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Die Staffel ist dunkler als «AHS: Coven», sie fühlt sich einzigartig an. Ich habe bei der ersten Episode Regie geführt, das habe ich seit Staffel eins nicht gemacht. Sie sieht aus wie ein Douglas-Sirk-Film; sie wird sehr klar im Jahr 1952 präsentiert sein, und der Horror wird überraschend einschlagen.
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Ryan Murphy über die neue Staffel
Diesmal verschlägt es uns ins Jahr 1952 nach Jupiter, Florida, wo eine der letzten Freakshows des Landes ihre Zirkusvorstellungen gibt. Die Attraktionen sind deformierte Menschen: Kleinwüchsige, ein Junge mit Scherenhänden, eine bärtige Frau – und andere Gestalten, die Geschäftsführerin Elsa Mars als ihre „Monster“ bezeichnet. Für Mars sind es schwere Zeiten; das Fernsehen macht mittlerweile Konkurrenz, und die Zuschauerränge im Zirkuszelt sind leer. Es kommt nicht ungelegen, dass ins örtliche Krankenhaus eine Kreatur eigenliefert wird, die das Geschäft retten könnte: Siamesische Zwillinge, im Brustbereich zusammengewachsen auf die Welt gekommen. Während Mars versucht, ihre Show am Leben zu halten, treibt ein Serienkiller in Jupiter sein Unwesen: Als Clown mit Riesenfratze verkleidet, sucht er sich (scheinbar) willkürlich seine Opfer aus und ermordet sie oder sperrt sie weg, um sie dann psychologisch zu brechen.
Es sind abermals die Charaktere, die bei dieser vierten Staffel «American Horror Story» so unvergleichbar interessant wirken und die uns einschalten lassen. Jessica Lange porträtiert als Elsa Mars die Diva, die ihre Show um jeden Preis verteidigt – und der man ansieht, dass sie dafür über Leichen gehen würde. Mars hat eine deutsche Vergangenheit, hin und wieder flucht sie in ihrer Muttersprache. Selbst der offizielle Hashtag der vierten Staffel (#WirSindAlleFreaks) ist deutsch, auch in englischsprachigen Ländern. Unabhängig davon ist Jessica Langes Figur wieder wunderbar ambivalent angelegt: Auf der einen Seite die eigentlich gescheiterte Existenz, die nicht einmal mehr in der Provinz Zuschauer anlockt; auf der anderen Seite die Grand Dame, die vom späten Ruhm träumt und Star-Allüren hat. Ihre (äußerst absonderliche) Musicalnummer in der Auftaktepisode spiegelt sich hier wider – sie singt David Bowies „Life on Mars“, während ihre Showdarsteller um sie herum tanzen und kaum jemand zusieht. Willkommen bei «American Horror Story».
Neben Jessica Lange ist es meist eine Darstellerin, die auch aufgrund ihrer Rolle besonders scheinen kann. In Staffel eins war es beispielsweise Connie Britton als fürsorgliche, zweiflerische Mutter Vivien, in Staffel zwei war es Lily Rabe als vom Teufel besessene Schwester Mary Eunice. Diesmal beeindruckt Sarah Paulson, die in den vergangenen zwei Staffeln in «AHS» bereits Hauptrollen übernahm. Diesmal spielt sie die siamesischen Zwillinge Bette und Dot. Während Bette die optimistische, freundliche Person ist, die sich über das Engagement in der Freakshow freut, wünscht sich die zynische Dot ein einsames Leben zurück und meidet Gesellschaft. Nun ergießen sich diese Eindrücke der völlig gegensätzlichen Charaktere dem Zuschauer gegenüber immer gleichzeitig in einer Person, und meist im gleichen Bild, wenn beide Köpfe gefilmt werden. Die entsprechenden Szenen wurden dafür zweimal gedreht; Paulsons Darbietungen per CGI-Effekt zusammengeschnitten. Für den Zuschauer ist es ein völlig verstörendes, neues Gefühl, dieselbe Darstellerin doppelt auf dem Bildschirm in zwei so distiktiven Rollen zu sehen – gleichzeitig auch ein sehr intensives und atemberaubendes. So etwas hat man tatsächlich selten erlebt, schon gar nicht in dieser schauspielerischen Klasse.
Neben den altbekannten «AHS»-Darstellern – unter anderem sind auch Evan Peters, Kathy Bates und Frances Conroy wieder zu sehen – verbindet die Staffeln immer wieder das typische Ryan-Murphy-Motiv, gegen Missstände aufzustehen, gegen Ungleichheit und Ausstoßung. Diesmal wird dieser Aspekt wieder eine zentrale Rolle einnehmen: Angeführt von Jimmy (Evan Peters) begehren die Freakshow-Darsteller auf gegen ihr Dasein als Ausstellungsfiguren. Jimmy selbst hat dieses Leben satt, will in die Welt hinaus; und als ein Detektiv wegen eines Mordfalls auf dem Gelände ermittelt und abfällige Bemerkungen gegenüber den ‚Freaks‘ macht, muss er kurzerhand sein Leben lassen. Gleichzeitig wissen die Schausteller, dass die Zeiten nicht reif sind für ihr Leben als normale Gesellschaftsmitglieder. Und dass sie bei Elsa Mars vermutlich am besten aufgehoben sind. Innere moralische Konflikte sind es also, die bereits in Folge eins angedeutet werden. Es sind Fragen von Identität, Zugehörigkeit und Sehnsucht, die diese Figuren verkörpern und die uns in den kommenden Wochen beschäftigen werden.
Dass bei all diesem bizarren Spaß wenig Spannung oder gar Horror aufkommen wollen, macht nichts. «American Horror Story» ist schon seit Staffel zwei kein typisches Horrorfernsehen mehr; der Grusel spielt sich mehr auf psychologischer Ebene und in den Köpfen der Zuschauer ab. Die eingeführte Parallelgeschichte mit dem Killer-Clown (der zumindest furchterregend aussieht) steuert noch ziellos, auch da die Figur in Folge eins nicht charakterisiert wurde. Aber das ist auch das Gute an Murphy und Falchuk, den Machern von «American Horror Story»: Wir können uns darauf verlassen, dass die Handlungsstränge bald zusammengeführt werden und dass dieser Clown noch eine wichtige Rolle spielen wird. Auch diese Staffel wird wieder voller Überraschungen und Storytwists stecken.
Das Ticket ist gelöst. Es war eine tolle Auftaktvorstellung der Freakshow.