Sonntagsfragen

Friedman: 'Halte das Fragezeichen für eines der intelligentesten aller Schriftzeichen'

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Sonntagsfragen an Michel Friedman: Die Interview-Reihe wird 10 und spricht noch einmal mit dem ersten Gast, Polittalker Michel Friedman. Der hat kürzlich seinen N24-Vertrag verlängert, spricht über die vermeintliche Talk-Flut und darüber, ob er noch Hoffnungen hat, dass «Der Richter in dir» doch in Serie geht.

Vita Michel Friedman

  • Karriere als Politiker in der Union von 1983 bis 2000 - Friedman trat infolge der Spendenaffäre vom Roland Koch aus der Partei aus
  • 1993/1994: Moderation von «Riverboat» im MDR
  • 1998 bis 2003: «Vorsicht! Friedman» im hr
  • 2000 bis 2003: «Friedman» im Ersten (Deutscher Fernsehpreis, Kategorie "Beste Information")
  • Seit 2004: «Studio Friedman» bei N24
Herr Friedman, wissen Sie, was Sie mit Quotenmeter.de verbindet? Vor 10 Jahren waren Sie der erste Gast in unserer Interviewsektion „Sonntagsfragen“. Auch diese feiert in diesem Jahr also Jubiläum. Seitens Quotenmeter.de erst einmal einen herzlichen Glückwunsch zu zehn Jahren «Studio Friedman».
Herzlichen Dank.

Was reizt Sie an ihren N24-Formaten nach so vielen Jahren noch immer?
Das Gespräch, der Dialog, Sein und Schein bei Politikern herauszuschälen, Argumente nach ihrer Logik, auf ihren Inhalt zu überprüfen und immer wieder festzustellen, dass nur im Dialog, nur im Gespräch es möglich ist, politische Entwicklungen zu reflektieren.

Erinnern Sie sich noch, wie der Kontakt zu N24 damals zustande kam? Nicht lange vor dem Debüt von «Studio Friedman» haben Sie ja eine durchaus eine schwere Zeit durchgemacht.
Der erste, der mir nach dieser schweren Zeit die Hand reichte, war Wolfram Winter, der mit mir auf 13th Street «Im Zweifel für den Angeklagten» produzierte. Es ging um eine Gesprächssendung, die nach der Serie «Law and Order» die entscheidenden Grundsatzthemen noch mal aufrief. Torsten Rossmann und N24 übernahmen - und das war übrigens eine Premiere - dieses Format vom Pay-TV ins Free-TV – und zwar mit großem Erfolg. Einige Monate später sprach mich Torsten Rossmann an, ob ich mir vorstellen könnte, eine politische Talkshow zu machen. Ich war natürlich sehr begeistert und hoch motiviert. Und daraus sind eine 10-jährige erfolgreiche Zusammenarbeit und eine wunderbare Freundschaft entstanden.

Traten Veränderungen in ihrer Arbeitsweise und seitens ihres Arbeitgebers auf, nachdem N24 von Axel Springer übernommen wurde? Sie schrieben ja bereits selbst einige Zeit für Springer-Blätter.
Nicht im Geringsten. Wir sind frei, unabhängig wie eh und je. Übrigens – und das ist das Besondere und Beglückende an meiner Arbeit – noch nie hat sich der Geschäftsführer in die Sendung eingemischt. Das macht den Kopf noch unabhängiger, noch freier, noch mutiger. Seit ich ein Jugendlicher war, habe ich davon geträumt, Journalist zu sein. Ich darf dies im Fernsehen umsetzen, aber auch im Print. Ich schreibe seit Jahren für die WELT-Gruppe und die BZ Kommentare und Essays und Reportagen. Ich hatte auch das große Vergnügen, zehn Jahre als Herausgeber des Politischen Sachbuchs im Aufbauverlag viel zu lernen.


In jüngerer Vergangenheit sorgte vor allem Bernd Luckes Flucht aus dem «Studio Friedman» für öffentliches Aufsehen. Finden Sie es schade, dass derartige Themen die Berichterstattung über «Studio Friedman» dominieren? Über nuanciertere und inhaltlich wesentlich gehaltvollere Talks von Ihnen wird ja häufig gar nicht berichtet.
Luckes Auszug aus meiner Sendung war ein Offenbarungseid – und zwar seiner. Die AfD verteilt Kritik an Politikern und an Politik mit einer solchen Wucht, dass es entlarvend ist, wie wenig ihr Parteivorsitzender aushält.
Michel Friedman
Quotenmeter kann das ja jetzt Woche für Woche ändern. Aber ernsthaft: Luckes Auszug aus meiner Sendung war ein Offenbarungseid – und zwar seiner. Die AfD verteilt Kritik an Politikern und an Politik mit einer solchen Wucht, dass es entlarvend ist, wie wenig ihr Parteivorsitzender aushält. Wir diskutierten über die hellbraunen Punkte innerhalb der AfD – das wollte Herr Lucke, der Wolf im Schafspelz, nicht ertragen und floh vor der Wahrheit, schade. Andererseits: Ich habe insgesamt über 700 Talksendungen moderiert, mit Politikern aller Parteien. Es war nicht immer leicht für sie, diese offensive Streitkultur durchzuhalten, aber die meisten von ihnen sind wiedergekommen.

«Studio Friedman» wechselte jüngst auf den Sendeplatz um 17.15 Uhr, zuvor startete der Talk am späten Abend. Bemerken Sie einen Unterschied im Hinblick auf die öffentliche Wahrnehmung und die Zuschauerbeteiligung oder ist Ihnen der Sendeplatz einerlei?
N24 und ich haben unsere Zusammenarbeit bis Ende 2017 bestätigt. Das ist in der heutigen kurzweiligen Medienlandschaft nicht selbstverständlich. Ich bin dankbar, aber auch ein bisschen stolz auf dieses Vertrauen. Gleichzeitig haben Torsten Rossmann und ich uns überlegt, das Erfolgsrezept beizubehalten und trotzdem einiges Neues zu versuchen. Die erste Erneuerung ist der Sendeplatzwechsel. Wir sind dadurch aktueller und erreichen nun vor allem auch Entscheidungsträger und Zuschauer, die bei dem späten Sendetermin am liebsten schon schlafen wollten. Außerdem haben wir die Sendezeit deutlich ausgebaut und haben jetzt 14 Minuten mehr Zeit – das ist wunderbar. Normalerweise werden Sendungen gekürzt, wir verlängern antizyklisch. Dadurch kann man noch mehr in die Tiefe gehen. Und schließlich wollen wir die Reportage-Reihe «Friedman schaut hin» weitaus häufiger produzieren als bisher.

Wie wichtig ist Politik für Sie persönlich? Sie waren und sind selbst politisch aktiv. Welchen Effekt erhoffen Sie sich von «Studio Friedman» in den Köpfen der Zuschauer?
Politik beeinflusst das Leben des Bürgers 24 Stunden am Tag. Politik ist Macht. Politik dringt in alle Belange unseres Lebens ein. Dass wir in einer Demokratie leben, das ist keine Selbstverständlichkeit, das ist immer noch ein Geschenk, eine Ausnahme. Keine andere Staatsform schenkt den Bürgern die Möglichkeit des Widerspruchs ohne, dass er vor Sanktionen des Staates Angst haben muss. Und keine andere Staatsform schenkt uns Journalisten so viele Rechte und Möglichkeiten zur kritischen Kontrolle. Meine Eltern haben den Holocaust und die Nazi-Diktatur überlebt. Ich habe mittelbar erfahren, wozu Macht, Politik und Menschen fähig sind. Und ich bin überglücklich – erlauben Sie mir diesen emotionalen Begriff – dass ich Politikern auf den Zahn fühlen darf. Politiker tun uns Journalisten keinen Gefallen, wenn sie mit uns sprechen und unsere Fragen beantworten. Es ist ihre Pflicht und gehört zu ihrer Job-Description. Ich jedenfalls genieße es, meiner Job-Description als Journalist zu folgen und kritisch, unangepasst und manchmal auch hartnäckig zu fragen, zu fragen und noch einmal zu fragen.

Regelmäßig werden bei Beobachtern der Öffentlich-Rechtlichen Stimmen laut, dass das Erste und das ZDF zu viele politische Talks ausstrahlen. Kann es so etwas wie „zu viele Polit-Talksendungen“ Ihrer Meinung nach überhaupt geben?
Es gibt nicht zu viele, sondern eher zu wenige davon. Alle zusammen füllen nicht einmal 15 Sendestunden in der Woche, und das in einem der wichtigsten Länder der Welt.
Michel Friedman
Nein! Es gibt nicht zu viele, sondern eher zu wenige davon. Alle zusammen füllen nicht einmal 15 Sendestunden in der Woche, und das in einem der wichtigsten Länder der Welt.

Sie sind selbst bereits oft Gast in mehreren angesprochenen Talk-Formaten gewesen. Schauen Sie die „Konkurrenz“ auch privat, gibt es Formate, die Ihnen besonders gefallen und worin unterscheidet sich «Studio Friedman» von Maischberger, Will und Co.?
Erstens, ich bin ein Politik-Junkie und schaue mir deswegen selbstverständlich auch die Kolleginnen und Kollegen bei ihrer Arbeit an. Zweitens, ich tue es, um von ihnen zu lernen. Und drittens halte ich es für ein Missverständnis, die Arbeit anderer zu bewerten. Jeder von uns hat seine eigene Handschrift. Und das Besondere an diesem pluralen Angebot ist, dass jeder mit seinem Stil ein Stück Aufklärungsarbeit leisten kann.

Sie diskutieren leidenschaftlich gerne und gastierten auch schon oft in Fernsehformaten, wo gute Argumente gefragt waren. Was reizt Sie so an intensiven Diskussionen und Streitgesprächen?
Ich bin neugierig und ich will lernen. Das kann man nur, indem man sein Wissen vergrößert, dieses Wissen aber auch kritisch hinterfragt. Das wiederum kann man nur, indem man mit anderen Menschen diese Wissensthesen und ihre Argumente dekonstruiert, mit allen Gegenargumenten konfrontiert, um dann für einen kurzen Augenblick die Illusion des Wissens zu erreichen. Sobald ich in meinem Leben ein Ausrufungszeichen setze hinter eine Erkenntnis, füge ich sofort wieder das Fragezeichen dazu. Ich halte das Fragezeichen für eines der intelligentesten aller Schriftzeichen.

Manche Personen, mit denen Sie diskutieren stufen ihre Ausführungen als Angriffe auf ihre Person ein. Was haben Sie dem entgegenzusetzen?
Der Sinn und Zweck einer harten Sachdiskussion lebt vom Prinzip, den Menschen, mit dem man streitet, ernst zu nehmen und zu respektieren, das ist die Prämisse der Streitkultur. Meine Kritiker behaupten, dass ich mit meinem hartnäckigen Nachfragen meine Gäste respektlos behandele. Ich halte das für ein großes Missverständnis. Respektlos ist es, wenn der Befragte ausweicht, keine Antwort auf die Frage gibt oder sogar den Fragenden anlügt, weil er glaubt, dass das politisch opportun ist. Ab und zu haben Gäste versucht, nachdem sie in ihren Argumenten immer schwächer wurden, sich über die Form meiner Streitkultur zu beschweren. Für mich war das in der Regel eher Kompliment als eine Rüge.

"«Der Richter in Dir» ist das intellektuell anspruchsvollste Format des diesjährigen TV Labs“, meinte unser Kritiker 2013. Auch beim Quotenmeter.de-Fernsehpreis heimste die Ausgabe eine Nominierung als „Bestes Magazin oder Informationsformat“ ein. Wie viel Spaß hatten Sie an der Produktion, was halten Sie vom Konzept an sich und gab oder gibt es Bestrebungen, die Sendung fortzuführen?
Ich finde die Kernidee der Sendung bemerkenswert: Recht und Gerechtigkeit sind nie synonyme Begriffe. Es gibt nicht DIE Wahrheit, sondern es gibt verschiedene Perspektiven der Wahrheit. Als mich der Produzent auf dieses Konzept ansprach, war ich wie elektrisiert. Wie sie wissen, bin ich Jurist und Philosoph. Und beide Elemente gehen symbiotisch in dieser Sendung auf. Wie schnell urteilen wir, nachdem wir wenige Häppchen Information haben. Wie schnell verurteilen wir Menschen, ohne zu ahnen, dass diese Verurteilung ihr ganzes Leben verändert. Und wie schwer fällt es, nachdem wir erstmal voreilig ein solches Urteil gefällt haben, dieses wieder zu korrigieren.

All diese Fragenkomplexe wurden an einem konkreten juristischen Fall mit den Zuschauern abgearbeitet und ihnen bewusst gemacht. Ich stehe nach wie vor voll hinter diesem Konzept sowohl inhaltlich, als auch weil es mir neben meiner langjährigen Moderationserfahrung in Gesprächssendungen die Aufgabe gestellt hat, ein ganzes Format mit einer ganz anderen Moderationsherausforderung zu begleiten. Aber wie sie wissen, bin ich noch jung, jetzt erst 58 Jahre alt, und habe die Hoffnung, dass wir dieses Produkt doch noch irgendwann mal realisieren werden.

Wie bereiten Sie sich auf die doch sehr unterschiedlichen Themen ihrer einzelnen Sendungen vor?
Sehr intensiv. Um ein guter Gastgeber in einer politischen Gesprächssendung zu sein, müssen sie optimal vorbereitet sein. Nur so erkennen sie auf der Informationsebene, ob der Gast wieder einmal ein Pseudoargument liefert oder mal wieder schamlos flunkert. Zudem muss ich mich mit allen Argumenten und vor allem Gegenargumenten auseinandersetzen, um von ihnen in der Sendung nicht überrascht zu werden. Sind diese Hausaufgaben gemacht, kann ich während der Sendung intensiver und konzentrierter zuhören und schnell reagieren.

Vielen Dank für das Gespräch, Michel Friedman.

Kurz-URL: qmde.de/73752
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