Es gehört zum Grundprinzip von Werbung, jedes Produkt so anzupreisen, dass es besonders attraktiv auf potenzielle Abnehmer wirkt. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass RTL im Vorfeld des Neustarts von «Deutschlands schönste Frau» im besonderen Maße darauf hinwies, von gängigen Schönheitsidealen abweichen und auch menschliche Werte wie Herz, Verstand und Persönlichkeit in die Bewertungskriterien des neuen Formats integrieren zu wollen - schließlich gibt es das kalte, nach Perfektion strebende Pendant «Germany's Next Topmodel» bereits seit einigen Jahren sehr erfolgreich bei ProSieben, die neue Staffel startet in wenigen Stunden. Doch kratzt man ein wenig an der Oberfläche von schöngefärbten Pressetexten, stößt man nicht selten auf weitaus dunklere Farbtöne - und vom vermeintlichen Streben nach Tiefgang und Substanz bleibt kaum etwas übrig. Eine solch große Kluft zwischen vermeintlichem Selbstanspruch und der bitteren Realität tut sich bei Guido Maria Kretschmers erster großer RTL-Show auf.
Das grobe Konzept: Insgesamt 20 Frauen unterschiedlichen Alters treffen sich auf Mallorca, um sich wenige Wochen später "Deutschlands schönste Frau" nennen zu dürfen. Die Siegerin des televisionären Wettstreits wird zudem Werbegesicht des internationalen Wäscheherstellers Triumph. Der durch die «Shopping Queen» zu beachtlichem Ruhm gelangte Kretschmer begleitet sie auf ihrem Weg, tritt immer wieder in Kontakt mit ihnen und kommentiert die ihm gezeigten Szenen in gewohnt bissiger und durchaus unterhaltsamer Art und Weise.
So schwer man sich auch tut, der Sendung ihr Engagement für ein verändertes Bild von Schönheit abzunehmen, kann man ihr zumindest eines nicht vorwerfen: Schon bei der Vorauswahl der Kandidatinnen wieder den gängigen Klischeebildern gefolgt zu sein. Von jung bis alt, dick bis dünn und schüchtern bis extrovertiert bildet die Teilnehmerliste in der Tat einiges an Vielfalt ab. Es ist viel mehr die Darstellung der Protagonistinnen, die früh Zweifel an der Aufrichtigkeit sät. Für die verbale und audiovisuelle Inszenierung persönlicher Schicksalsschläge wird wieder einmal eine gehörige Portion Sendezeit freigeräumt, Minuten vergehen für diverse Einstellungen, in denen weinende Damen zu sehen sind.
Neben dieser ausufernden Gefühlsduselei regt auch die Tatsache zur Skepsis an, dass mit großer Penetranz auf die "innere Schönheit" verwiesen wird. Mit dem Holzhammer serviert das Team um Kretschmer seinem Publikum die doch bitte einfach hinzunehmende Erkenntnis, dass hier Charakter und Persönlichkeit zählen, man lediglich auf innere Werte schaue und viele der Frauen gar nicht wüssten, wie schön sie wirklich sind. An dieser Stelle könnte man noch weiteren Verbalkitsch anführen, der in den 95 Minuten Brutto-Sendezeit geäußert wird. Doch so sehr man sich auch ins Zeug legt, dies zu betonen: Zu sehen bekommt man beinahe ausschließlich mit den größten Radio-Hits der letzten Jahre unterlegte überdramaisierte Szenen, profane und zum Teil gestellt wirkende Dialoge sowie die im Privatfernsehen altbekannte Fokussierung auf möglichst tragische Schicksalsschläge.
Der eigentliche Star der Sendung ist aber ohnehin zweifelsfrei Kretschmer, der permanent entweder selbst im Bild ist, um wichtige Challenges anzukündigen, auf die Schönheit des Sets hinzuweisen und mit den Frauen zu kuscheln oder alternativ jeden dritten Wortbeitrag der Kandidatinnen zu kommentieren. Das ist durchaus amüsant und kurzweilig, trägt jedoch nicht gerade dazu bei, eine engere Bindung zu den Damen aufzubauen. Überdies verstärkt es den ohnehin sehr dominanten Gesamteindruck, es gehe der Show um einiges - aber sicherlich nicht darum, ein vielschichtiges und realistisches Persönlichkeitsbild der immer wieder durchs Bild rennenden potenziellen schönsten Frauen Deutschlands zu zeichnen. Als dann wirklich Persönlichkeitsbilder gezeichnet werden, ist die ebenso platte wie vorhersehbare Botschaft der ganzen Aktion: Das Selbstbild der Frauen ist um einiges negativer als das, was Kretschmer von ihnen zu zeichnen in Auftrag gibt.
So richtig deutlich werden die eigentliche Motive dieses Formats dann im letzten Drittel, als sich die Kandidatinnen gegenseitig zur abschließenden Rauswahl nominieren müssen. Hier kommt es - ob aus eigenem Antrieb oder unter redaktioneller Mithilfe, sei mal dahingestellt - zu den Intrigen und den wechselseitigen Zerfleischungsprozessen, bei denen man am unterhsaltsamsten kaschieren kann, wie wert- und zielarm der gesamte Wettbewerb eigentlich ist. Bei gleich 20 keifenden und/oder weinenden Damen lässt sich fast eine halbe Stunde Sendezeit herausholen, zumal sich auch Kretschmer beim Nominierungsprozess einmal mehr nicht mit Kommentaren zurückhält.
Dieser verkündet dann auch am Ende der Show, welche 16 Damen weiter davon träumen können, laut RTL-Maßstäben die schönste Frau der Bundesrepublik darzustellen. Für vier Damen gibt es hingegen kein Foto - nein, noch nicht einmal eine Rose können sie aus dieser sicher total spannenden Erfahrung mitnehmen. Aber wieso sollte es ihnen da auch anders gehen als dem Zuschauer, der sich fast zwei Stunden lang diese oberflächliche Mixtur aus Gefühlsduselei, ziellosen Challenges und einem überladenen Nominierungskonzept angesehen hat? Wer allerdings einfach nur Guido Maria Kretschmer in einer weiteren Show das tun sehen möchte, was er schon bei der «Shopping Queen» macht, dürfte an «Deutschlands schönste Frau» seine Freude haben. Höheren Ansprüchen genügt die neue RTL-Show allerdings zu keinem Zeitpunkt.
«Deutschlands schönste Frau» ist auch in den kommenden vier Wochen jeweils um 21:15 Uhr bei RTL zu sehen - dann allerdings jeweils nur noch bis 22:15 Uhr. Das Finale soll am 18. März bereits um 20:15 Uhr ausgestrahlt werden.
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12.02.2015 03:37 Uhr 1