Hingeschaut

«GameCraft»: Zocken ohne Meinung

von

Die Premiere der neuen Games-Sendung gerät zwar unbeschadet vonstatten. Aber richtig viel nimmt man beim neuen DMAX-Format nicht mit – im Gegenteil.

Gaming-Magazine im TV

  • «Game One»: seit 2006, ca. 20 Min., alle 2 Wochen bei Comedy Central, VIVA u.a.
  • «Reload»: seit 2012, 30 Min., alle 2 Wochen bei EinsPlus
  • «Vorzocker»: seit 2012, zuletzt bei Animax, derzeit online bei YouTube
  • «GameCraft»: seit 2014, 23 Min. (ohne Werbung), wöchentlich bei DMAX
  • «Nerdstar»: seit 2011, unterschiedliche Länge, bei nrwision
Auch wenn nicht prominent, so hat Gaming im Fernsehen eine bewegte Geschichte hinter sich: Ab dem Jahr 2000 zockten sich einige junge Wilde noch beim Spartenkanal NBC Giga mit «Giga Games» in die Herzen der Zuschauer. Mit Live-Gaming im TV nahm man das vorweg, was in einem anderen Medium – dem Internet – zum Massenphänomen werden würde: Heute sind die sogenannten „Let’s Plays“, bei denen Menschen mehr oder weniger unterhaltsam Spiele zocken und gleichzeitig kommentieren, gefragt auf Onlineportalen wie YouTube. Einige der «Giga Games»-Veteranen sind dort mit einem eigenen Channel mittlerweile auch angekommen, die angrenzenden Produktionsfirmen machen außerdem die TV-Formate «Game One» und «Reload», waren zudem an den «Pixelmachern» von ZDFkultur beteiligt. Kurz: Fast alles, was zum Thema Gaming im Fernsehen zu sehen war, kam aus denselben Händen.

Umso spannender, wenn ein neuer Player die Bühne betritt. Mit «GameCraft» schickte DMAX am späten Montagabend eine halbstündige Show zu Videospielen auf Sendung, die zunächst einiges gemeinsam hat mit den vermeintlichen Vorbildern: Es gibt ein Studio, es gibt eine Doppelmoderation und es gibt Einspieler, in denen sich diese Moderatoren mit Witz einbringen. Die Unterschiede der Formate ergeben sich im restlichen Konzept und in der Ansprache an die Zielgruppe: «Game One» richtet sich an die große informierte Gamer-Community und an die Fans von Simon, Budi und Co., die über Jahre hinweg einen hohen Stellenwert genießen – durch hervorragende Qualität der Beiträge, knackige Moderationen und eine gewisse Portion Anarcho-Humor, den man sich leisten kann, weil man Kult ist. «Reload» auf EinsPlus überzeugt durch seriöse Hintergrundberichte, Themensendungen und Beiträge, die über den Tellerrand hinausschauen. Man ist Sparte und zeigt dies auch. Die Qualität der Sendung ist durchgehend hoch; «Reload» ist der Inbegriff für Videospielekultur im wahrsten Sinne des Wortes.

«GameCraft» richtet sich dagegen offensichtlich an die Masse und wirkt damit deutlich geradliniger als die beiden anderen Formate. In der halbstündigen Sendung werden gleich drei aktuelle Mainstream-Titel vorgestellt, von denen einer („The Evil Within“) bereits seit gut sechs Wochen erhältlich ist und von den Gamern rauf- und runtergespielt wurde – auch im Netz als Let’s Play. Die anderen beiden Titel („The Crew“, „Call of Duty: Advanced Warfare“) sind zumindest aktuell. Alle drei Games werden zwar hinsichtlich Story, Features und Gameplay vorgestellt, dies aber völlig oberflächlich. Was der Beitrag dann sein soll, erschließt sich nicht ganz: Eine Preview? Ein Test? Oder doch eher ein Werbevideo? Kritik lässt «GameCraft» vermissen, ganz anders als beispielsweise «Game One», die sehr meinungsstark agieren. Beim neuen DMAX-Magazin lautet das Fazit zum Horrorspiel „The Evil Within“ dann so: „Wer den Horror liebt, für den ist das Spiel genau das Richtige“. Den Hersteller wird’s freuen – zumal der genannte Titel durchaus Schwächen hat, auf die man interessierte Zuschauer hinweisen könnte.

Es bleibt also die Frage der Relevanz: Warum ein Gaming-Magazin schauen, wenn man deutlich bessere Informationen – und richtige Tests – im Internet zuhauf findet? Zumindest ein paar kurze Hintergrundberichte werten «GameCraft» auf. So wird zu „Call of Duty: Advanced Warfare“ ausführlich auf die im Spiel eingesetzten Exoskelette eingegangen, unterstützende Strukturen zur Mobilität des Kriegers. Man erklärt im Beitrag die Realitätsnähe dieses Skeletts und heutige Einsatzmöglichkeiten. Ebenfalls recht unterhaltsam ist ein Thema zu Noobs beim Zocken, also zu den unbeholfenen Neulingen bei Online-Spielen. Für eine erste Sendung ziemlich gut funktioniert die Chemie zwischen den beiden Moderatoren Maja-Felicitas Bergmann und Ben Schamma. Ein Vergleich mit den «GameOne»-Jungs wäre unfair, aber immerhin wirken die Anmoderationen und Dialoge nicht hölzern. Ein Fremdschäm-Faktor bleibt also aus, wirklich witzig sind die meisten Kommentare aber auch (noch) nicht, wenn sie es zeitweise sein wollen. Oft werden die Moderatoren in die gezeigten Spielszenen reingeschnitten, was teilweise gut funktioniert – beispielsweise, wenn der Moderator bei „The Crew“ aus einem Auto kommentiert. Andererseits wirkt es manchmal unbeholfen und aufgezwungen – wie bei einem Bericht über „Orcs Must Die! Unchained“, in dem Moderatorin Maja permanent am linken Bildschirmrand umherfliegt, ohne erkennbaren Bezug zum Spiel.

Etwas sauer stößt außerdem die Berichterstattung zum Videogame „Bernd das Brot und die Unmöglichen“ auf, für das Tommy Krappweis ins Studio kommt und die Spieleverpackung in die Kamera hält. Jener Tommy Krappweis, der mit seiner Produktionsfirma bumm film gleichzeitig die Sendung «GameCraft» produziert – und somit offensichtlich Werbung in eigener Sache betreibt. Es verwundert daher nicht, wenn am Ende der Premierenfolge der Schriftzug „Unterstützt durch Produktplatzierungen“ eingeblendet wird. Dadurch erhält das DMAX-Format einen faden Beigeschmack. Zumal wirkliche Kritik, Einordnung, Meinung generell wenig Platz hatten bei «GameCraft». Dass man sich dabei offensichtlich eher an Gelegenheitsspielern und Mass Market Games orientiert, ist keine Entschuldigung. Denn dann kann man die dargestellten Infos auch in diversen Trailern und Artikeln im Internet bekommen. «GameCraft» muss sich mehr trauen, muss mehr einordnen, sollte keine wochenalten Games mehr besprechen. Und könnte zumindest ein bisschen nerdiger sein.

Kurz-URL: qmde.de/74841
Finde ich...
super
schade
84 %
16 %
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger ArtikelQuotencheck: «Dracula»nächster ArtikelRitterkämpfe und Arschlecken
Weitere Neuigkeiten

Optionen

Drucken Merken Leserbrief




E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung