Diese Worte stammen nicht von jemandem aus den digitalen Medien, nicht vom Netflix-Chef oder Amazon-Boss, die das traditionelle Fernsehgeschäft gern mit markigen Sprüchen belächeln. Sondern sie stammen vom Chef einer etablierten Produktionsfirma, von Fremantle. Die Firma steht hinter Casting-Erfolgen wie «Deutschland sucht den Superstar», zahlreichen Spielshows und über weltweite Tochtergesellschaften hinter Serien wie «Gute Zeiten, schlechte Zeiten». Kurz: Fremantle ist einer der weltweit größten Produzenten der Welt. Und Keith Hindle ist jemand, der beide Seiten der Branche kennt, die digitale und die lineare. Bis 2013 war er für die amerikanischen Aktivitäten des Konzerns zuständig, heute ist er Digital-Chef. Hindle ist also einer, der weiß, wovon er redet. Und er ist einer der ersten, der die Einschaltquote als vorherrschendes Messinstrument über Erfolg oder Misserfolg einer Sendung so drastisch infrage stellt.
Je stärker der digitale Wandel voranschreitet, je mehr Menschen also ihre Inhalte im Netz von verschiedenen Quellen abrufen, desto mehr stellt sich die Frage nach der Relevanz der Einschaltquote. Beispiele für die teils geringe Aussagekraft finden wir schon heute: Jan Böhmermanns «NeoMagazin» interessiert im traditionellen TV kaum, hat aber eine der größten Fangemeinden im Netz. Auf Twitter ist das Format permanent trending topic, und die Abrufzahlen der Mediathek übertreffen die klassische Reichweite im TV, teils um ein Vielfaches. Im schlimmsten Fall wird also ein verzerrter Eindruck gewonnen, wenn man nur auf Marktanteile blickt. Oder nur auf Abrufzahlen: Hier tritt das Problem der Quelle auf; Böhmermanns Sendung ist in der ZDF-Mediathek, aber auch als Podcast abrufbar. Möglicherweise (illegal) auch auf YouTube oder anderen Videoportalen. Und offizielle Kurzclips der Show bei YouTube kommen hinzu, die oft hunderttausende Abrufe erreichen – sollen diese auch zur Reichweite gezählt werden?
Es ist also schwierig, sich im Dschungel der digitalen Zahlen zurechtzufinden. Hindles Vorschlag, den sozialen Impact einer Sendung aggregiert zu messen, ist dahingehend nicht verkehrt. Engagement der Zuschauer in sozialen Netzwerken zeigt eben das, was es ausdrückt: Einsatz für oder gegen eine Sendung. Damit findet grundsätzlich eine Verschiebung vom passiv aufnehmenden Konsumenten zum aktiven User statt – selbst wenn das Engagement allein darin besteht, einen kurzen Tweet über die Show in die Welt zu schicken. Es geht um die grundsätzliche Grenze vom Nicht-Engagement zum Engagement, die ein Auszeichnungsmerkmal wird: Die Sendung hat dann zumindest so viele Emotionen hervorgerufen, dass sie es wert ist, diskutiert und beachtet zu werden.
Der Fall "joiz"
Kritik an der Quotenmessung durch die AGF gab es zuletzt vom insolventen joiz Germany. Chef Alexander Mazzara: "Joiz-TV-Formate genießen vor allem im Web und in den sozialen Medien eine hohe Relevanz, wie zum Beispiel die Präsenz unter den Top Ten der deutschen Twitter-Trends. Bedauerlicherweise kann dieser hohe Stellenwert bei der jungen Zielgruppe nicht in der Reichweiten- und Quotenmessung der GfK abgebildet werden." Die AGF wies die Vorwürfe zurück und verwies auf die Repräsentativität ihrer Daten in allen Zielgruppen.Die AGF, in Deutschland zuständig für die Quotenmessung, will 2015 zumindest Zahlen ausweisen, die auch alle Online-Abrufe einbeziehen. Schon jetzt gibt es wöchentliche Hitlisten, die allerdings nur Abrufe von windows-basierten PCs zählen und somit kaum aussagekräftig sind. Ein «Tatort» kommt hier auf rund 250.000 Aufrufe, die ARD spricht allerdings von bis zu zwei Millionen zusätzlichen Zuschauern. Dennoch geht die AGF den richtigen Weg: Sie wird die Daten künftig auf allen Abrufgeräten so messen, dass nachverfolgt werden kann, wer wann etwas geschaut hat, sekundengenau. All dies sagen die bisherigen einfachen Streaming-Abrufe nicht aus: Sie zählen nur Klicks, egal ob jemand die Sendung anschließend ganz oder nur fünf Minuten sieht. Und sie zeigen nicht, welches Alter, Geschlecht usw. jemand hatte – dies aber sind wichtige Daten für die Werbewirtschaft. Dies ist letztlich auch der entscheidende Grund dafür, dass die traditionelle Einschaltquote nicht überflüssig wird: Sie berücksichtigt repräsentativ die Gesamtbevölkerung, und damit beispielsweise Zuschauer, die nicht im Internet aktiv sind. Oder die einfach nur nicht in den sozialen Netzwerken aktiv sind – und vernachlässigt würden, wenn man den Erfolg einer Sendung an diesem Instrument misst.
Die Essenz aus all dem: Die absolute Reichweite bleibt wichtig, der Marktanteil aber wird überflüssig, da es im Internet keinen festen Sendeplatz gibt. Steigen die Internet-Abrufe also immer mehr, ist ein ausgewiesener Marktanteil für eine Sendung am Dienstag in Sat.1 zwischen 20.15 und 21.15 Uhr immer weniger aussagekräftig. Außerdem ist die Reichweite letztlich nur noch eine Zahl unter vielen Daten. Eine wichtige zwar, aber ohne Deutungshoheit für den Erfolg. Denn Auswertungen wie in sozialen Netzwerken werden eine zunehmend große Rolle spielen. Außerdem Daten, die der Otto-Normalzuschauer nie zu Gesicht bekommt: Netflix und andere VoD-Portale erheben ihre eigenen Werte, punktgenau. Die Algorithmen kennen bald ihre Zuschauer. Und außerhalb von Netflix weiß kaum jemand, wie viele Zuschauer «House of Cards» nun wirklich hat. Hier werden öffentlich zugängliche Daten – eben jene aus sozialen Netzwerken – noch wichtiger werden als bei klassischen TV-Sendungen. Sie sind schlicht der einzige Indikator für Erfolg oder Nicht-Erfolg.
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