Und in der Tat: Auf den ersten Blick scheint es ihm ganz gut zu gehen. Die Kinder sind reizend, die Frau hübsch und nett, der Job erfüllend, das Haus am Stadtrand von New York City ansehnlich, die Finanzlage abgesichert. Doch je länger sich die erste Hälfte des Piloten zieht, der die Geschehnisse aus Noahs Perspektive zeigt, desto größer scheinen die Risse im pittoresken Glück zu sein: Die pubertierende Tochter, die ständig mit ihrem Smartphone hantiert, scheint noch das geringste Problem zu sein: Kurz vor der Abfahrt in den Urlaub nach Long Island findet Noah seinen Sohn scheinbar leblos in der Dusche. Ein wüster Streich, wie sich gleich herausstellt. Aber ein Schock, der sitzt. Und der allegorisch für ein fragiles Familiengebilde steht, bei dem sich zwar kaum offensichtliche Reibereien ausmachen lassen, die unausgesprochenen Enttäuschungen und Animositäten aber nicht allzu weit unter der Oberfläche zu schlummern scheinen.
Auch die finanzielle Abhängigkeit vom Kredit des Schwiegervaters macht Noah zu schaffen: Nicht, weil er Angst haben müsste, dass der ihm aufgekündigt wird, sondern weil dieser Mann ihn auch in seinem künstlerischen Leben erdrückt. Denn während Noah an seinem zweiten Roman gerade kaum weiterkommt, ist der Schwiegervater durch seine schriftstellerische Arbeit steinreich geworden: „Everyone has one book in them. Almost nobody has two“, sagt der alte Mann auf seinem prachtvollen Grundstück sitzend, das er sich von den Filmrechten an seinen zahlreichen Büchern finanziert hat.
Die andere Hälfte der Showtime-Serie gehört Alison Lockhart, die mit ihrem Mann Cole in jener verschlafenen New Yorker Kleinstadt wohnt, die Noah mit seiner Familie gerade besucht. Sie hält sich dort mit einem Kellnerjob in einem Restaurant über Wasser. Die Beziehung zwischen Alison und Cole wirkt von Anfang an gereizter als die der Solloways. Das hat Gründe: Die Lockharts haben 2012 ihr damals vierjähriges Kind verloren. Beide haben das nicht verkraftet, obwohl sie den Schmerz nach außen hin gut kaschieren können. Der Zusammenbruch findet statt, wenn die beiden allein sind und in ihrer Trauer trotz aller körperlichen Intimitäten nicht mehr zueinander finden können. Oder wenn sie völlig für sich sind, etwa in einer der ergreifendsten Szenen des Piloten, in der Alison am Grab ihres Kindes sitzt und Peter Pan liest.
Co-Creator Hagai Levi ist gelungen, was ihm schon mit «BeTipul» und dessen amerikanischer Adaption «In Treatment» gelungen ist: eine konsequente, unprätentiöse Sezierung des Seelenzustandes seiner Figuren. Wie schon in seiner Therapeutenserie baut er durch das dramaturgische Konstrukt Distanz zu den Charakteren auf, im Falle von «The Affair» durch die Zweiteilung der jeweiligen Episoden: Die jeweils erste Hälfte wird aus der Perspektive von Noah erzählt, die zweite aus der Alisons. Der confirmation bias macht dabei jedweder Objektivität selbstverständlich einen Strich durch die Rechnung – und schon im Piloten, der von der langsamen Anbahnung der Affäre zwischen Noah und Alison erzählt, finden sich reihenweise Diskrepanzen zwischen den verschiedenen Schilderungen.
- Showtime
Joshua Jackson, Ruth Wilson, Dominic West und Maura Tierney sind die Hauptdarsteller von Showtimes neuester Eigenproduktion «The Affair».
Doch Distanz bedeutet keinen Verlust von Nahbarkeit oder Intensität. Ganz im Gegenteil: Das Auge des Betrachters sieht in «The Affair» auch dann nicht weg, wenn es schwer zu ertragen wird. Gleichzeitig stellt dieses Stilmittel sicher, dass die Serie nie den Weg des billigen Emotionalisierens geht: die intensiven Momente sind durch das starke Spiel von Dominic West und Ruth Wilson sowie das spannende, wohl durchdachte Drehbuch emotional deutlich fordernder als das wahrscheinlich bei einer Erzählform gelänge, die vermeintlich näher an den Figuren wäre.
«The Affair» wirkt deshalb auch für Premium-Cable-Verhältnisse ungewohnt. Doch die konsequente Zweiteilung der Episoden und das Spiel mit den falschen oder verfälschten Erinnerungen der beiden Hauptfiguren ist kein bloßes Gimmick, sondern essentieller Bestandteil des Konzepts, ein neuer, kontraintuitiver Weg zum nahbaren Erzählen. Die Serie verdient nicht nur Aufmerksamkeit, weil sie dramaturgisch anders aufgebaut ist als das Regelfernsehen. Sondern primär weil ihr eine sehr spannende, intensiv erzählte Geschichte gelungen ist, die man unbedingt weiterverfolgen will.
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
16.10.2014 20:31 Uhr 1