schauspieler Paul Leonard verkörperte Butler Kingsley, der sich gar nicht bemüht, eine glaubwürdige Figur zu spielen. Mit verschmitztem Grinsen gibt Leonard ununterbrochen die Karikatur eines piefigen Butlers und verhöhnt so ganz still die gesamte Prinzenmaskerade. Gleichzeitig bespricht er mit Matt in aller Abgeschiedenheit die Geschehnisse und gibt pointierte Einschätzungen der Teilnehmerinnen ab, wobei er gleichermaßen ganz charmant die Mentor- und Kumpelrolle erfüllt. Das reicht aber nicht, um dieses boshafte, dröge TV-Experiment zu retten.

«I Wanna Marry "Harry"» ist immer dienstags um 21.05 Uhr auf TLC zu sehen.

Kurz-URL: qmde.de/73011
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