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Deutsche Fernsehende haben mittlerweile dennoch die Möglichkeit, sich im hiesigen Free-TV ein eigenes Bild von dem Projekt machen. Seit Mittwoch, dem 1. Oktober 2014, zeigt sixx wöchentlich um 22.05 Uhr erstmals im deutschen Fernsehen «One Born Every Minute – Die Babystation», die US-Version des in Großbritannien erfundenen Konzepts. Wodurch es sich von üblichen Babydokus unterscheidet? Statt eines Kamerateams, das die Mitarbeiter der Babystation sowie die werdenden Mütter auf Schritt und Tritt verfolgt, fangen 40 ferngesteuerte, fest installierte Kameras das Geschehen in der Entbindungsstation ein.
Die Erfinder dieses Dokusoap-Konzepts erhoffen sich dadurch authentischere Aufnahmen: Da keine Fernsehmacher sichtbar sind, sollen die gefilmten Personen ein unverfälschtes Verhalten an den Tag legen. Dieser Aspekt ist es, der «One Born Every Minute» in Großbritannien, den USA und Frankreich den Ruf einbrachte, revolutionär zu sein. Doch er war es auch, der die Politik Zweifel hegen ließ. Die Persönlichkeitsrechte seien in Gefahr und auch moralisch sei es fragwürdig. Eine durchaus nachvollziehbare Sorge: Die unauffälligen Fernsehkameras könnten dazu genutzt werden, unvorteilhafte Bilder der Patienten zu erhaschen und darauf zu lauern, dass sich die Krankenhausangestellten in Privatgesprächen blamieren.
RTL und die Produktionsfirma Shine verteidigten sich 2013 damit, dass ihre Version (genau wie die internationalen Vorgänger) nur in einem abgetrennten Bereich der Entbindungsstation gefilmt werden sollte – niemand hätte unvorbereitet ans „Set“ tappen können. Außerdem müssen bei «One Born Every Minute» alle Beteiligten sowohl vor als auch nach den Dreharbeiten ihre Einwilligung geben, ehe Material für die Doku verwendet werden darf. Die Persönlichkeitsrechte seien damit ausreichend gewahrt – und tatsächlich sollte dieses in UK preisgekrönte Konzept somit auch hierzulande auf der rechtlich sicheren Seite sein.
Stellt sich lediglich die Frage, wie es ethisch um das Format bestellt ist. Eine Sichtung der bei sixx laufenden US-Variante zeigt, dass «One Born Every Minute» tatsächlich recht geschmackvoll umgesetzt ist. Das beeindruckend fließend geschnittene Bildmaterial vermeidet es konsequent, Nacktheit zu zeigen, darüber hinaus werden Schicksale nicht voyeuristisch ausgemolken. Bereits in der ersten von sixx gezeigten Folge kommt es zu einer besonders schweren Geburt. Statt dieser den Löwenanteil der Laufzeit zu widmen und sich auf die Schmerzen und Sorgen der Mutter zu konzentrieren, zeigt die Dokusoap bloß in kurzen Vignetten den Prozess dieser Geburt.
So zieht es sich durch das gesamte Format, ganz gleich, wie außergewöhnlich oder unspektakulär ein Patientenfall verläuft. Wird die Mutter durch das Eintreffen des Vaters nervöser oder ruhiger? Eine Patientin entscheidet sich für eine natürliche Geburt ohne Medikamente, bleibt sie auch beim Fortschreiten der Wehen dabei? Jeder „Wendepunkt“ wird kurz eingefangen, manchmal sofort von Krankenhausmitarbeitern oder in Retrospektive von den Patienten in knappen Einzelinterviews kommentiert, weiter geht es. Das Angestelltengeplänkel, das die Kameras beobachten und über den Äther geschickt wird, ist derweil harmlos-vergnüglich, nie sind die Macher an privaten Details oder peinlichen Verbalausrutschern interessiert.
Somit ist «One Born Every Minute – Die Babystation» weniger als voyeuristisch zu verstehen, sondern eher als dokumentarisch-beobachtend: Die Reality gibt einen ungekünstelten, nüchternen Überblick über den Alltag in einer Geburtenstation, ohne sich unverschämt aufzudrängen und die beobachteten Personen bloßzustellen. Die vereinzelten, amüsanten Anekdoten wollen, dass der Zuschauer mit den Protagonisten lacht – und nicht über sie, wie es bei Schwiegertochter gesucht und Konsorten der Fall ist. Wenn ein werdender Vater seine verängstigte Freundin aufmuntert, indem er scherzt, ausgerechnet jetzt dringend Chips kaufen zu wollen, zeigt «One Born Every Minute – Die Babystation» genug Humor, um nicht vollkommen dröge zu werden. Gleichzeitig ist dieser authentische, menschliche Moment (ganz ohne das hölzerne, von der Redaktion beeinflusste „Schauspiel“ in vielen anderen Dokusoaps) nichts, worüber sich der Vater Jahre später schämen müsste.
Bei all diesen abwiegelnden Worten darf aber nicht vergessen werden: Diese respektvolle Herangehensweise liegt allein in den Händen der Verantwortlichen, und es ließe sich unter den Drehbedingungen ohne Weiteres das komplette Gegenteil einer gemächlichen Dokusoap umsetzen. Daher ist es selbst unter Berücksichtigung der US-Variante nicht unverständlich, dass der Berliner Senat dem Konzept kritisch gegenüberstand – wenngleich es fragwürdig ist, weshalb viel dreistere Sendungen weiterhin laufen dürfen.
Anders als diverse Kuppeldokus ist «One Born Every Minute – Die Babystation», mancher Situationskomik zum Trotz, vor allem eins: Eintönig. Für einige Minuten stillt das Format die gesunde, menschliche Neugier. Es beantwortet, wie unterschiedlich werdende Mütter reagieren können und wie routiniert die Krankenhausbelegschaft denn nun wirklich ist (Spoiler: Auch Pfleger einer Babystation haben eine Toleranzgrenze für nicht enden wollenden Lärm). Ab dann braucht es ein gesteigertes Interesse an der Babythematik, um am Ball zu bleiben. Denn auch wenn jede Geburt ihr eigenes, kleines Wunder darstellt, sind sich diese Wunder trotzdem ziemlich ähnlich. Und sobald man als Zuschauer ähnlich routiniert auf das Geschehen blickt wie die Mitarbeiter der Babystation, wieso sollte er dann noch immer dranbleiben?
«One Born Every Minute – Die Babystation» ist jeden Mittwoch um 22.05 Uhr bei sixx zu sehen.