Programmankündigung «Das große Schlüpfen»
"Mit Hilfe eines Expertenteams wird eine Brutstation aufgebaut, in der die Gelege von einheimischen Tieren wie der Ente und exotischen Tieren wie Chamäleon oder Katzenhai ausgebrütet werden. Renommierte Wissenschaftler, amtliche Tierärzte und anerkannte Züchter sind bereits seit Beginn der Showentwicklung eingebunden und sorgen während der Sendung für Wohl und Sicherheit der Gelege und Jungtiere. Sie bringen dem Zuschauer die Faszination der Entstehung neuen Lebens nah."Welches Szenario sich das Team um den derzeit wieder vielbeschäftigten Johannes B. Kerner für die gut anderthalbstündige Show erhofft hat, um die Zeit möglichst unterhaltsam zu füllen, klingt aus der Anmoderation ebenso heraus wie die Befürchtung, dass eben dieses Szenario nicht eintritt: "Ich weiß nicht, was passiert. Kein Mensch weiß, was passiert. Im Idealfall schlüpfen ganz viele verschiedene Tierarten, sodass wir am Ende sagen können: Das ist wirklich das große Schlüpfen." Nun kann man die Frage aufwerfen, ob überhaupt der (nicht eingetretene) Idealfall des Massenschlüpfens ausreichend Spektakel geboten hätte, um die Sendezeit nicht so dahinplätschern zu lassen, wie es in der Realität der Fall war. Selbst beim Konjunktiv ist es fraglich - beim Indikativ jedoch zweifelsfrei zu negieren.
Die Verantwortlichen der Sendung bemühen sich gut 90 Minuten lang redlich darum, den Schlüpfprozess diverser Tierarten zu zelebrieren, die in einem separaten Brutstudio zur Welt kommen sollen. Schon diese Idee ist problematisch, da sich so ein Tier eben nicht in Windeseile und mit spektakulären Actionszenen gespickt des ihm umgebenen Eis entledigt, sondern in einem langwierigen und durch viele Pausen unterbrochenen Prozess. Besonders anschaulich demonstriert diese Problematik ein Straußenküken, das als einziges Studiotier Erbarmen mit dem ZDF hat und sich zur besten Sendezeit allmählich der ihn umgebenden Schale entledigt. Allmählich. Sehr allmählich. So allmählich, dass die Kameras währenddessen mehrfach ein regungsloses Ei filmen müssen, dessen größter Thrill ein sich sukzessive vergrößerndes Loch in der Mitte ist. Müßig zu erwähnen, dass der Zuschauer hier nicht gerade gebannt vor dem heimischen Bildschirm sitzt.
Dieser Gefahr der für nach spektakulären Bildern und Dynamik gierenden Fernsehmacher aufreizenden animalischen Gelassenheit sind sich die Produzenten natürlich bereits im Vorfeld bewusst gewesen. Um den Leerlauf abzufedern, hat man sich einiges - allerdings konzeptionell nur in Maßen innovatives - einfallen lassen: Ob ein dreiköpfiges Promiteam um Armin Rohde, Sonja Zietlow und Magdalena Neuner, diverse Einspieler, in denen unter anderem sie verschiedene Tierschutzprojekte besucht haben, ein Expertenteam im Brutstudio, die weiterführende Informationen zu den tierischen Stars liefern sollen oder bereits lebendige Tiere, um nicht nur rumliegende Eier beobachten zu können: Der Aufwand zum Zwecke einer guten Unterhaltungs-Show ist durchaus zu würdigen und keines dieser Mosaikteilchen stellt sich als völlig deplatziert heraus. Nur die Gesamtkomposition aller Elemente ist halt nicht stimmig genug, um das substanzielle Vakuum zu füllen, ein schlüpfendes Ei als Highlight-Moment zu platzieren.
Theo Pagel
- Direktor des Kölner Zoos, dort schon seit 1991 angestellt
- Seit 2013 auch Präsident des Verbands Deutscher Zoodirektoren (VDZ)
- Studierte Biologie, Geographie und Pädagogik
- Eine 2011 neu entdeckte laotische Gekkoart ist nach ihm benannt ("Cyrtodactylus pageli")
Insofern können sich die ZDF-Programmplaner zumindest bei der Wahl ihres Produzenten auf die Schultern klopfen, denn die Handschrift des sonst für Dokumentationen und Reportagen tätigen Wellenreiter.TV ist deutlich bemerkbar - und zwar in positiver Hinsicht. Sicherlich hätte man die Inhalte auch im Rahmen einer Doku vermitteln können, die Bilder wären in geraffter Form und in natürlicher Umgebung wohl sogar spannender und aussagekräftiger gewesen als hier, wo im Live-Bild dann nun einmal vorwiegend herumliegende Eier gefilmt werden müssen. Andererseits beweint gerade die Journaille nur allzu gerne den fehlenden Mut der Fernsehmacher, sich an neuen, innovativen Inhalten zu versuchen. Da wäre es nun vermessen, dem «Großen Schlüpfen» eben dieses Bestreben vorzuhalten. So viele Längen und unausgereifte Umsetzungen der Ideen auch vorliegen mögen.
In einem Moment löst sich die Sendung jedoch bedauerlicherweise von ihrem authentischen, zurückhaltenden Grundton und macht damit leider alles falsch, was man in diesem Moment falsch machen kann. Als das Straußenbaby sich gegen Ende der Liveshow etwa der Hälfte des Eis entledigt hat, rückt man zum einen etwas vom zuvor diverse Male betonten moralischen Grundsatz ab, "der Natur nicht nachhelfen zu wollen", indem einer der Tierpfleger Hand anlegt, um den Kopf des Jungspunds manuell aus der Schale zu holen. Dies vermag man noch damit zu erklären, dass auch die Mutter des Tieres bei ihrem Nachwuchs ähnlich vorgegangen wäre, ohne dessen Entwicklung zu beeinträchtigen. Dass allerdings bei Betrachtung des Straußennachwuchses ein hollywoodreifes Instrumental eingespielt wird, bei dessen Pathos man meint, gerade einer feierlichen Heldenzeremonie beizuwohnen, ist doch arg überkandidelt. Nicht nur, dass man sich hier kurz an diverse Dokusoap-Auswüchse des Privatfernsehens erinnert fühlt, es wirkt schlicht auch reichlich lächerlich und verzweifelt angesichts des unspektakulären Bildes, das man zu Gesicht bekommt.
Alles in allem ist «Das große Schlüpfen» ein Show-Experiment, bei dem man zahlreiche Argumente finden kann, um es verbal in Grund und Boden zu stampfen. Dramaturgisch ist der ZDF-Neustart ein kompletter Griff in die Toilettenschüssel, die Idee, ein schlüpfendes Ei als Highlight einer Live-Show hochzustilisieren, geht zu keinem Zeitpunkt auf und die Live-Momente kaschieren nur so lange den beträchtlichen inhaltlichen Leerlauf, wie es unterhaltsame und erkenntnisreiche Gespräche oder putzige (allerdings schon geschlüpfte) Tiere zu bewundern gibt. Der informative Aspekt ist zumindest in Teilen stimmig umgesetzt worden und vermittelt die Faszination Natur und Leben auf eine neue und nicht gänzlich unpassende Art und Weise. Kerner macht als Moderator der Sendung einen ebenso soliden wie unspektakulären Job, bringt allerdings auch kaum Schwung in die TV-Brutstation. Ob es also weiterer Schlüpfspektakel bedarf? Wohl eher nicht. Trotzdem ist es löblich, diese skurrile Idee zumindest einmalig in die Tat umgesetzt zu haben.
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