Die Kritiker

«Die Ungehorsame»

von

Felicitas Woll besticht in einem unter die Haut gehenden Drama über häusliche Gewalt und ihre psychologischen Folgen.

Cast und Crew

  • Regie: Holger Haase
  • Darsteller: Felicitas Woll, Marcus Mittermeier, Alina Levshin, Matti Schmidt-Schaller, Claudia Geisler-Bading, Hubertus Hartmann, Max Hopp
  • Drehbuch: Michael Helfrich
  • Kamera: Uwe Schäfer
  • Szenenbild: Alexandra Pilhatsch
  • Schnitt: Marco Baumhof
  • Produktion: Ninety-Minute Film GmbH
Ein strahlend weiß eingerichtetes, klinisch sauberes Haus. Doch in einer Ecke gleicht dieser irgendwo zwischen Trostlosigkeit und Vorführeinrichtung verortete Eindruck einem Anblick, der aus einem Horrorfilm stammen könnte: Wand und Boden sind mit Blut verschmiert. In der Lache liegt ein Mann, Mitte 40, leblos. Die Tranciergabel ragt noch immer aus seinem Bauch heraus. Im Raum nebenan sitzt die Gattin des Toten. Nahezu regungslos, mit starrem Blick und gewaltigen Augenringen. Sie wartet auf das Eintreffen der Polizei, gibt ein Teilgeständnis. Dass sie die tödlich geendete Attacke auf ihren Mann zugegeben und kurz danach sowohl die Polizei als auch den Rettungsdienst rief, wird ihr zugute gehalten. Doch bald darauf zeigt sich, dass die Frau längst nicht so kooperativ ist, wie gedacht: Sie sagt kaum ein Wort, dafür kommt zutage, dass sie den Tatort verfälschte. Die junge, unerfahrene Pflichtverteidigerin, die ihr zugeteilt wurde, scheint einen verlorenen Fall auf der Hand zu haben. Aber im Laufe der Gespräche mit ihrer Mandantin erfährt die Anwältin, dass die wortkarge, verschüchterte Frau jahrelang zum Opfer häuslicher Gewalt wurde. Dies könnte der Verhandlung eine bedeutsame Wende geben – also wühlt die Verteidigerin die Vergangenheit der Angeklagten auf, obwohl diese ungebrochen Ausflüchte für das Verhalten ihres Mannes findet …

Eine von vier Frauen in Deutschland ist in ihrer momentanen Beziehung Opfer häuslicher Gewalt oder war es in einer früheren Beziehung – das Thema dieser Produktion der Ninety Minute Film könnte also kaum relevanter und dringlicher sein. Erst recht, da «Die Ungehorsame» seine Aufmerksamkeit darauf lenkt, dass sich Opfer eines solchen Beziehungsterrors stigmatisiert fühlen und so in eine Schweigespirale geraten. Das Drehbuch von Michael Helfrich führt – einfühlsam, authentisch und daher so bedrückend – die Mechanismen vor, die diese Misere verursachen: Das Abrutschen von einer gesunden Liebesbeziehung in ein missbräuchliches Verhältnis ist ein schleichender Prozess, in dessen Folge der Mann seine Frau schrittweise isoliert. Somit nimmt er ihr die Möglichkeiten, auf ihre Lage hinzuweisen – sollte sie dies überhaupt wollen, denn allein schon die Scham davor, das Opfer zu sein, hat einen ungeheuerlichen Effekt auf die Psyche. Nach und nach reden sich viele Opfer ein, allein die Schuld daran zu tragen, dass ihr Partner zu einem völlig anderen Menschen wurde – und da ihnen niemand zu Hilfe ein, niemand für sie Partei ergreift, sehen sie ihn sogar im Recht.

Die Dynamik einer solchen grausigen Macht-Ohnmacht-Interaktion und die psychischen Folgen für das Opfer werden von Drehbuchautor Helfrich zu keinem Zeitpunkt oberlehrerhaft präsentiert – das Skript und die kühle, keinen Raum für Melodramatik lassende Inszenierung lassen das Leid der Hauptfigur Leonie Keller für sich stehen. Und gerade dadurch erweist der Film seinem Thema den denkbar besten Dienst, denn ohne didaktischen Zeigefinger kann die Narrative ihre volle, unter die Haut gehende Wirkung entfalten – was die Hoffnung weckt, dass sich so von der Produktion angetrieben viel mehr Opfer ein Herz nehmen und aus ihrer Situation befreien. Wie «Die Ungehorsame» anreißt, greifen belehrende „Ja, tu doch einfach was!“-Gespräche nämlich leider viel zu selten. Dieses ebenso ergreifende wie erschütternde Drama hingegen macht die psychologischen, emotionalen Tiefen erlebbar und dient somit als wesentlich eindringlichere Warnung.

«Die Ungehorsame» ist aber nicht bloß ein wichtiges Mahnmal, sondern obendrein auch ein hervorragender Fernsehfilm, der in zahlreichen Belangen brilliert. Die Dramaturgie ist fesselnd: Eingangs ist Leonie eine unsympathische, unerklärlich handelnde Person, der man vor Gericht keine Chance geben würde. Auch wenn man ahnt, dass sie wohl ein gutes Motiv für die tödliche Attacke auf ihren Mann hatte, fällt es schwer, für sie Verständnis aufzubringen: Wieso macht sie den Mund nicht auf, weshalb stellt sie sich gegenüber ihrer Verteidigerin quer, warum ist sie dermaßen stur? Auch die ersten Rückblenden, die zwischen die Szenen der Gerichtsverhandlung gestreut sind, klären nicht auf, wie Leonie zu einer so abweisenden Frau werden konnte, sie zeigen bloß den Anfang einer recht alltäglichen Fernsehfilm-Romanze.

Dann aber ziehen Regisseur Holger Haase und Autor Helfrich dem unbedarften Zuschauer den Boden unter den Füßen weg, konfrontieren ihn mit seiner Einstellung: Leonie wurde über Jahre hinweg in diese Rolle gedrängt. Durch körperliche Gewalt, Psychoterror und Isolation verlor sie jeden Glauben daran, Anrecht auf ein eigenes Wohl zu haben und erlernte im Gegenzug zahllose Verteidigungsstrategien für ihren Ehegatten, um ihn nicht zu erzürnen. Und diese Ausreden, die ihn gut dastehen lassen, sind so tief in Leonies Verhalten eingebrannt, dass selbst ihre Anwältin diese im Laufe der Verhandlung nur mühselig aufheben kann. Diese Schonungslosigkeit, mit der «Die Ungehorsame» dem Publikum vorführt, wie leicht es sich von Personen abwendet, die dringend Hilfe benötigen, und was die Gesellschaft mit einem solchen Verhalten anrichtet, ist erstaunlich und verdient jeden Respekt.

Dass dieser narrative Kniff aufgeht, ist dabei vor allem Verdienst der kaum wiederzuerkennenden Felicitas Woll – vollkommen frei von großen, theatralischen Gesten zeichnet die Mimin ein komplexes, erschreckendes Psychogramm, das sich für die nächsten großen Fernsehawards empfiehlt. Innerlich zutiefst verletzt, in den ersten die häusliche Gewalt zeigenden Szenen noch aufgebracht, dann zunehmend gebrochen und zuletzt (respektive zu Beginn des Films) nur noch die Ruine eines Menschen, macht Woll eine große Wandlung durch ohne dabei jemals ihre schauspielerische Bandbreite aggressiv zur Schau zu stellen. Woll stellt sich völlig in den Dienst des Films, genauso wie Marcus Mittermeier als tyrannischer Ehemann – abgrundtief böse Rollen drohen oft, solch reale, aus dem Leben gegriffene Storys zu zerreißen, weil es schwer fällt, sie nicht zu überzeichnen. Aber Mittermeier gelingt es, unmissverständlich klar zu machen, dass es nicht eine einzige Situation gibt, in der sein Handeln zu rechtfertigen ist – gleichzeitig hat er genügend schroffen Charme in seiner Mimik, dass es nicht unerklärlich ist, weshalb Leonie jahrelang an das Gute in ihrem Mann glauben konnte.

Die dritte darstellerische Säule des Films ist Alina Levshin als sich kühl und professionell gebende, aber spürbar emotional investierte Junganwältin – die Divergenz zwischen dem Innenleben ihrer Rolle und ihrer Fassade bringt die 30-Jährige hervorragend zur Geltung und verleiht somit dem Film eine zusätzliche Identifikationsfigur. Inszenatorisch letztlich gibt es an diesem Sat.1-Ausnahmeprojekt nichts auszusetzen. Es ist distanziert genug, um nicht manipulativ zu wirken, aber so schonungslos, wie die Thematik es gebietet. Mit kunstvollen, aber nie zum Selbstzweck eingesetzten, Kompositionen geben Haase und sein Kameramann Uwe Schäfer zudem ihrer Protagonistin etwas Würde zurück – sie akzentuieren die Emotionalität der Übergriffe auf Leonie, ohne sich in expliziter Gewalt zu suhlen. So dürfen Sat.1FilmFilme gerne häufiger sein. Bleibt nur zu hoffen, dass sich tatsächlich möglichst viele in Leonies Situation befindliche Frauen ein Herz nehmen und der finalen Texteinblendung Folge leisten: Das Hilfetelefon 08000 116 016 ist für Betroffene rund um die Uhr erreichbar – und sollte auch genutzt werden!

«Die Ungehorsame» ist am 31. März 2015 ab 20.15 Uhr in Sat.1 zu sehen.

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