Die Kino-Kritiker

«The Boy Next Door»

von

Weshalb die Besetzung von Jennifer Lopez in «The Boy Next Door» ein Witz ist und warum sich der Psychothriller trotzdem - jedoch vor allem in Verbindung mit einem Trinkspiel - ertragen lässt, verrät Antje Wessels in ihrer Filmkritik.

Filmfacts: «The Boy Next Door»

  • Kinostart: 19. März 2015
  • Genre: Thriller
  • FSK: 16
  • Laufzeit: 91 Min.
  • Kamera: David McFarland
  • Musik: Nathan Barr, Randy Edelman
  • Buch: Barbara Curry
  • Regie: Rob Cohen
  • Darsteller: Jennifer Lopez, Ryan Guzman, Kristin Chenoweth, Ian Nelson, John Corbett, Lexi Atkins
  • OT: The Boy Next Door (USA 2015)
Egal, ob diese zwiespältige Deutungsweise gewollt ist, oder ob die Macher sich vorab schlicht keine Gedanken um die Außenwirkung dieses Castingcoups gemacht haben, die Aufmerksamkeit ist Regisseur Rob Cohen sowie Teilzeitschauspielerin und Popstar Jennifer Lopez sicher. Denn nur ein Schelm vermag dabei Böses zu denken, dass die rassige Latina im Psychothriller «The Boy Next Door» nicht bloß als Darstellerin der weiblichen Hauptfigur, sondern gleich als Produzentin fungiert. Dass dieser Umstand beim fachkundigen Publikum vor allem ein Stirnrunzeln hervorrufen wird, hängt nicht etwa damit zusammen, dass wir uns von der neunmal für den Schmachpreis Goldene Himbeere nominierten Aktrice nicht wirklich vorstellen können, ein Filmprojekt in der ausführenden Produzentenrolle zu stemmen, sondern damit, dass die Aussage von «The Boy Next Door» im krassen Kontrast zur Lebensweise der Toyboy-Liebhaberin steht. Der krude Mix aus Verführungsthriller und Familiendrama ist schließlich keine Lobrede auf Beziehungen mit großem Altersunterschied, sondern eher eine Warnung an all jene Frauen, die sich dazu hinreißen lassen, aus purer Verzweiflung heraus etwas mit deutlich jüngeren Männern anzufangen. Doch erwartungsgemäß ist der Low-Budget-Streifen für Rob Cohen nicht die erhoffte Renaissance; zuletzt hielt sich der Filmemacher vornehmlich mit der Inszenierung drittklassiger Franchise-Ableger respektive TV-Projekten über Wasser. Doch nicht nur der Castingcoup bricht dem Streifen das Genick. Es ist vielmehr die bierernste Inszenierung der eigentlich so haarsträubenden Prämisse, durch die sich das durchgehende Schmunzeln im Anbetracht der fertigen Produktion nur schwer vermeiden lässt.

Doch auch ein Film mit solch zwiespältigem Auftreten kann bei einer gelungenen Umsetzung immer noch Spaß machen. Ob im Falle von «The Boy Next Door» tatsächlich von „gelungen“ die Rede sein kann, sei an dieser Stelle zwar erst einmal dahingestellt, doch eines kann man dem Streifen wahrlich nicht vorwerfen: Langeweile. Trotz aller Skurrilität ist das Skript von Debütantin Barbara Curry nämlich derart abwechslungsreich und flott erzählt, dass zum dauerhaften Aufregen über diverse Logiklöcher, naive Entscheidungen seitens der Hauptfiguren und das Wiederkäuen der ewig gleichen Klischees kaum Zeit bleibt. Kurzum: «The Boy Next Door» ist aus cineastischer Sicht zwar ein Totalausfall, Spaß macht er trotzdem und erinnert dabei mitunter an ähnlich missratene Filme der Marke «Knight and Day» oder «Gesetz der Rache», die in ihrer konsequent absurden Zuspitzung vollkommen fehlgetriebener Genreeinflüsse immer noch besser sind, als Produktionen, die sich zwar an gängigen Erfolgsmechanismen bedienen, diese jedoch ohne jeglichen Spaß zu einem nur halb so amüsanten Spektakel zusammenschustern. Wenngleich nie so ganz ersichtlich ist, wie gewollt die unfreiwillige Komik im Falle von «The Boy Next Door» tatsächlich ist, so hat der Zuschauer noch das geringste Nachsehen; bekommt er zwar kein wirklich kreatives Filmerlebnis zu Gesicht, wohl aber eines, das sich wohl am ehesten mit dem Entertainmentfaktor eines Unfalls vergleichen lässt – ohne ernsthaft Verletzte versteht sich.

Aus einem Moment der Schwäche wird für die frisch geschiedene Claire (Jennifer Lopez) der reinste Albtraum. Nach ihrer Trennung von Ehemann Garrett (John Corbett) hat die schöne Mittvierzigerin erst einmal genug von den Männern. Gemeinsam mit Sohn Kevin (Ian Nelson) lebt sie als alleinerziehende Mutter in einer ruhigen Nachbarschaft, in die eines Tages der attraktive Noah (Ryan Guzman) einzieht. Dieser freundet sich rasch mit Kevin an und aus den beiden jungen Männern werden dicke Freunde. Doch auch Claire hat ein Auge auf Noah geworfen. Zunächst sind es nur kleine Gesten, mit denen er ihre Aufmerksamkeit auf sich zieht, doch nach und nach werden die Avancen immer deutlicher, bis das verführerische Spiel in eine gemeinsame Liebesnacht mündet. Doch als Claire den Fehler bereut, sieht Noah rot. Der junge Mann stalkt und bedrängt die Frau und bringt die passionierte Lehrerin in eine schier ausweglose Situation. Es dauert nicht mehr lange und nicht mehr nur ihr Job und das traute Familienglück stehen auf dem Spiel, sondern auch ihr Leben.

Nur rund vier Millionen Dollar musste Regisseur Rob Cohen für die Inszenierung seines Psychothrillers hinblättern. So konnte der Streifen zumindest in den USA auch schon das Zehnfache seiner Produktionskosten wiedereinspielen. An den guten Kritiken der US-amerikanischen Kollegen kann das jedoch nicht liegen. Auch in Übersee wurde «The Boy Next Door» gnadenlos verrissen. Vielleicht liegt es also tatsächlich an der äußerst freizügigen Softerotik-Szene zwischen Jennifer Lopez und ihrem halb so alten Lover Ryan Guzman («Step Up: Miami Heat»), die Cohen mehrmals nachdrehen und immer wieder ausbauen ließ, bis sie im fertigen Film nun fast fünf Minuten umfasst und dabei wahrlich nicht prüde daherkommt. Doch mit wesentlich mehr als für einen US-Thriller reichlich nackter Haut kann «The Boy Next Door» dann doch nicht aufwarten. Mit welch dilettantischer Einstellung die Macher an die Arbeit herangegangen sein müssen, beweist bereits eine Sequenz innerhalb der ersten fünf Filmminuten, die detailliert darüber Aufschluss gibt, welches Schicksal den Bösewicht Noah schon bald ereilen wird. In einem Film, der durch das sukzessive Anziehen der Spannungsschraube funktioniert, ist dieser ärgerliche Spoiler so fehl am Platz wie JLo in ihrer Hauptrolle, doch besagte Szene, die das spätere Mordwerkzeug genüsslich in Szene setzt, ist nur ein Beispiel von vielen, das beweist, wie wenig den Machern an einer gelungenen Inszenierung gelegen haben muss.

Was die Macher derweil unter „Inszenierung“ verstehen, beschränkt sich in den knackigen 85 Minuten auf das Abhaken üblicher Genre-Klischees, stupide, zum Teil gar peinlich-bedeutungsschwangere Dialoge sowie die halbherzige Zeichnung der Charaktere, sofern sich die Zweidimensionalität selbiger denn überhaupt zu einer Aufbereitung eignet. Jennifer Lopez, Ryan Guzman und diverse Nebendarsteller fristen ein trauriges Stereotypendasein. Während Lopez die frustrierte Hausfrau gibt und Guzman aufgrund seines Alters zwar als zwielichtiger Gentleman, nicht jedoch als minderjähriger Oberstufenschüler funktioniert, haben die beiden Hauptfiguren ohnehin nur eine wirkliche Aufgabe. Wenn man es nicht besser wüsste, so würde man Glatt Hochglanz-Regisseur Michael Bay auf den Regiestuhl vermuten, doch die sonnengetränkten HD-Aufnahmen haben mit den knalligen Blockbusterspektakeln des Amerika-Verfechters nichts zu tun. «The Boy Next Door» sieht trotzdem aus wie ein eineinhalbstündiger Werbespot für Frauenparfum und rückt die gutaussehenden Mimen so penetrant ins rechte Licht, dass für richtige Schauspielerei kaum mehr Platz ist; viel zu sehr müssen sich die Darsteller darauf konzentrieren, ihr Staffage-Dasein zur Genüge auszufüllen. Immerhin eines kann man dem Zusammenspiel der zwei Hauptfiguren nicht vorwerfen: Trotz reichlich oberflächlicher Dialoge und eines von großer Naivität geprägten Beigeschmacks entsteht tatsächlich so etwas wie eine glaubhafte Chemie, die sich in ebenjener Sexszene entlädt. Dies ist sogleich auch der Höhepunkt des Films, der sich ab dann auf einen Plot konzentriert, den man bereits im Klassiker «Eine verhängnisvolle Affäre» zu sehen bekam.

Von nun an serviert Cohen das gängige Potpourri diverser bekannter Szenarien, die man als hollywoodtaugliches Stalkingopfer durchmachen muss, um schließlich glaubhaft bemitleidenswert zu wirken. Für das Entwerfen dramaturgisch notwendiger Zwischentöne nimmt sich das Skript dabei (natürlich) keine Zeit. Auf eine Aktion folgt eine Reaktion, bis das Szenario schließlich in ein haarsträubendes Finale gipfelt. Das ist alles effektiv und rauscht in seiner dynamischen Erzählweise wie ein Kurzfilm am Publikum vorbei. Überraschungen, große Schauspielkunst oder dramatische Fallhöhen sollte man dabei jedoch nicht erwarten. Stattdessen hangelt sich das Skript von «The Boy Next Door» wie auf Schienen von einem Klischee zum nächsten. Selbst dann, wenn es in Richtung Finale sogar noch ein wenig blutig wird, verpassen es die Macher, derlei Schockeffekte abseits des durchschnittlichen Jump-Scares in Szene zu setzen denn sowohl die Kameraarbeit (Dave McFarland), als auch die musikalische Untermalung von Nathan Barr («True Blood») und Randy Edelmann («Verlobung auf Umwegen») kommen über den Status „vorhanden“ nicht hinaus und erfüllen lediglich ihren Zweck, ohne einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Bei all der Kritik an der vorhersagbaren Inszenierung hat «The Boy Next Door» jedoch das große Glück des fast schon dreisten Unterhaltungswertes. Der Thriller ist nicht gut und funktioniert aufgrund seines ironiefreien Tonfalls nicht einmal als Trashmovie. Doch mit einer sehr geringen Erwartungshaltung erlaubt es einem «The Boy Next Door» tatsächlich, einen gewissen Spaß an der Geschichte zu haben. Dafür ist das Drehbuch bei aller Stupidität einfach zu schnörkellos.

Fazit: Aus cineastischer Sicht ist der schmalbudgetierte Verführungsthriller die reinste Vollkatastrophe. Doch auch wenn wir keinerlei Haftung für einen eventuell verschenkten Kinoabend übernehmen, so kann «The Boy Next Door» doch auf eine perfide Art und Weise einen enormen Spaß bereiten – und wenn dieser bloß daraus resultiert, ihn mit einem Trinkspiel zu verbinden, das darauf hinausläuft, bei jeder weltfremden Entscheidung seitens JLo einen Schnaps zu kippen.

«The Boy Next Door» ist ab dem 19. März bundesweit im Kino zu sehen.

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