Die Kritiker

Spielfilm ohne Drehbuch: Wenn ein Experiment daneben geht

von

Im ARD-Spielfilm «Altersglühen» versucht sich Regisseur Jan Georg Schütte an einem mutigen Experiment – und scheitert daran

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Mario Adorf («Es ist ein Elch entsprungen») als Johann Schäfer, Senta Berger («Kir Royal») als Maria Koppel, Victor Choulman als Sergej Stern, Jörg Gudzuhn («Crazy») als Kurt Mailand, Michael Gwisdek («Jesus liebt mich») als Volker Hartmann, Matthias Habich («Morgen musst Du sterben») als Helge Löns, Brigitte Janner («Mein Weg zu Dir») als Christa Nausch, Gisela Keiner («Der letzte schöne Tag») als Leni Faupel, Hildegard Schmahl («Die Manns – Ein Jahrhundertroman») als Martha Schneider, Christine Schorn («Willkommen in Kölleda») als Edith Wielande, Jochen Stern («Arschkalt») als Hartmut Göttsche, Ilse Strambowski als Hilde Matysek, Angela Winkler («Die Blechtrommel») als Clara Bayer und Jan Georg Schütte als Veranstalter


Hinter den Kulissen:
Regie & Buch: Jan Georg Schütte, Musik: Gary Marlowe und Daniel Hoffknecht, Bildgestaltung: Carol Burandt von Kameke, Montage: Ulf Albert, Produktion: Riva Filmproduktion

Was, wenn Senioren genug haben vom allein sein? Was, wenn es auch für sie Speed Dating geben würde? Klingt erst mal nach einer schönen Idee, die so vermutlich noch nicht in einen Film produziert wurde. Den ARD-Spielfilm «Altersglühen – Speed Dating für Senioren» alleine deshalb als experimentelle Produktion zu bezeichnen, weil man inhaltlich nicht auf alten Pfaden trampelt, wäre wohl dennoch ein wenig euphemistisch. Das wirklich Besondere ist viel mehr, dass der Film ohne Drehbuch auskommt. 14 Darsteller kommen in einem Raum zusammen, gefilmt von 19 Kameras. Nur der allergröbste Handlungsrahmen ist wirklich vorgegeben, nur wenige Momente zu Beginn und zu Ende der Produktion finden außerhalb der Dating-Location statt.

Die Darsteller – darunter prominente Schauspieler wie Senta Berger oder Mario Adorf – kannten vor der Produktion lediglich rudimentäre Aspekte zur eigenen Figur, allerdings keinerlei Informationen zu ihren Gegenüber. Das Speed Dating wird also tatsächlich wörtlich genommen, die Figurenentwicklung steht im Vordergrund. Dabei gibt es naheliegenderweise keinen zweiten Take: Sieben Minuten hat jede der sieben Damen mit jedem der sechs Männer, jede der Frauen muss also einmal pausieren. Nur gelegentlich greift Regisseur und Darsteller Jan Georg Schütte in seiner Rolle als Veranstalter ein. Häufig nur dann, wenn seine Film-Mutter Probleme hat, denn auch sie nimmt am Speed Dating teil.

Durchhalten lohnt nicht


Grundvoraussetzung für ein solches Projekt sind selbstverständlich starke Schauspielleistungen und ein großes Improvisationstalent. Wie zu erwarten sind die meisten der Akteure auch tatsächlich sehr authentisch. Darauf aber verlässt sich die Produktion viel zu sehr: Die ersten zwei Stationen mögen noch durchweg unterhaltsam sein, spätestens ab der dritten Position treten aber immer wieder Ermüdungseffekte ein. Zu wenig wird vom Schema abgewichen, zu wenige wirklich interessante Momente entstehen. Was die Darstellerleistung anbelangt legt Mario Adorf immer wieder Pausen ein, mit anderen Protagonisten werden die Zuseher gar nicht erst warm. Senta Berger hingegen weiß zu überzeugen, obschon man sich in einigen Momenten fragt, ob sie nicht doch sich selbst spielt. Insgesamt gibt es zwar immer wieder Augenblicke, die Spaß machen, dennoch hat der Zuschauer zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, er könnte etwas Handlungstragendes verpassen. Ein wenig geholfen hätte womöglich ein jüngerer, moderner Score, der die Vitalität der Alten unterstreicht. Auch das aber war dem Film nicht vergönnt.

Wer es trotz all dem bis zum Ende durchhält, wird nicht belohnt. Denn wer glaubt, er bekomme nun präsentiert, was aus den Dates geworden ist, der wird enttäuscht. Das Ende ist so offen, dass in vielen Fällen nicht einmal sinnige Mutmaßungen angestellt werden können, wer denn nun wen interessant findet. An dieser Stelle hätte es wohl geholfen, so man ein wenig mehr Handlungsrahmen zur Verfügung gestellt hätte.

Zusätzlich gibt es einige wenige seltsame Zufälle, in denen zumindest kleinere Zweifel aufkommen, ob nicht doch klarere Handlungsanweisungen gegeben wurden. So wird in einer Runde gleich an mehreren Tischen die Frage gestellt, ob sich die Teilnehmer gegenseitig attraktiv fänden. Kritikwürdig ist ferner eine Szene, in der sich mehr als kritisch gegenüber Ausländern geäußert wird. Ein solch latenter Rassismus mag in vielen Köpfen, gerade in älteren Generationen, de facto verankert sein. Gerade deshalb aber wäre eine ordnungsgemäße Einordnung der Aussagen umso drängender gewesen. Diese geschieht vor allem in Ermangelung des Drehbuchs nicht ausreichend.

Lobenswerte Offenheit


Positiv hervorzuheben ist die thematische Offenheit der Teilnehmer: Um Sex und Betrug geht es ebenso, wie um Krankheiten und den Tod sowie um Verletzlichkeit. Ausgespart wird an dieser Stelle kaum etwas. Warum es allerdings zu Beginn nötig ist, die Personen in der Breite einzuführen, erscheint mindestens fraglich. In Einzelfällen – beispielsweise bei zwei alten Kumpels, die gemeinsam zum Speed Dating aufschlagen – mag das Sinn machen. Im Großen und Ganzen aber lernt der Zuschauer ohnehin alle Figuren mit den anderen Senioren zusammen kennen. Hier hätte man die Minuten zu Beginn wohl besser ans Ende verlagert, um Resultat statt Einleitung zu sehen. Im Kern steht so eine Erkenntnis: Drehbücher haben ihren Grund – zumindest eine Kerngeschichte ist schon notwendig.

Neben dem eigentlichen Film haben die zuständigen Sender WDR und NDR eine Serie produzieren lassen. In einer alternativen Schnittfassung wird immer jeweils ein einzelner Charakter durch sein vollständiges Speed Dating geführt. Hier soll noch einmal konzentrierter auf einzelne Geschichten und Figuren geschaut werden. Ob das allerdings nötig ist, erscheint mehr als zweifelhaft. Zunächst sechs Folgen sind angesetzt, mehr wäre allerdings angesichts des vorhandenen Materials möglich. Auch bei der Serie bleibt jedoch ein Resultat auf der Strecke. Der Eindruck hier: Die Szenen werden wiedergekäut und um wenige neue und nicht besonders relevante Aspekte angereichert.

Warum nun der Film «Altersglühen» nicht gelingt? Weil die Erzählung genau so relevant ist, wie eine ordinäre Alltagsgeschichte. Nur ohne Abschluss. Die Idee an sich mag schön sein, das Experiment eines Spielfilms ohne Drehbuch spannend. Nur was hinten raus kommt stimmt nicht. Es wäre so, als würde man die Geschichte eines mäßig unterhaltsamen Partyabends erzählen – ohne die Auflösung des nächsten Tages zu zeigen. So bleibt ein offenes Ende, das auf diese Weise einfach nicht funktioniert, weil man in den meisten Fällen nicht einmal erahnen kann, ob aus den Teilnehmern etwas geworden ist. Warum es zudem die alternative Schnittfassung und Ausstrahlung in serieller Form geben muss, bleibt ein weiteres Rätsel. Der Mut ist ohne Frage zu loben, dennoch muss am Ende konstatiert werden: Experiment missglückt.

«Altersglühen – Speed Dating für Senioren» ist am Mittwoch, 12.November um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen. Die dazugehörige Serie läuft ab Donnerstag, 13.November in WDR und NDR.

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