Die Kritiker

«Tatort – Die Feigheit des Löwen»

von

Der neue «Tatort» mit Wotan Wilke Möhring behandelt ambitioniert, und auch etwas bemüht, den Syrien-Konflikt.

Cast und Crew

  • Regie: Marvin Kren
  • Drehbuch: Friedrich Ani
  • Darsteller: Wotan Wilke Möhring (als Thorsten Falke), Petra Schmidt-Schaller (als Katharina Lorenz), Sebastian Schipper (als Jan Katz), Karoline Eichhorn (als Lydia), Husam Chadat (als Nagib Massoud), Navid Negahban (als Harun Massoud), und weitere
  • Kamera: Armin Franzen
  • Musik: Johannes Lehninger, Peter Schütz
  • Schnitt: Lars Jordan
  • Redaktion: Donald Kraemer
Innerhalb kurzer Zeit gelang Wotan Wilke Möhring etwas, das sich Til Schweiger mit seinen aufwändigen Krimi-Einsätzen wohl erhofft hat: Der auch im Kino überaus aktive Mime mauserte sich zu einem der liebsten Akteuren der «Tatort»-Fangemeinde. Und es ist leicht, zu erkennen, wo Möhrings Sympathiepunkte herrühren. Der Schauspieler bringt nicht nur eine große Ausstrahlung mit, sondern versteht es auch, seiner Rolle des Hauptkommissars Thorsten Falke sowohl mit einer kumpelhaften Einfachheit als auch mit einer dramatischen Intensität auszustatten. Möhring kann mühelos zwischen den Stimmungen wechseln, so auch im neusten «Tatort», welcher unter dem Titel „Die Feigheit des Löwen“ ins Fernsehen kommt:

Mitgenommen von den politischen Ereignissen in Syrien und den Schicksalsschlägen, den die Menschen durchmachen wegen derer sie ihren neusten Fall aufgenommen haben, zieht es Falke und seine Kollegin Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) in eine Kneipe. Wo andere «Tatort»-Duos nun bei einer Flasche Bier Trübsal blasen würden, ehe sie die üblichen Mitleidsfloskeln von sich geben, zermürbt sich dieses Team den Kopf über lexikalische Bedeutungen. Da beide gerade bildlich auf dem Schlauch stehen, schmeißen sie zur Ablenkung die Jukebox an und Falke zeigt seiner Kollegin einen Longdrink aus seiner Heimat: Billstedter Milch. Zack: Ein ausgelassenes, wenngleich mit Verlorenheit in den Augen der Kommissare vonstattengehendes, Saufgelage beginnt.

Die Falke-Folgen des NDR-Krimis stechen zudem aus der Masse an «Tatort»-Teams hervor, weil ihr Protagonist bei der Bundespolizei arbeitet und daher örtlich ungebunden ist. Damit kommt zwar der Reiz der Abwechslung einher, gleichermaßen allerdings auch die Gefahr, dass Möhrings Fälle alleinstehend, voneinander abgekapselt wirken. Der Trend geht beim «Tatort» aber zum dezenten roten Faden, so dass Abhilfe geschafft werden muss. Und dies gelingt den Verantwortlichen in diesem Fall ganz unaufdringlich. Denn besagter Saufabend zwischen Falke und Lorenz lässt sie professionelle Grenzen überschreiten. Zumindest vorübergehend, und wie weit genau sie gehen, bleibt ambivalent. Da sich die lange Nacht der Kommissare natürlich entwickelt und im Laufe der Folge nicht weiter behandelt wird, öffnet sich so die Möglichkeit eines wiederkehrenden Subplots. Chapeau!

Generell gesprochen sieht es also weiterhin gut aus für den nordischen «Tatort» mit dem «Das Leben ist nichts für Feiglinge»-Akteur. Der zentrale Fall in diesem neunzigminütigen Kriminalfilm unterdessen ist zwar überaus ambitioniert, wird seinen eigenen Ansprüchen wohlgemerkt nicht ganz gerecht. Autor Friedrich Ani holt den aktuellen Syrien-Konflikt ins kühle Oldenburg und konfrontiert Falke mit mehreren politisch angehauchten Situationen: Auf der Suche nach einem deutsch-syrischen Passfälscher stoßen Falke und Lorenz auf einen seiner Kunden. Dieser ist als Schleuser für Flüchtlinge tätig und wird bei einer Polizeikontrolle erschossen. In seinem Kofferraum befinden sich ein totes Flüchtlingsmädchen, ihr Bruder und ihre Mutter. Beide sind traumatisiert, können kaum mehr sprechen. Über all dem schwebt die Ermordung eines arabisch-stämmigen Immigranten, der offenbar zu Tode gefoltert wurde …

Friedrich Ani ist in diesem «Tatort» spürbar mehr daran gelegen, ein Kaleidoskop der deutsch-syrischen Beziehung und der weitreichenden Folgen des im nahen Osten brodelnden Konflikts zu erstellen. Knapp das erste Drittel des Krimis über bleiben die eigentlichen Verbindungen hinter den einzelnen inhaltlichen Baustellen daher unklar. Als einzige Klammer in dieser mäandernd erzählten Geschichte sind die eingestreuten Nachrichtenberichte, welche die Figuren teils interessiert, teils ignorant zu Ohren bekommen.

Eine solche Vorgehensweise ist auch in diesen experimentelleren «Tatort»-Zeiten ungewohnt und beachtenswert. Aber die Vielfalt an Unterthemen ist zu breit, um den angerissenen Punkten bei aller Wortkargheit, die hier geboten ist, wirklich gerecht zu werden. Inszenatorisch hätten die klaffenden Lücken vielleicht geschlossen werden können, und atmosphärische, viel sagende Bilder könnten das Unausgesprochene visuell darstellen. Dafür ist Regisseur Marvin Kren jedoch das letzte Drittel zu konventionell geraten: Erzähltempo, Bildästhetik und Gestus der Figuren machen das Finale zu einem üblichen «Tatort»-Abschluss, zur mit Hochdruck beendeten Tätersuche. Somit kann dieser Fall, auch wenn dies Meckern auf hohem Niveau darstellt, seine eingangs getätigten, leicht verkopften Versprechen nicht einhalten.

Positiv fällt aber die Musik auf, die auf die beim «Tatort» gern während multikulturellen Fällen verwendeten, klischeehaften Ethnoklänge verzichtet und stattdessen eine schneidend dicke Atmosphäre aufbaut. Und dann ist da natürlich noch der Besetzungscoup, «Homeland»-Darsteller Navid Negahban für eine kleine, aber sehr feine Rolle gewonnen zu haben. All zu übel kann man diesem stimmungsvollem, toll gespielten Kriminaldrama seine vereinzelten Schwächen einfach nicht nehmen. Dafür ist der Wille, etwas Gutes zu liefern, zu stringent.

«Tatort – Die Feigheit des Löwen» ist am 30. November 2014 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.

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