Comedy kann auch Qualität
Nein, ein neuer Drama-Hit ist nicht in Sicht – dies ist eine Erkenntnis aus dem Serienjahr 2014. Zwar haben «True Detective» und «Fargo» (Foto) die Zuschauer in ihren Bann gezogen, dies aber mit abgeschlossenen Geschichten, als Miniserien. Einen Hype haben sie ohnehin nicht ausgelöst, zumindest nicht in Deutschland. Aber es scheint auch, als würden die Qualitätssender vorsichtig mit großen neuen Dramen – sind die besten Geschichten vielleicht erzählt, gibt es nichts mehr zu toppen? Unbestreitbar wird mehr auf das Comedy-Genre gesetzt als vorher, und 2015 wird daran voraussichtlich wenig ändern. Allein HBO hat schon jetzt mehr als doppelt so viele Comedys als Dramen, und im kommenden Jahr wird man fast ausschließlich neue Comedys starten. Von HBO stammt auch der Vorreiter des neuen Trends: «Silicon Valley» überzeugte in diesem Jahr als die bessere, authentischere – und damit witzigere – Version von «The Big Bang Theory», oder allgemeiner: als die großartige Darstellung des Nerdtums. Ganz abgesehen von «Orange is the New Black» setzte 2014 auch die neue Staffel von «Louie» Maßstäbe – eine Serie, die ohnehin schon das Genre auf den Kopf gestellt hat. Die neuen Folgen machten erneut alles anders und bestätigten das, was viele Senderköpfe denken: In der Comedy steckt ungemeines Potenzial; das Genre ist nicht ausgereizt und überrascht mit Innovationen. 2014 war lustig, 2015 wird es vielleicht noch mehr.
Undercover – und wir schauen hin
Man kann RTL und Günter Wallraff nicht genug dazu beglückwünschen, was sie in diesem Jahr mit der Burger-King-Affäre erreicht haben. In der Sendung «Team Wallraff» deckten Reporter auf, was in den Burger-King-Filialen einer Holdinggesellschaft schiefläuft. Millionen Kunden schauten hin, die Umsätze brachen ein – und zuletzt entzog Burger King der Holding sogar die Lizenz; die Geschäfte mussten zeitweise schließen. Es war ein Fall, über den Deutschland sprach. Wie schwer es sein kann, mediale Aufmerksamkeit für prekäre Arbeitssituationen und unhaltbare Zustände zu schaffen, zeigen die anderen beiden Fälle (Pflegeheime / Security-Dienste) von Wallraff in diesem Jahr: Sie interessierten wenig, obwohl beide Folgen vielleicht noch schwerwiegendere Probleme unserer Gesellschaft aufzeigten als die Hygienemängel bei Burger King.
Social Media scheitert im TV
Auch wenn mittlerweile jede noch so namhafte Sendung ihre Hashtags und Facebook-Accounts hat, um mit den Zuschauern zu diskutieren, so bleibt doch weiterhin Ernüchterung: Eine erfolgreiche Verzahnung interaktiver Elemente mit TV-Shows ist nicht geglückt. Prominenteste Beispiele des Scheiterns waren in diesem Jahr die Community-Castingshows «Keep Your Light Shining» und «Rising Star», die beide an schlechten Einschaltquoten verzweifelten. Bei der WM 2014 verzichteten ARD und ZDF auf interaktive Elemente in der Hauptberichterstattung, in den Jahren zuvor hatte man damit noch intensiv experimentiert. So wirklich vermisste aber auch niemand Twitter und Co., wenn der Ball mal nicht rollte. Schon fast vergessen: die «Millionärswahl» Anfang 2014, die nach kurzer Zeit aus dem Programm flog. Und schließlich musste Ende des Jahres das deutsche Joiz Insolvenz anmelden, das selbsternannte „Social TV“, in dem Zuschauermeinungen Teil des Kernkonzepts bildeten. Vielleicht kann echtes, erfolgreiches Social TV wirklich nur direkt im Netz stattfinden: mit eigenen Shows und Sendungen, die anders funktionieren als das allseits bekannte Fernsehen.
Die 90er sind wieder da
Es war ein Popkultur-Trend dieses Jahres: die Zelebrierung der 90er, ob in Musik, Mode oder Fernsehen. Selbst Mainstream-Sender setzten voll auf den Trend, RTL startete Mitte des Jahres die Zeitreise-Show «I like the 90s» mit Jan Köppen. Und mit Erfolg, zumindest in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen: Hier kam das Format auf fast 16 Prozent, auf deutlich mehr als der Senderschnitt also. Ein paar Wochen später eröffnete arte seinen Rückblick-Reigen mit dem „Summer of the 90s“, einer hervorragenden Sendereihe über die Trends, Macher, Stars, Konzerte, Ereignisse und Tragödien des schrillen Jahrzehnts. Es waren legendäre Bewegtbilder in hervorragenden Dokumentationen. Und warum kommen die 90er genau jetzt wieder in Mode? Es wohl einfach die richtige Zeit: Vor ungefähr zehn Jahren waren die 80er überall angesagt, nun sind die Kinder der 90er offenbar so erwachsen, dass sie zurückblicken wollen auf ihre Jugendjahre. Celebration!
Der Durchbruch der non-linearen Unterhaltung
Gehen wir das Thema ganz trocken-theoretisch an: Innovationsforscher Everett Rogers hat Konsumenten einst in fünf Gruppen eingeteilt, je nachdem, wie schnell sie neue technische Geräte annehmen. Der berühmte Begriff „early adopter“ stammt von ihm. Ihren Durchbruch schaffen Innovationen erst, wenn sie vom Mainstream angenommen werden, in seiner Sprache: von der Majorität der Konsumenten und nicht nur von den Technikbegeisterten. Wenn mehr als 15 Prozent der Konsumenten eine Innovation annehmen, ist diese im Mainstream (oder nach Rogers: der „early majority“) angelangt.
Genau diese Gruppe von Konsumenten schaut mittlerweile non-linear Fernsehen, das belegen viele Studien. Im Juli bestätigte eine repräsentative Befragung unter deutschen Internetnutzern, dass mittlerweile 20 Prozent Video-on-Demand-Dienste nutzen – also klassisch non-lineare Unterhaltung. Dieser Wert dürfte mit dem neuen Wettbewerber Netflix und dem wettbewerbsintensiven Weihnachtsgeschäft noch deutlich zugenommen haben. Vor allem aber nutzen die Menschen kostenlose Dienste wie YouTube. Wichtiger Akzeptanztreiber des non-linearen Fernsehens ist ein Smart TV, also ein internetfähiges TV-Gerät: Besitzen Konsumenten ein solches, liegt auch ihre Video-on-Demand-Nutzung sehr hoch, bei ungefähr 50 Prozent. Zuschauer wollen also durchaus die Vorteile der Unterhaltung per Knopfdruck – aber immer noch am liebsten auf der heimischen Fernsehcouch.
Die Fußball-WM als kollektives Social-Media-Erlebnis
Vor allem deswegen wurde die WM zum Netzwerk-Erlebnis, weil die Protagonisten selbst – die Fußball-Stars – zur netzaffinen Zielgruppe gehören und eigene Inhalte generieren. Einfacher ausgedrückt: Wir alle erinnern uns an die Podolskis, Özils und Khediras, die die Welt mit ihren Instagram-Schnappschüssen oder Facebook-Videos erfreuten. Es war das erste große Sportereignis, bei dem die Stars auch abseits des Platzes für Stimmung sorgten, zusammen mit ihren Millionen Fans in den sozialen Netzwerken. Bezeichnend: Das erfolgreichste Foto der WM war ein Selfie von Brasiliens Fußballstar Neymar am 21. Juni, das über 2,5 Millionen Mal geteilt wurde. Während der WM gewann allein Neymar über 15 Millionen Facebook-Fans hinzu. Laut des Netzwerks beteiligten sich mehr als 350 Millionen Menschen während der WM-Zeit an Diskussionen über das Turnier – dies ist mehr als jeder zehnte Internetnutzer weltweit und mehr als jeder vierte Facebook-Nutzer. Auch bei Twitter brach das Event alle Rekorde, mit 672 Millionen Tweets zum Hashtag #WorldCup. Auch hier war Brasiliens Neymar meistgenannter Spieler. Es war eine zweite Weltmeisterschaft der Zahlen, die parallel zu den echten Spielen im Internet stattfand.
Castingshow-Dinosaurier stabilisieren sich
Auch dies ist eine interessante Geschichte des abgelaufenen Jahres: Noch ist die Castingshow nicht tot, ganz im Gegenteil. Die verbliebenen etablierten Formate erfreuen sich weiterhin einer starken Einschaltquote und eines sehr treuen Stammpublikums. Die elfte Staffel von «Deutschland sucht den Superstar» gewann während der Casting- und Recall-Phase sogar Zuschauer hinzu, steigerte ihren Marktanteil um knapp zwei Punkte auf 23,6 Prozent – ein hervorragender Wert angesichts der aktuellen RTL-Durchschnittswerte. Die Live-Phase verlor dagegen rund dreieinhalb Prozentpunkte; unterm Strich bleibt für «DSDS» ein ähnliches Ergebnis wie 2013. Nach Jahren kontinuierlicher Zuschauerverluste stabilisiert sich die Show also. Ein gleiches Bild ergibt sich bei «The Voice of Germany», dem Castingshow-Zugpferd von Sat.1 und ProSieben: Während Staffel eins noch über 24 Prozent Marktanteil bei den werberelevanten Zuschauern holte, sanken die Quoten in den folgenden beiden Jahren auf 20,7 Prozent. 2014 nun die Bodenbildung: Auf 20,3 Prozent kam das Format diesmal, minimal weniger als im Jahr zuvor. Die absolute Reichweite veränderte sich nur marginal. Der Abwärtstrend bei den etablierten Castingshows scheint also gestoppt – anders übrigens als bei den neueren Vertretern, allen voran «Got to Dance»: Nach einer erfolgreichen ersten Staffel kam das Tanzformat 2014 nur noch auf Werte knapp über dem Senderschnitt.
YouTube wird Mainstream
Längst ist YouTube nicht mehr Abspielstation für alte Fernsehsendungen, Katzenvideos, Tutorials oder Musikclips. Das Videoportal hat sein eigenes Starsystem mit seinen eigenen Regeln etabliert. YouTube macht Meinung, kreiert Trends in einer jungen Zielgruppe, die sich zu großen Teilen vom Fernsehen als Leitmedium verabschiedet hat. Die Abozahlen der erfolgreichen YouTuber steigen auch 2014 weiter kontinuierlich, ohne erkennbares Ende. Der erfolgreichste (LetsPlayer Gronkh) zählt fast 3,4 Millionen Abonnenten – mehr als vier Prozent der deutschen Bevölkerung. Die alljährliche Branchenveranstaltung VideoDays fand 2014 erstmals zweitägig statt, im nächsten Jahr expandiert man nach Berlin. Selbst die 1Live-Krone war in der Hand der YouTuber, außerdem bringen viele von ihnen erfolgreiche Zweitprodukte heraus: Musikalben, Bücher, Merchandise.
Und oft kreiert YouTube Stars, die Gesprächsthema werden wie früher «Wetten, dass..?»-Shows: Julia Engelmann und Giulia Enders wurden beide durch das Videoportal teilzeit-berühmt. Wie relevant YouTube geworden ist, zeigen auch die Reaktionen der Bevölkerung, die das System nicht kennt: Wer sind diese YouTuber eigentlich und wie funktioniert das Portal, fragte Holger Klein kürzlich in einer bemerkenswert starken Show bei Radio Fritz. Die deutsche WIRED widmete den YouTube-Stars ein Titelthema, und selbst die «Tagesthemen» machen mittlerweile mit: Als Simon Unge, einer der erfolgreichsten deutschen YouTuber, kürzlich seinen Austritt aus dem Netzwerk Mediakraft verkündete (#freiheit), war dies unter anderem den «Tagesthemen» einen ausführlichen Beitrag wert. Vor einem Jahr wäre so etwas noch undenkbar gewesen – vielleicht erkennt man daran die gestiegene Relevanz von YouTube am besten.
Ice Bucket Challenge
Es war das vielleicht skurrilste Medienereignis des Jahres: die Ice Bucket Challenge im Sommer. Zahllose Prominente machten mit und ergossen sich im eiskalten Nass, um danach weitere Berühmtheiten zum Mitmachen zu nominieren. Eigentlich sollte die skurrile Aktion auf die Nervenkrankheit ALS aufmerksam machen, später hatte man oft nur den Eindruck, die Promis nutzen das Event als Selbstzweck. Immerhin reichte das, um Menschen zum Spenden zu bewegen: Allein in einem Monat erhielt die ALS Association rund 100 Millionen US-Dollar mehr an Spenden als im Vorjahreszeitraum. Und was bleibt? Die Erkenntnis, wie mächtig soziale Netzwerke virale Events erzeugen, über die die ganze Welt sprechen wird.
Der «Tatort» ist Kult
Was «Wetten, dass..?» zuletzt nicht mehr schaffte, erreicht der «Tatort» fast wie selbstverständlich: viele Generationen zum Einschalten zu bewegen. Auch 2014 feierten einige Ermittler wieder Quotenrekorde, sensationelle 13 Millionen Zuschauer hatte die letzte Münster-Folge vom September – eine höhere Reichweite gelang einem «Tatort» zuletzt 1993. Die Krimireihe bleibt aber auch kontrovers, provokant, ein Gesprächsthema: Vor allem abseits der «Tatort»-Fans erfreute sich der blutig-skurrile Tukur-Film („In Schmerz geboren“) großer Beliebtheit, auch in den sozialen Medien. Zwei Filme ließen die Zuschauer im Unklaren darüber, ob die Ermittler am Ende getötet wurden – auch dies gab es innerhalb eines Jahres noch nie so häufig.
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