Die Kritiker

Abgeschottet auf der Alm

von

Am späten Sonntagabend zeigt das Erste «Die Wand», die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Marlen Haushofer. Warum Sie einschalten sollten:

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Martina Gedeck als die Frau
Karl Heinz Hackl als Hugo
Ulrike Beimpold als Luise

Hinter der Kamera:
Produktion: Bayerischer Rundfunk, coop99 filmproduktion GmbH und Starhaus Filmproduktion GmbH
Drehbuch und Regie: Julian Roman Pölsler
nach dem gleichnamigen Roman von Marlen Haushofer
Kamera: Christian Berger, Helmut Pirnat und Markus Fraunholz
Produzenten: Rainer Kölmel, Antonin Svoboda, Martin Gschlacht, Bruno Wagner und Wasiliki Bleser
Die 1970 verstorbene österreichische Autorin Marlen Haushofer ist von der Literaturwissenschaft lange vergessen worden. Warum, kann kein Mensch sagen, der ihre Texte gelesen hat, insbesondere ihren hervorragenden Roman „Die Wand“, der 1963 erschienen ist.

Erst im Zuge der Frauenbewegung ist ihr literarisches Werk abseits ihrer Jugendbücher wiederentdeckt und Gegenstand umfassender literaturwissenschaftlicher Analysen geworden. Doch vor allem ihr Hauptwerk, „Die Wand“, wird noch heute von gestandenen Kritikern eher belächelt. Als altbacken, schwermütig und gewöhnungsbedürftig wird ihr Text dort bezeichnet und fälschlicherweise auf eine „diffuse Selbst-Anklage der Protagonistin“ reduziert.

Doch Haushofers zivilisationskritische Ansätze bilden nicht den narrativen Kern ihres Buches. Ebenso wenig den Kern dessen Verfilmung von Julian Roman Pölsler aus dem Jahr 2012, die das Erste am späten Sonntagabend zeigen will und die Gegenstand dieser Rezension sein soll. Doch bevor wir über diesen Film sprechen, müssen wir die gängigen Missverständnisse beseitigen, die die Rezeption der belletristischen Vorlage zu beeinträchtigen scheinen.

Ein Blick auf den Plot: Die namenlos bleibende Ich-Erzählerin reist mit ihrer herrischen Schwester und deren hypochondrisch veranlagtem Gatten zu einer Berghütte. Dort angekommen, gehen Schwester und Schwager nach einer Jause ins Tal, die Erzählerin bleibt allein zurück. Sie verbringt die Nacht in der Hütte und wundert sich, dass ihre Begleiter am nächsten Morgen untypischerweise noch nicht aus dem Tal zurückgekehrt sind. Als sie sich in Begleitung von Luchs, dem Hund ihres Schwagers, ins Tal aufmacht, stößt sie auf ihrem Weg auf eine durchsichtige Wand, die sie am Weitergehen hindert. Die wenigen Menschen, die sie durch die Wand auf der anderen Seite sehen kann, scheinen alle tot zu sein.

Rettung kommt nicht. Und so richtet sich diese Frau gezwungenermaßen in ihrem neuen Leben ein, abgetrennt vom Rest der Welt durch ein sonderbares, undurchdringliches Objekt, ohne Kontakt zu Menschen. Nur Tiere hat sie an ihrer Seite: den Hund Luchs, die Kuh Bella, die ihr im Lauf des Romans (und Films) einen Stier gebärt, sowie eine Katze, die ebenfalls Nachwuchs zur Welt bringt.

Doch dieser Roman ist mehr als die Glorifizierung der Natur, die manche Rezensenten hier herauszulesen meinen, ist kein pathetischer Appell an die Rückkehr zum Urzustand, keine kontinentaleuropäische Version von Henry David Thoreaus „Walden“. Er ist in erster Linie ein vielschichtiges, einnehmendes Psychogramm, eine existentialistische Studie über den Menschen in sich selbst, über die Sinnsuche abseits von äußeren Faktoren, im Zuge einer radikalen Trennung des Subjekts von Einflüssen, die außerhalb seiner selbst liegen.

Die Verfilmung dieses Stoffes hat mehr als ein Problem zu bewältigen: Die Szenen, in der die Hauptfigur in Kontakt mit anderen Menschen tritt, lassen sich an einer Hand abzählen. Noch dazu ist das eigentlich spannende an Haushofers Roman nicht unbedingt die äußere Handlung, sondern die innere. Erschwerend kommt hinzu, dass dieses hervorragende Buch vor allem durch seine klare, erstaunlich einfache, aber nie banalisierende Sprache gewinnt, die seine Verfilmung nur in kurzen Voice-Over-Ausschnitten vortragen kann.

Ein Glück, dass es Martina Gedeck gibt: Eine Figur zu spielen, die kaum mit anderen Protagonisten interagiert, ist nicht die erste Herausforderung, die sie in ihrer Karriere bewältigt hat. Wer „Die Wand“ gelesen hat und diese weiche, sympathische, kluge Figur kennt, dem wird kaum eine bessere Wahl für die Rolle einfallen. Die Erwartungen an Gedeck waren hoch – und sie konnte sie vollumfänglich erfüllen.

Die Tücken liegen anderswo und sind eher Makel, die die Verfilmung bewusst in Kauf nehmen musste, an denen sie von vornherein nichts ändern konnte: Denn die äußere Handlung, die dieser Film abbilden kann, ist eher repetitiv, an sich nur bedingt spannend und einnehmend. Im Roman stellt das kein Problem dar, schließlich wird sie dort mit faszinierenden Reflexionen der Erzählerin unterfüttert. Etwas, das ein Film freilich nur im Ansatz leisten kann. Was sich in der Belletristik diskursiv darstellen lässt, muss der Film szenisch leisten, wo in der Literatur weitschweifige abstrakte Überlegungen stattfinden können, muss sich der Film auf physisch Darstellbares beschränken.

Nicht ohne Grund galt „Die Wand“ in dem halben Jahrhundert, das von seiner Veröffentlichung als Buch bis zur Uraufführung seiner Filmadaption verging, als höchst schwierig bis gar nicht verfilmbar. Wenn man diesen Stoff von seiner Sprache trennt, verliert er viel. Wie schlimm wäre es gewesen, wenn er gleich seine Seele verloren hätte – was bei einer ungeschickteren Verfilmung als dieser leicht hätte passieren können. Allein, dass sie dies verhindern konnten, zeichnet Gedeck und Pölsler aus. Dass sie viel von der Tragik und inneren Spannung des Romans in den Film transportieren konnten, zeigt, dass sie große Filmemacher sind.

Allen, die an dieser hoch intelligenten Reflexion über den Menschen in der Isolation teilhaben möchten, sei nachdrücklich zum Einschalten am späten Sonntagabend geraten. Zur Lektüre des Romans freilich noch mehr.

Das Erste zeigt «Die Wand» am Sonntag, den 22. März um 23.35 Uhr.

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