First Look

«Marco Polo»: Es waren einmal Blut, Gewalt und Sex...

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Ist es Netflix' nächster Streich? Das vielbeworbene «Marco Polo» ist seit Freitag online, und es überrascht gleich mehrfach. Denn selten kann der Zuschauer so intensiv in eine Serie eintauchen, die eigentlich fast gleichgültig erzählt...

Cast & Crew

  • Erfinder und Drehbuchautor: John Fusco
  • Regisseure: Joachim Rønning, Espen Sandberg, Daniel Minahan
  • Darsteller: Lorenzo Richelmy, Benedict Wong, Zhu Zhu, Tom Wu, Remy Hii, Olivia Cheng, Claudia Kim u.a.
  • Drehorte: Malaysia, Kasachstan, Italien
  • Produktion: The Weinstein Company
Dieses Serienjahr 2014 begann mit einer atmosphärisch extrem starken Serie, und es endet mit einer: Im Januar begeisterten uns die mystisch-öden Weiten in «True Detective», nun nimmt uns Netflix mit auf eine Reise ins mittelalterliche China, in «Marco Polo». 90 Millionen US-Dollar hat sich der Streamingdienst die erste Staffel kosten lassen – und ist in fast jeder Serienminute zu bestaunen: Mächtige Palasträume, pittoreske Harems, verschmutzte Städte und Dörfer, edle Landschaften. «Marco Polo» lässt uns kurz vor Weihnachten in ein brutales Märchen eintauchen, in eine bombastische Szenerie und ein großes Abenteuer. Leider aber in ein allzu konventionelles.

Die Serie beginnt mit der schicksalshaften Wendung um den jungen Marco Polo, der im Jahr 1270 mit seinem Vater und Onkel über die Seidenstraße nach China reist: Die drei Händler werden gefangen genommen und dem mongolischen Herrscher Kublai Khan vorgeführt. Marco Polos Schicksal entscheidet sich, als ihn sein Vater als Sklaven anbietet – im Gegenzug darf der Vater weiter auf der Seidenstraße Handel treiben. Der große Khan geht auf das Geschäft ein, und er findet bald Gefallen am forschen Marco Polo. Dieser wird ausgebildet, in Kampfkünsten und Rhetorik. Bald darf er den Herrscher in strategischen Kriegsentscheidungen beraten.

In «Marco Polo» geht es vor allem um Intrigen, um Beziehungen, um herrschen und beherrscht werden. Vergleiche mit dem Fantasy-Drama «Game of Thrones» sind nicht grundlos, hat die Geschichte im fernen Asien doch eine ähnliche Grundprämisse: Es gibt mehrere Königreiche, und irgendwann wird es darum gehen, die Konstellationen zu ändern. Zu erobern und zu verraten. Es geht schlicht um Macht, und in diesem Sinne erscheint «Marco Polo» zuallererst als politische Serie. Anders als beispielsweise «Game of Thrones» streift das Abenteuer aber bisher nur die dramaturgische Oberfläche. Schnell stellt sich in der Serie heraus, dass Kublais Bruder intrigiert und selbst Herrscher des Königreichs werden will. Nach einer kurzen Unterredung mit seinen Beratern macht sich Kublai auf zu seinem Bruder, stellt ihn kurz zur Rede. Am nächsten Morgen tötet er ihn im Kampf Mann gegen Mann, und untermauert damit seinen Herrschaftsanspruch.

Exemplarisch steht diese Entwicklung in den ersten beiden «Marco Polo»-Episoden für verpasste Chancen: Einen Bruderzwist in aller charakterlicher Tiefe und von beiden Seiten zu beleuchten, die Motive des Bruders auszuloten, die taktischen Konsequenzen eines Krieges im eigenen Königreich zu diskutieren – all dies lässt die Serie vermissen. Es verwundert nicht, dass der Bruderzwist der Überlieferung zufolge mehr als vier Jahre angedauert haben soll. Zugunsten der – zugegebenermaßen beeindruckenden – Action wird all dies aufgegeben. Wenn man aber am Ende der zweiten Folge die zwei Heere der Brüder gegenüberstehen sieht, und die Kamera zunächst die eine Reihe im Profil zeigt und dann in einem bombastischen Schwenk die gegnerischen Truppen auf dem fernen Hügel erahnen lässt, dann wird das Auge für die fehlende Serien-Seele entschädigt. Zumindest teilweise.

Dass «Marco Polo» ursprünglich eine Serie des Senders Starz war, merkt man schnell: Viel Action, visuelle Stärke, aber wenig charakterliche Tiefe zeichnen das Drama aus – es ist damit ähnlich gestrickt wie solche Starz-Formate wie «Spartacus» oder «Black Sails». Konsequent ist es auch, dass die namensgebende Hauptfigur Marco Polo fast schon eine untergeordnete Rolle in den ersten Episoden spielt. Marco ist zwar nicht nur Mittel zum Zweck, aber mit ihm und durch seine Unerfahrenheit lernt auch der Zuschauer erst das mongolische Königreich und den Großkhan kennen. Dramaturgisch bedeutsam wird Marco in den ersten Stunden nur an einer Stelle: Als er Kublai Khan berichtet, dass sein Bruder gegen ihn intrigiert. Davon abgesehen sehen wir Marco, wie er kämpfen und lieben lernt. Es ist die fast traditionelle Rolle eines naiven Abenteurers, der auf neuen Wegen schreitet.

Dies muss nichts Schlechtes bedeuten: In der Kritik wird «Marco Polo» zwar für seine allzu klassische, charakterlich oberflächliche, märchenhaft anmutende – und bisweilen mühsam komplizierte – Geschichte abgestraft. Doch dafür überzeugt sie als politisch angehauchtes Abenteuer, in das man sich völlig fallen lassen kann. Denn durch die hervorragende Atmosphäre ist «Marco Polo» zu bestaunen; die Serie entfaltet so ihre ganz eigene Anziehungskraft. Dies ist nicht nur den starken Bildern zu verdanken, hinter denen Erfinder John Fusco (u.a. «The Forbidden Kingdom») und die Weinstein Company stecken, die sonst Kinofilme produziert. Sondern auch an den durchweg hervorragenden Schauspielern, vor allem dem Newcomer Lorenzo Richelmy als Marco Polo.

Spaß an «Marco Polo» setzt dennoch immer voraus, dass man ein wenig Interesse an den historischen Vorlagen und dem Setting mitbringt. Und dass man sich mit dem Frauenbild in der Serie anfreunden kann: Der in Kritiken festgestellte Sexismus definiert sich in «Marco Polo» über ausufernd-explizite Szenen nackter Konkubinen, die die Männer im Harem befriedigen. Negativer Höhepunkt ist eine Kampfszene, in der eine (völlig nackte) Konkubine drei (völlig bekleidete) Krieger mit ihren Martial-Arts-Künsten ermordet. Die Kritik, dass Frauen ausschließlich als Sexobjekte dienen, stimmt so allerdings nicht: Im Privaten, Häuslichen werden sie durchaus als Entscheidungsträgerinnen charakterisiert. Dennoch bleibt so das Image einer Serie, die vor allem aus Action und Sex besteht.

Ein Kritikerliebling wird «Marco Polo» so sicherlich nicht. Mit seiner eher klassischen Abenteuer-und-Intrigen-Formel aber vielleicht ein Publikumsliebling. Zumindest wenn dieses Publikum ausnahmsweise etwas Abwechslung braucht vom anspruchsvollen Drama...

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