143,6 Millionen Menschen leben einer Schätzung im Dezember 2013 zufolge in Russland. In diesen Tagen entbrennt in der föderalen Republik eine Diskussion darüber, ob wirklich jeder dieser Bürger das sagen darf, was er möchte. Befeuert wird die Debatte vom feigen Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow vor rund zwei Wochen. Vor allem im Westen Europas entsteht mehr und mehr der Eindruck, auch das Fernsehen wird zum Teil vom Kreml und somit von Wladimir Putin gelenkt. Ina Ruck, frühere ARD-Korrespondentin in Russland, bestätigte dies vor acht Tagen in der Talkshow von «Günther Jauch» indem sie sagte, eine Live-Sendung zu politischen Themen sei in Moskau schlicht nicht möglich.
Was also ist erlaubt im russischen TV? „Mehr als man vielleicht denkt“, sagt Felix Wesseler, Director Business Development bei der Produktionsfirma filmpool. Diese macht seit Jahren erfolgreich Geschäfte in Russland, hat unter anderem «Verdachtsfälle» und «Familien im Brennpunkt» dort verkauft. Der neueste Clou: Eine Adaption von «Berlin – Tag & Nacht», also quasi «Moskau – Tag & Nacht» ist vor drei Wochen in Russland beim privaten Sender REN TV gestartet. „Wir hatten in den zurückliegenden Jahren kein Problem in Bezug auf eine mögliche Zensur“, berichtet Wesseler über die Produktionsarbeiten in Russland.
Vorsichtig müsse man mit bestimmten Themen aber sein, weiß er. Oftmals würde man Geschichten aus dem RTL-Nachmittagsprogramm direkt adaptieren und mit Darstellern aus dem entsprechenden Land nochmals neu inszenieren. Nicht jedes Buch aber eignet sich dafür. „Einschränkungen gibt es auch in anderen Ländern“, sagt der Fernsehmanager – beispielsweise im überwiegend sehr katholischen Polen. Die größten Gemeinsamkeiten in Bezug auf «Tag & Nacht»-Adaptionen sieht Wesseler andererseits bislang in Ungarn, wo die Sendung seit zwei Jahren als Marktführer auf RTL Klub läuft: „Wenn die dortigen Darsteller Deutsch sprächen, könnte man sie sofort bei uns einsetzen, ohne, dass es auffallen würde“.
Für das russische «Moskau – Tag & Nacht» habe man einige Anpassungen vorgenommen; teilweise freiwillig, manchmal auch nicht ganz. Eigentlich wird bei REN TV werktags um 22.00 Uhr die gleiche Geschichte erzählt wie vor dreieinhalb Jahren in Deutschland. So gibt es auch dort eine Figur, die frisch in eine neue Stadt zieht, um sich ihre Wünsche zu erfüllen. In Deutschland war das Meike, die später zum Ableger «Köln 50667» wechselte. In Berlin wollte sie Tätowiererin werden. Ihr russisches Pendant nun hat den Traum, Tänzerin zu werden. Entsprechende Anpassungen würden Sinn machen, heißt es seitens filmpool. Tanzen passe, weil es etwas glamouröser sei, was in Russland und insbesondere Moskau gut ankomme. Zudem sei man auch bei «Moskau – Tag & Nacht» versucht, eigene Eigenschaften der Darsteller einzubringen – und „Russlands Meike“ sei tatsächlich Tanzlehrerin.
Anders verhält es sich da schon mit der Rolle der „Alina“ (Foto), die in Deutschland bisexuell war und im Laufe der Serie auch eine gleichgeschlechtliche Beziehung führte. „Seitdem sogenannte homosexuelle Propaganda in Russland Mitte 2013 verboten wurde, hat sich das Klima dort schon geändert“, bestätigt Wesseler. Eine homosexuelle Geschichte dürfe im Fernsehen demnach nicht mehr und vor allem nicht positiv erzählt werden. „Der dortige Alina-ähnliche Charakter ist also hetero, was schon allein dramaturgisch vertrackt ist.“ Ansonsten aber sei alles erlaubt. Wie auch in Deutschland werden in Russland klassische Soap-Twists erzählt: Eine Frau, die zwischen zwei Männern steht, ein Mann, der sich zwischen zwei Mädels entscheiden muss. „Dass wir häufig auch amouröse Abenteuer erzählen, ist kein Problem“, bestätigt Wesseler. Die Sendung werde im russischen Fernsehen durch Einblendung für Über-16-Jährige empfohlen. Gezeigt wird sie aber nicht nur am späteren Abend, sondern als Wiederholung auch nachmittags um 14.00 Uhr.
Derzeit geht das Format in die vierte Sendewoche in Russland – und hat mit großen Quotenproblemen zu kämpfen. Gemessen werden in Russland einerseits die Quoten nur von Moskau, später verfügbar sind auch landesweite Werte. Um 22.00 Uhr sind die Zuschauerzahlen zum Start der Jugend-WG in den Keller gegangen. „Wie in jedem Land bestreiten wir derzeit die Wanderung durch das Tal der Tränen“, sagt Wesseler. Aus vormals vier Prozent machte «Moskau – Tag & Nacht» 0,6 Prozent und verharrt mittlerweile noch unter zwei Prozent. Das liege auch daran, dass ein Austausch des Publikums stattfindet. Die WG spricht ein eher junges und weibliches Publikum an, vorher erreichte REN TV am späteren Abend Männer im mittleren Alter. Die Wiederholungen am Nachmittag hätten sich, so Wesseler, in den ersten beiden Wochen aber schon auf Senderschnitt gesteigert.
Helfen soll auch in Russland eine intelligente Verbindung mit den sozialen Netzwerken. Eine Herausforderung im Hinblick auf das Tag & Nacht-Prinzip, das in Deutschland bei Facebook aufgegriffen wird, stellen die elf Zeitzonen im größten Land der Erde dar. Facebook, wo das Vorbild aus Berlin mittlerweile rund dreieinhalb Millionen Fans hat, nutzt hier zudem wenig. Noch nutzt kaum ein Russe den Dienst, der aus Amerika kommt. Stattdessen setzt man vor allem auf ein soziales Netzwerk, das dem einstigen „StudiVZ“ als damaligem First Mover in Deutschland ähnelt. Hier haben die Party-Kids aus Moskau inzwischen rund 10.000 Anhänger, Tendenz steigend. Manches ist also doch anders im Land von Wladimir Putin, wenn auch nicht alles.
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