Die Kino-Kritiker

Die Kino-Kritiker. «The Homesman»

von

Tommy Lee Jones und Hilary Swank begeistern in einem betrüblichen, anspruchsvollen Western-Drama.

Hinter den Kulissen

  • Regie: Tommy Lee Jones
  • Produktion: Tommy Lee Jones, Luc Besson, Peter M. Brant, Brian Kennedy
  • Drehbuch: Tommy Lee Jones, Kieran Fitzgerald, Wesley Oliver; basierend auf dem gleichnamigen Werk von Glendon Swarthout
  • Musik: Marco Beltrami
  • Kamera: Rodrigo Prieto
  • Schnitt: Roberto Silvi
Schauspieler, die sich ein zweites Karrierestandbein als Regisseur aufbauen, sind keine wirkliche Besonderheit mehr. Wie sich Schauspielikone Tommy Lee Jones auf dem Regiestuhl schlägt, ist dennoch bemerkenswert. Seine erste Leinwandinszenierung gelang erst im Jahr 2005 in die Kinos, als der Oscar-Preisträger längst das 50. Lebensjahr überschritten hat. Der Neo-Western «Three Burials – Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada» räumte dann auch auf Anhieb zwei Auszeichnungen auf den Filmfestspielen von Cannes ab und erhielt eine Ehrung als bester Film bei den unter Genrekennern respektieren Western Heritage Awards.

Im Gegensatz zu vielen seiner schauspielernden und inszenierenden Kollegen ließ es Tommy Lee Jones nach seinem cineastischen Erstlingswert ruhig angehen. Seit dem in der Gegenwart angesiedelten Genre-Geheimtipp drehte er bloß einen einzigen weiteren Kinofilm. Auch dieses Mal lässt sich das Werk der weiten Welt des Westerns zuordnen. Nachdem «Three Burials» aber die Tropoi starker Wildwestgeschichten ins Heute übertragen hat, spielt «The Homesman» um einiges näher an der Zeit typischer Genrevertreter. Mit dem Handlungszeitpunkt 1854 ist dieses Drama dennoch nicht zur Gänze ein reinrassiger Cowboystreifen. Und eben dieser „Hat etwas von einem Western, aber andererseits auch nicht“-Ansatz ist auch auf der Storyebene sowie stilistisch bemerkbar.

Im Mittelpunkt dieses seelenruhig erzählten Dramas steht die alte Jungfer Mary Bee Cuddy (Hilary Swank). Trotz ihrer schlichten Statur ist die Farmerin nicht zu unterschätzen: In ihrer Gemeinde ist sie wohl die robusteste und widerstandsfähigste Person. Dank ihrer strengen Disziplin, ihrem Durchhaltevermögen und ihrem schwer zu erschütternden Gottesglauben gelingt es ihr seit Jahr und Tag, nahezu allein ihr Land zu bestellen. Nur gelegentlich tauscht sie mit benachbarten Farmern Fähigkeiten aus – sie übernimmt Pflichten, die ihr mehr liegen, ihre männlichen Mitbürger Aufgaben, für die sie eher ein Händchen haben. Avancen macht der zu Widerborstigkeit neigenden Dame, die einst in einer städtischeren Region lebte, dabei jedoch niemand. Obwohl Mary weiß, dass sie sich ohne männliche Unterstützung sorglos durchs Leben schlagen kann, hat dies so seine Auswirkungen auf ihr Befinden: Sie fühlt sich in ihrer Heimat ungewollt, selbst wenn sie das nie offen zugeben würde.

Als aber drei Farmersfrauen aus ihrem näheren Umfeld ihren Verstand verlieren, und die Gemeinde beschließt, diese Problemfälle in die fürsorglichen Arme einer Methodistenvereinigung zu übergeben, zögert Mary nicht. Wenn sie wie ein Mann aus ihrem Grenzdorf betrachtet wird, kann sie auch wie einer handeln. Also übernimmt sie die Aufgabe, die Frauen gen Osten zu fahren. Kurz nach Beginn ihres Trecks begegnet Mary dem Gesetzeslosen Briggs (Tommy Lee Jones), dem sie das Leben rettet. Um daraufhin seine Schuld bei ihr zu begleichen, schwört Briggs, Mary auf ihrer gefährlichen Reise zu begleiten und mit seinem Wissen über die Wildnis für ein glückliches Ende zu sorgen.

Einzelne Bausteine eines waschechten Westerns machen sich in «The Homesman» nicht nur sehr früh bemerkbar, sondern prägen ihn auch bis in die letzten Sequenzen hinein. Wie es sich für gestandene Prärieerzählungen anschickt, lässt sich auch Tommy Lee Jones' 122-Minuten-Film alle ihm gebührende Ruhe, um zu verdeutlichen, wie karg und einsam das Leben in den Weiten des kaum besiedelten Westens war. Auch die malerischen, der Tristesse der endlosen Prärie einen unberührten Zauber entlockenden, Landschaftspanoramen des Kameramanns Rodrigo Prieto stärken diesen Eindruck. Zu guter Letzt zählt zudem der unter die Haut gehende Score Marco Beltramis zu besagten Elementen, die «The Homesman» klar im Western-Genre verankern. Denn obwohl der «Snowpiercer»-Komponist eine originelle, mutige Musikuntermalung erschuf, die er unter anderem dadurch erzielte, indem er Klaviersaiten dem Wind aussetzte, fängt Beltrami auch die Essenz ikonischer Western-Musikthemen ein: Harmonisch und tragend, mit einem schroffen Unterton.

Und dennoch … so, wie sich Marco Beltramis Score durch seine experimentelle Instrumentierung bereits in Einzelheiten vom typischen Western distanziert, hat auch Tommy Lee Jones' Bildsprache eine individuelle Seite. Jones verfolgt einen sehr minimalistischen Ansatz, das prägendste visuelle Element der Außenszenen ist die strikt gerade laufende, das Bild klar zwischen Himmel und Erde trennende Horizontlinie. Die Innenszenen unterdessen sind deprimierend trostlos, sogar ein im späteren Verlauf der Geschichte vorkommendes Hotel ist für das moderne Auge recht spärlich eingerichtet. Da Jones und Prieto zudem auf ausgeklügelte Kamerafahrten verzichten, untermauern sie weiter, dass «The Homesman» den Wilden Westen keineswegs als Welt voller Abenteuer und Tumult skizzieren will. Jones' Vision ist eine statische. Ästhetisch betrachtet ist sie es durch und durch, hinsichtlich der Charaktere hingegen sind durchaus Änderungen ersichtlich. Allerdings bloß gemächliche, winzige – die innerliche „Reise des Helden“ kommt in diesem kraftvollen Drama nicht zum Zug.

Umso intensiver, filigraner gerät der Blick auf das Innenleben der Protagonisten. Das Drehbuch der Autoren Jones, Kieran Fitzgerald und Wesley Oliver lässt die üblichen Extreme links liegen. Weder gilt für Mary und Briggs „Gleich und gleich gesellt sich gern“, noch „Gegensätze ziehen sich an“. Die Wahrheit liegt hingegen, wie durch die prägnanten Dialogzeilen und das markante Spiel der Akteure mit jeder Szene mehr und mehr spürbar wird, in der Mitte. Swanks robuste, gleichwohl nach einem Sinn für ihr Dasein suchende Mary hat genauso wie Briggs ihre Stärken und Schwächen. Beiden Figuren wohnt eine verletzliche Seite inne, trotzdem sind sie weit davon entfernt, ein vorbildliches Team zu ergeben. Egal, wie sehr sich Briggs nach seinem weinerlichen ersten Eindruck, den er auf Mary und den Zuschauer macht, in der widrigen Prärie als erfahrenes Raubein beweist – er bleibt arm an Ehrgeiz und Weitsicht. Die problematische Chemie zwischen den Figuren resultiert nicht aber in träge Filmmomente: Gerade durch die wenig persistente Harmonie zwischen Briggs und Mary können Swank und Jones mit einem unaufdringlichen, vielseitigen Minenspiel magnetisieren.

Dass bei aller Langsamkeit «The Homesman» nur sehr wenige Durchhänger plagen, liegt aber nicht nur an den facettenreichen Hauptfiguren. Sondern auch daran, dass Jones diese Geschichte nutzt, um das Frauenbild des Westernfilms zu korrigieren. Denn die Rolle der Frau im Wild-West-Kino ist bisher fast ausnahmslos paradox: Einerseits haben es Frauen in typischen Westernfilmen viel besser als ihre historischen Vorbilder. Sie sind zwar häufig die Opfer hämisch lachender Schurken, schlimmeres als gefesselt zu werden, widerfährt ihnen jedoch selten. Die Wirklichkeit war um ein Vielfaches deprimierender – was «The Homesman» mit den drei armen Seelen aufzeigt, die Mary und Briggs durchs Land fahren. Sie sind aus gutem Grund verrückt geworden, doch da im 19. Jahrhundert Depressionen und andere psychische Krankheiten genau so viel Beachtung erhielten wie Frauenrechte (nämlich gar keine), verkümmern sie zu bemitleidenswerten Gestalten. Andererseits korrigiert «The Homesman» ein großes cineastisches Unrecht und bietet mit Mary endlich eine starke, komplexe Frau als Hauptfigur eines Westernfilms, ohne die historische Plausibilität über den Haufen zu werfen.

Der Schlussakt krönt diese Romanadaption letztlich mit einem bewussten ästhetischen Bruch, ehe die finalen Minuten die zentrale Aussage des Films intelligent und unangepasst zuspitzen. Somit ist «The Homesman» verflixt nah dran, ein Meisterwerk darzustellen. Dazu tragen auch die raren, spröden Humoreinsprengsel bei. Nicht aber die Nebendarsteller, die zwar keineswegs negativ auffallen, abgesehen von Meryl Streep aber eher vom Skript profitieren, als dass sie das Geschriebene noch perfektionieren. Dies mag zwar Haarspalterei sein, aber so läuft es im Westen nun einmal. Hier werden keine Gefangene gemacht. Vielleicht aber schleift ein Sandsturm die winzigen, verschwindend geringen Schwächen von «The Homesman» über die Jahre glatt, so dass seine Stärken bewusster in Erinnerung bleiben? Mit der Zeit werden wir es womöglich lernen …

«The Homesman» ist ab dem 18. Dezember 2014 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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