Die Kritiker

Ritterkämpfe und Arschlecken

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1773 holte Goethe den sogenannten Schwäbischen Gruß in die deutsche Dramatik. Etwa 240 Jahre später bringt RTL «Götz von Berlichingen» in freier Adaption auf den Schirm. Selbstredend inklusive der vulgären Aufforderung, dem (wenig ritterlichen) Helden mit der Zunge das Gesäß zu befeuchten.

Cast und Crew

  • Regie: Carlo Rola
  • Darsteller: Henning Baum (als Götz von Berlichingen), Dennenesch Zoudé (als Saleema), Andreas Guenther (als Lerse), Natalia Wörner (als Adelheid von Walldorf), Johann von Bülow (als Adelbert von Weislingen), Paul Faßnacht (als Franz von Sickingen), Sascha Geršak (als Arno), Lars Rudolph (als Eugen), Ben Artmann (als Marten), und viele mehr
  • Autor: Christian Schnalke
  • Kamera: Frank Küpper
  • Schnitt: Friederike von Normann
  • Produktionsfirma: UFA FICTION in Ko-Produktion mit MIA Film, im Auftrag von RTL
  • Produzent: Sascha Schwingel
  • Ko-Produzent: Michal Pokorny
  • Redaktion RTL: Sascha Mürl
Bürgerinnen und Bürger. Ehe wir, zumindest verbal, die schändlichen Schergen von RTL in die Enge treiben, lasset uns deren rares, wenngleich ehrenwertes Streben beäugen. Denn obschon der diesjährige RTL-Eventfilm gewaltige Schwächen aufweist, muss selbst der kritischste Fernsehfreund eins neidlos anerkennen: Die Kölner versuchen es wenigstens noch. Im Privatfernsehen sind neue eigenproduzierte Filme längst Mangelware, und überhaupt hat die deutsche Filmlandschaft kaum Werke abseits der unvermeidlichen Genres zu bieten. Dramen, Romanzen, Krimis und zumeist flache Komödien gibt es in rauen Mengen, während Science-Fiction, Horror, Historienepen und Action mit der Lupe gesucht werden müssen. Dass RTL fast schon regelmäßig exakt diese filmische Gattungen bedient, hat ein Grundmaß an Achtung verdient. Selbst wenn der 2013 ausgestrahlte Katastrophenfilm «Helden» an Peinlichkeit kaum zu überbieten ist und das diesjährige Ritterspektakel «Götz von Berlichingen» irgendwo zwischen „ausreichend“ und „mangelhaft“ rangiert.

Dabei steht eine beeindruckende Performance im Mittelpunkt dieses netto 110 Minuten langen Schlachtengemäldes. «Der letzte Bulle»-Hauptdarsteller Henning Baum dürfte mit seiner raubeinigen Ausstrahlung und seinem beneidenswerten Händchen dafür, Figuren eine altmodisch-galante Ritterlichkeit zu verleihen, selbst in einer originalgetreuen «Götz von Berlichingen»-Adaption bestechen. Aber noch mehr passt er bei einer wilden, schroffen, knalligen Verfilmung des einflussreichen Goethe-Stücks wie die Faust aufs Auge: Baum überzeugt in den Actionszenen, verleiht selbst den lahmsten Onelinern Witz und verhindert mit seiner darstellerischen Ambition, dass sämtliche der durchweg gestelzt-klischeehaft geratenen Dramaszenen entgleisen. Insofern ist RTLs «Götz von Berlichingen», und das ist hier so positiv wie nur möglich gemeint, die große Henning-Baum-Show.

Ein weiteres Plus, das dieses von Carlo Rola inszenierte Möchtegernepos gegenüber jüngeren RTL-Eventfilmen aufweist: Dieses Mal bleibt das Publikum von schäbigen, inflationär gebrauchten Computereffekten verschont. Dafür geizt die Geschichte des zum Raubritter abgestiegenen Franken Götz von Berlichingen nicht mit Kunstblut. Das fließt zwar in absurden Maßen, trotzdem ist das Produktionsniveau des Kleinkriegs zwischen Götz und dem vor Ehrgeiz zerfressenen Adelbert von Weislingen (seines Zeichens listiger Günstling des manischen Bischofs von Bamberg) sowie der mörderischen Adelheid von Walldorf achtbar. Während die Outfits der Damen wohl eher feuchten Männerträumen entflohen sind, sorgen die abgenutzten, stattlichen Rüstungen und Gewänder der Herren für Staunen, ebenso wie die prächtig-dreckigen Schauplätze und detailliert ausgestatteten, atmosphärischen Sets.

Umso verwunderlicher, dass Rola und sein Kameramann Frank Küpper diesen handgemachten, rauen Look nicht unterstreichen, und das Geschehen in erfüllender Häufigkeit aus der Totalen präsentieren. In «Götz von Berlichingen» gestatten sie den Zuschauern nur in wenigen Fällen, einen umfassenden Blick auf die Schauplätze und das dort stattfindende Getümmel zu werfen, wodurch der gebotene Bombast untergeht und eine nicht zur Story passende Hektik entsteht. Außerdem werden die immer gleich in Szene gesetzten Scharmützel und Foltersequenzen somit rasch eintönig – und das Drehbuch ist eh schon nicht besonders abwechslungsreich: Blanke, vor der Kamera herum wackelnde Busen, grausige Enthauptungen, zünftige Orgien, wildes Säbelrasseln. Und nochmal von vorne. Die eigentliche Story, wie Götz von Berlichingen aus einer Reihe von Niederlagen neue Kraft schöpft, gerät dabei so sehr in den Hintergrund, dass diese Produktion von UFA Fiction und MIA Film fast schon wie eine austauschbare Aneinanderreihung aufwändiger, oberflächlich kurzweiliger Szenen anmutet.

Dass all der Sex und die ausufernde Gewalt kaum etwas mit dem sich edelmütig geziemenden Götz von Berlichingen aus Goethes Bühnenstück gemein hat, in dem betont von züchtigen Küssen die Rede ist, stört dabei nicht einmal. Zumindest nicht prinzipiell. Neuinterpretationen sind stets erwünscht, sofern sie Hand und Fuß haben. Dieses einst als ansatzweise werkgetreue Adaption für das ZDF geplante Projekt, welches beim Wechsel zum Kölner Privatsender allerhand Änderungen durchmachte, setzt dagegen einen auf die HBO-Methode drauf. Schon der US-Bezahlsender schmeißt förmlich mit weiblichen Rundungen um sich, schlicht weil er es kann. Dieser Ritterfilm jedoch untergräbt sich mit seiner Zügellosigkeit fast schon selbst: Obwohl auf Storyebene eine klare Grenze zwischen den löblichen Helden und den perversen Schurken gezogen wird, suhlen sich beide Seiten in einem Sumpf aus Sex und unnötiger Härte im Kampf. Nicht etwa, weil es „mutiger“ wirkt und potentiell die Quote erhöht?

Für ein augenzwinkerndes, dickaufgetragenes Trashfest, das sich in seiner politischen Inkorrektheit sonnt, reicht es bei «Götz von Berlichingen» trotzdem nicht. Dafür agieren vor allem die Darsteller der Fieslinge zu unterkühlt – allen voran Natalia Wörner, die mit starrer Miene und einem alles und jeden blendenden Dekolleté durch die Szenerie spaziert. Da weiß man fast wieder die wiederholten Referenzen auf das berühmteste aller Götz-Zitate zu schätzen. Die Debatte zwischen der Titelfigur und ihren Gefährten, ob es „Er soll mich am Arsch lecken“ oder „Er soll mich im Arsch lecken“ lauten sollte, ist zwar deutlich selbstironischer als der Rest des Films und wäre daher eher für eine Persiflage geeignet, jedoch ist dieser Dialogwechsel wenigstens denkwürdig. Ganz anders als das letztjährige Event «Helden», von dem allein seine miese Qualität hängen blieb.

Und daher muss einfach festgehalten werden: RTL ist allen Kritikpunkten an diesem Film zum Trotz auf dem richtigen Weg. Ein Schwert-und-Blut-Spektakel auf Pseudo-HBO-Level ist deutlich sehenswerter als eine kitschige, von Pathos geschwängerte Katastrophengeschichte. Und handgemachter Prunk ist, auch wenn er nicht ideal in Szene gesetzt wird, mehr wert als eine Flut an computergeneriertem Murks. «Götz von Berlichingen» krankt zwar an diversen Ecken und Enden, macht allerdings (teils ungewollt) Spaß. Und wenn das große Filmevent 2015 bei RTL nicht mehr ganz so erzwungen daherkommt, ist die TV-Landschaft wieder ein gutes Stück besser.

«Götz von Berlichingen» ist am 4. Dezember 2014 ab 20.15 Uhr bei RTL zu sehen.

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