Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir einer Idee, die gleichermaßen geklaut wie wegweisend war.
«Teenstar» wurde am 07. April 2002 bei RTL II geboren und entstand zu einer Zeit, als Deutschland mit voller Kraft auf den großen Casting-Boom zusteuerte, der das Fernsehprogramm in der ersten Dekade des neuen Jahrhunderts bestimmen sollte. Zwar hatten zu diesem Zeitpunkt die ersten Staffeln von «Popstars» bereits die Gruppierungen „No Angels“ und „BroSis“ hervorgebracht sowie für beachtliche Sehbeteiligungen für den kleinen Sender gesorgt, doch ein wirklich großes Millionen-Publikum konnte damit noch nicht begeistert werden. Dieser endgültige Durchbruch sollte erst mit dem Start von «Deutschland sucht den Superstar» am Ende des selben Jahres gelingen. Der Übergang zwischen diesen beiden Formaten verlief allerdings nicht stufenlos, denn zeitlich und inhaltlich füllte «Teenstar» die Lücke zwischen den beiden Casting-Klassikern.
Zahlreiche Merkmale dieser Zwischenform erinnerten dabei auffallend stark an den Ablauf der «Popstars»-Suche, nicht bloß weil dort ebenso junge, unbekannte Gesangstalente gesucht wurden, sondern weil der mit Abstand größte Anteil aus dokusoap-ähnlichen Berichten bestand. Zudem gab es auch dort Gruppen-Castings, eine dreiköpfige Jury sowie mehrtägige Tanz- und Gesangsworkshops. So gesehen knüpfte «Teenstar» sehr konsequent an seinen Vorgänger an. Das war insofern nicht verwunderlich, als dass mit Tresor TV dieselbe Produktionsfirma für die Umsetzung beider Sendungen verantwortlich war. Mehr noch, deren Geschäftsführer Holger Roost-Macias hatte das Konzept von «Teenstar» eigens dafür entwickelt, um eine weitere, ebenso lukrative Abwandlung ins Portfolio aufnehmen zu können. Immerhin hatte seine Firma durch einen günstigen Deal mit der kooperierenden Plattenfirma Polydor stark von den CD-Verkäufen rund um die «Popstars» profitiert. So war es nur logisch, beim zweiten Aufguss eine ähnliche Vereinbarung zu treffen, nach der sich Polydor dazu verpflichtete, den Gewinner-Act unter Vertrag zu nehmen – und zwar (im Fall eines kommerziellen Erfolgs) langfristig für vier Alben in fünf Jahren.
Neben all diesen inhaltlichen und organisatorischen Ähnlichkeiten zu «Popstars» gab es jedoch zwei wesentliche Unterschiede, welche die Produktion bedeutsam machten. Zum einen wurde erstmals in einer deutschen Castingshow anstatt nach einer Band nach einem Solokünstler oder einer Solokünstlerin gesucht – ein Aspekt, den fast alle nachfolgenden Varianten von «Deutschland sucht den Superstar» über «Star Search» bis «The Voice Of Germany» später übernahmen. Dadurch musste nun nicht mehr auf eine Harmonie innerhalb der Siegergruppe geachtet werden und an den Erlösen lediglich ein einziger Gewinner beteiligt werden.
Noch entscheidender war die zweite Abweichung, denn während bei «Popstars» die gesamten Staffeln vorproduziert waren und die Entscheidungen ausschließlich von einer Jury gefällt wurden, bestand die Endrunde bei «Teenstar» nun aus einer Liveshow. In dieser traten die Finalisten auf einer Bühne vor großem Saal-Publikum auf und stellten sich dabei gleichzeitig einem Telefon-Voting unter den Fernsehzuschauern. Dadurch führte man einerseits die professionellen Performances ein, die später bei «Deutschland sucht den Superstar» in Form der Motto-Shows einen wesentlichen Anteil des Erfolgs ausmachten und überließ andererseits erstmalig die Entscheidungsgewalt allein dem Publikum. (Lässt man das kaum beachtete RTL-Experiment «Deine Band» mal außen vor.) Entsprechend hieß es im großen Finale: „Zum ersten Mal im deutschen Fernsehen entscheiden Sie, die Zuschauer, wer ein Star sein wird.“
Zunächst schien «Teenstar» damit trotz aller Abguckereien erstaunlich viele innovative und wegweisende Bestandteile aufzuweisen. Ganz so revolutionär waren diese Änderungen trotzdem nicht, denn schon in der «Soundmix Show» und bei «DJ Bobo – Die Show» wurden einzelne Gesangstalente gesucht, die sich auf einer großen Bühne beweisen mussten – nur mit dem Unterschied, dass dies ohne das Zeigen des vorgelagerten Auswahlprozesses der Finalisten und deswegen noch nicht unter dem Schlagwort Castingshow erfolgte. Zudem darf nicht vergessen werden, dass «Deutschland sucht den Superstar» zwar noch nicht gestartet war, aber dessen britische Vorlage kurz zuvor seine erste Runde mit hohen Einschaltquoten beendet hatte. Es war damit abzusehen, dass die deutsche Adaption einschlagen würde. Die Vermutung liegt daher nahe, dass sich Holger Roost-Macias bei der Kreation von «Teenstar» bereits von der englischen Reihe inspirieren ließ, wodurch er sich schlicht überall ein wenig abgeschaut und verschiedene fremde Bausteine miteinander kombiniert hatte. Wirklich neu war an seiner Idee demnach wenig. Doch gerade durch diese Mischung aus geklauten Elementen stellte sie rückwirkend betrachtet das Bindeglied zwischen «Popstars» und «Deutschland sucht den Superstar» dar und erhielt deswegen dennoch eine fernsehhistorische Bedeutung. Zynisch könnte man als seine weitere besondere Leistung anführen, dass dort erstmals fast ausnahmslos unerfahrene, noch formbare Minderjährige in großem Maßstab systematisch ausgenutzt wurden, denn es waren ausschließlich Jugendliche zwischen 13 und 19 Jahren zu einer Teilnahme berechtigt.
Insgesamt 6.900 Teenager (ca. 2/3 davon Mädchen) folgten den Casting-Aufrufen im laufenden Programm oder in den Sonderbeilagen der BRAVO. Sie alle hatten dafür ein Video von sich, auf dem sie einen Song ihrer Wahl darboten, einzusenden und (wie heute weiterhin üblich) der vollständigen Abtretung all ihrer Bild- und Tonrechte zuzustimmen. Etwa 200 von der Redaktion vorausgewählte Bewerber erhielten anschließend die Möglichkeit, bei den „Auditions“ in fünf Städten vor der eigentlichen Jury vorsingen zu dürfen. Diese bestand aus den Musikproduzenten Mousse T. und Toni Cottura sowie dem MTV-Moderator Markus Schultze. Sie selektierten die (vermeintlich) 40 besten Teilnehmer aus und schickten sie anschließend in Achter-Gruppen zu den 3tägigen Workshops (den sogenannten „Teen Academies“), wo sie sich einem Gesangs- und Tanztraining sowie einem Umstyling unterziehen mussten. Jede Ausgabe fasste dann die Ereignisse eines dieser Workshops und damit die Erlebnisse einer Achter-Gruppe zusammen. Sie endete stets mit einer Telefonabstimmung darüber, welcher Kandidat oder welche Kandidatin sich in den vorherigen Minuten am besten bewährt hatte und ins Finale einziehen durfte. Aus jeder Achter-Gruppe kam auf diese Weise nur ein Talent weiter, wodurch letztlich fünf Jugendliche im großen Live-Finale miteinander konkurrierten. Dies waren schließlich Larissa (15), Svetlana (15), Pierre (16), Andreas (14) und Katrin (15).
Sie präsentierten darin jeweils neue, extra für sie arrangierte Songs, weswegen ihr Abschneiden gleichermaßen von der Qualität der ihr zugeteilten Lieder abhing. Außerdem erhielt jeder von ihnen einen (mehr oder weniger) prominenten Paten bzw. im Sprachgebrauch der Show einen „Engel“ an die Seite gestellt, der Tipps und Hilfestellung leisten sollte - etwa vergleichbar mit den späteren Coaches bei «The Voice Of Germany». Zu ihnen gehörten die Musiker Laith Al-Deen, Billy Crawford, Nicole da Silva und Isabel sowie die Girlgroup Samajona, der die spätere TV-Moderatorin Johanna Klum angehörte. Damit nicht genug, denn in den Wochen davor erhielten die Kontrahenten außerdem Ratschläge vom «Popstars»-Finalisten Jan Stichlig. Der überaus platte Tenor der Empfehlungen all dieser Experten lautete stets, dass man vor allem „natürlich“ und „authentisch“ bleiben müsse. Nicht einfach, wenn man gleichzeitig von vielen Coaches und Stylisten pausenlos verfremdet wird.
Für die meisten Fans schien dies jedenfalls zu funktionieren, denn das Bremer Musical-Theater war zum Finale vollständig besetzt – hauptsächlich mit kreischenden Teenagern. Sie hatten im Vorfeld taschengeldfreundliche 12,90 Euro für den Eintritt bezahlt und freuten sich ebenso auf zusätzliche Auftritte der „No Angels“, der Boygroup „Natural“ (mit Frontman Marc Terenzi) und der Band „Tears“, die den Titelsong zum Format geliefert hatten. Durch den Abend führte wie zuvor bei den aufgezeichneten Episoden der Vorwochen die 21jährige Jasmin Wagner, die unter dem Namen „Blümchen“ in den 90er Jahren selbst als Teenager eine recht erfolgreiche Musikkarriere erlebt hatte. Moderationserfahrungen konnte sie vorab beim Call-In «Heart Attack» sowie bei der «Mini Playback Show» sammeln. Der Umgang mit Kindern und Teenagern war ihr demnach durchaus vertraut. Sie kürte am Ende der zweistündigen Endrunde und einem rund 10minütigen Telefonvoting den 16jährigen Deutsch-Amerikaner Pierre Humphrey zum Sieger, der darauf vor Freude in Tränen ausbrach. Er hatte mit dem Song „Sunshine“ gewonnen, der aus der Feder von Mirko von Schlieffen, einem der beiden Mitglieder der Elektro-Band Schiller, stammte.
Abgesehen von einigen Teenie-Zeitungen, die das Event mit zahlreichen Berichten begleitete, beäugte die damalige Presse das Projekt eher misstrauisch. Mehrfach wurde in Artikeln aus dieser Zeit eine Instrumentalisierung der Minderjährigen kritisiert, deren persönliche Schicksale öffentlich entblößt und ihr Scheitern zum Gegenstand einer Unterhaltungssendung gemacht würden. Wiederholt wurden Parallelen zur ebenfalls anfangs sehr umstrittenen «Mini Playback Show» gezogen, denn erneut hätten sich Kinder und Jugendliche in unangemessener Weise wie Erwachsene kleiden, schminken und verhalten müssen, um erfolgreich bestehen zu können. Wie treffend diese Vorwürfe waren, bewies allein eine offizielle Pressemitteilung von RTL II, in der das Finale beworben wurde. Darin hieß es wörtlich: „Es kann nur eine/n Gewinner/in geben und es wird extrem spannend [...] Werden alle dem Druck standhalten?“ Man möge sich bei diesen scharfen Worten daran erinnern, dass es sich bei jenen Menschen, die dem Druck stand halten mussten, um 14 bis 16jährige Jugendliche handelte. Dass diese überhaupt an einem solchen Vorhaben teilnehmen durften, hatten sie einer Ausnahmegenehmigung des zuständigen Gewerbeaufsichtsamts zu verdanken, denn eigentlich hätten Personen diesen Alters nicht in einem solchen Umfang tätig werden dürfen.
Treffender brachte der Fernsehkritiker Oliver Kalkofe das Ausnutzen immer jüngerer Bewerber auf den Punkt, indem er trocken bemerkte: „Noch zwei Staffeln und man castet die erste Sperma-Band.“ Aber es wird noch verrückter, denn selbst der bis zuletzt als Favorit gehandelte Nachwuchssänger Günes wurde kurz vor dem Finale misstrauisch und stieg trotz ernsthafter Siegchancen freiwillig aus dem Wettbewerb aus, weil ihm „die Konsequenzen eines möglichen Sieges bewusst geworden sind“ (Zitat aus einem offiziellen Pressestatement der Produktionsfirma). Stattdessen wollte er sein Abitur absolvieren. Gänzlich falsch dürfte diese Entscheidung nicht gewesen sein.
Zu all den moralischen Vorwürfen gesellten sich ferner eklatante organisatorische Fehler hinzu, die der Sendung zu schaffen machten. Dazu musste zunächst die allzu starke Fokussierung auf die verhältnismäßig kleine Zielgruppe der Teenager gezählt werden, die schlicht zu viele Erwachsene verschreckte. Außerdem erwies sich der Ausstrahlungstermin im Frühsommer 2002 deswegen als unglücklich, weil gerade während der entscheidenden Endphase die Fußballweltmeisterschaft ausgetragen wurde, wodurch die Menschen und Medien des Landes alles andere als ein Teenie-Casting im Kopf hatten. Diese Fehlplanung fand ihren Gipfel darin, dass das «Teenstar»-Finale auf den Tag des WM-Endspiels terminiert wurde, in dem Deutschland gegen Brasilien spielte. Obwohl die Partie wegen der Zeitverschiebung am Nachmittag ausgetragen wurde, war es sicherlich keine gute Idee den Höhepunkt einer wichtigen Reihe nur wenige Stunden nach einem solchen TV-Ereignis zu platzieren.
All dies schlug sich letztlich in den gemessenen Einschaltquoten nieder. Die Marktanteile in der werberelevanten Zielgruppe fielen mit 4,2 Prozent schon zur Premiere eher dürftig aus und konnten sich im Laufe der Staffel nicht wesentlich verbessern. Das war für den Programmplatz am Sonntagabend um 20.15 Uhr sogar für einen kleineren Kanal eindeutig zu wenig, sodass sich der Vermarkter gezwungen sah, die Werbepreise für das anstehende Finale um mehr als die Hälfte zu senken. Schlussendlich schalteten dieses im Schnitt 1,4 Millionen Menschen ein, was einem Marktanteil von 4,8 Prozent entsprach. Lediglich in der Gruppe der 14 bis 19jähjrigen Zuschauer holte man mit 21,1 Prozent gute Werte. Aufgrund dieses geringen Interesses war es nicht verwunderlich, dass die Sieger-Single „Sunshine“ nur auf Platz 12 der Charts einstieg und die im Vorfeld angestrebte Verkaufszahl von 250.000 Einheiten niemals erreichen konnte. Gleichermaßen verkaufte sich das zugehörige «Teenstar»-Album, auf dem ein Dutzend Kandidaten mit Coversongs von Klassikern wie „Für mich soll’s rote Rosen regnen“, „Flugzeuge im Bauch“ oder „Thank You For The Music“ zu hören waren, eher schleppend.
Bereits vor dem Ende des Spektakels äußerte sich daher Johannes Cordes, der Marketingchef von Polydor, gegenüber der Schwäbischen Zeitung selbstkritisch: „Es ist schwer für ein Konzept, an zwei vorangegangene Konzepte anzuknüpfen [...] vielleicht hätten wir zwei, drei Monate länger warten sollen, um nicht auch noch beim spannenden Finale ins WM-Fieber zu geraten.“ Zeitgleich stellte der RTL-II-Sprecher Matthias Trenkle klar: „In diesem Jahr werde es auf alle Fälle keine Fortsetzung des Formats geben.“ Er sollte sein Versprechen halten und es sogar übererfüllen, denn nach der ersten Staffel folgte gar kein weiterer Durchlauf mehr.
«Teenstar» wurde am 30. Juni 2002 im Alter von 13 Folgen beerdigt. Die Show hinterließ die Moderatorin Jasmin Wagner, die später mit «Dein Song» im KiKa durch ein weiteres TV-Casting führte. Pierre Humphrey gelang es trotz seines Sieges hingegen nicht, eine nachhaltige Gesangskarriere zu starten. Stattdessen schlug er eine Laufbahn als Tänzer und Musicaldarsteller ein und konnte auf diese Weise eine Reihe von Engagements erlangen. Zuletzt trat er im Jahr 2011 in Erscheinung, als er bei «The Voice Of Germany» antrat, allerdings bereits in den „Blind Auditions“ ausschied. Drei seiner damaligen Finalgegner versuchten unterdessen ihr Glück bei der vierten Staffel von «Popstars» zu wiederholen, konnten dort aber erneut nicht siegen. Angeblich soll sich übrigens auch die spätere «Deutschland sucht den Superstar»-Dritte und «Big Brother»-Bewohnerin Lisa Bund als 13jährige bei «Teenstar» beworben haben. Als ihre Eltern, ohne deren Zustimmung sie sich beworben haben soll, davon erfuhren, hätte sie ihre Teilnahme jedoch zurückziehen müssen.
Möge die Show in Frieden ruhen!
Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am Donnerstag, den 26. März 2015, und widmet sich dann einer besonders absurden Ausgabe der Talkshow «Hans Meiser».